Название: Wunsch Traum Fluch
Автор: Frances Hardinge
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9783772540332
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«Meine Eltern denken, dass es daran lag, dass ich nichts sehen konnte und der Boden feucht war vor Dampf, aber das war es nicht. Chelle … ich habe etwas gesehen, und ich wich zurück, um von diesem Etwas wegzukommen. Es ist passiert, als ich meine Kontaktlinsen einsetzen wollte. Klar, mir tränten die Augen und ich hatte keine Brille auf und außerdem war überall Kaffeedampf, aber trotzdem konnte ich mein Gesicht im Spiegel erkennen. Nur dass es das nicht war.»
«Es war was nicht?»
«Es war nicht mein Gesicht.»
Die Glühbirne füllte die Stille mit ihrem Pick-pick-pick an, während Chelle auf der Luft herumkaute und dann schluckte.
«Es sah zwar aus wie ich», fuhr Ryan fort und merkte, wie seine Stimme schrill wurde, «meine Haare und meine Augenlider und alles, aber wieso konnte ich meine Augenlider sehen? Meine Augen waren doch offen! Und als mein Spiegelbild die Augen öffnete, begann Wasser herauszuströmen. Nicht nur Tränen, sondern ganze Wasserfälle. Und das Wasser hatte eine falsche Farbe. Ich meine, jede Farbe ist falsch für Tränen.»
«Das ist echt unheimlich», sagte Chelle piepsend. Sie versuchte ihm nicht einzureden, dass er sich das alles nur eingebildet hätte. Ryan fühlte eine Welle der Erleichterung. «Ich wünschte, Josh wäre hier», fügte sie hinzu.
«Kommt er nicht?»
«Doch, aber später. Er muss wieder seinen Dienst ableisten, hast du das nicht gewusst? Weil er doch ganz schlammig und grün vom Brunnen war, als er heimkam, und nicht sagen wollte, wo er gewesen war.» Joshs Eltern hielten es für eine sinnvolle pädagogische Maßnahme, ihn jedes Mal, wenn er etwas angestellt hatte, zu nützlichen Diensten zu verdonnern, die aus ihm einen besseren Menschen machen sollten. Meistens musste er in dieser Zeit bei seinen ältlichen Tanten wohnen, die seine Mutter verabscheute, musste für sie Gartenarbeit verrichten oder die Schuppen ausfegen. Statt ihn mit Hausarrest zu bestrafen und ihm zu verbieten, das Haus zu verlassen, verboten ihm seine Eltern, sein Heim zu betreten. Er musste seinen Hausschlüssel abgeben und hatte keinerlei Zugang zu den Dingen, die ihm gehörten, bis er seine Strafe abgebüßt hatte.
«Und alles nur, um mich loszuwerden», hatte Josh einmal gesagt. «Sie würden mich am liebsten zurückschicken, wenn sie die Quittung finden könnten.»
Ryan konnte sich nicht vorstellen, wie er sich fühlen würde, wenn ihn seine Eltern in diese Art von Exil verbannen würden. Josh, der die meisten Strafen mit einem grimmigen Humor hinnahm, reagierte auf das Arbeitslager in Merrybells – so hieß das Haus seiner Tanten – mit einer merkwürdigen fiebrigen Stimmung, die an Wahnsinn grenzte und so ganz anders war als all seine anderen Launen. Seinen Tanten, die er nicht leiden konnte, gehorchte er mit einer dumpfen, bedrohlichen Verschlossenheit – entweder das, oder seine Strafe wurde verlängert –, aber für alle anderen wurde der Umgang mit Josh zu einem Spaziergang über ein Minenfeld.
Irgendwo klingelte ein Telefon, und dann näherten sich Schritte der Tür zur Höhle. Chelles Schwester Caroline öffnete mit dem Telefon in der Hand die Tür.
«Es ist Josh. Fünf Minuten, klar? Ich erwarte einen Anruf.»
Chelle wartete, bis Caroline die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte, bevor sie den Hörer ans Ohr legte.
«Hallo Josh, wir haben uns schon gefragt, wo du … oh nein, aber Ryan hatte so ein komisches Erlebnis … nein, er ist hier.»
Mit einem unguten Gefühl im Bauch nahm Ryan das Telefon im Empfang. Wenn Josh Chelle nicht ausreden ließ, war er in einer sehr schlechten Stimmung.
«Es geht schneller, wenn ich’s dir sage», begann Josh ohne Umschweife. In seiner Stimme lag ein scharfer, knöcherner Unterton, gedämpft durch ein schwaches Surren im Hintergrund, wie von einer schleudernden Waschmaschine. «Ich bin bei den Tanten. Ich kann nicht in die Höhle kommen. Wenn es etwas Wichtiges zu sagen gibt, sag’s mir jetzt, bevor sie wiederkommen.»
Ryan versuchte Josh zu sagen, was er Chelle erzählt hatte, aber schnell, damit Josh nicht ungeduldig wurde.
«Die Geschichte wäre noch besser, wenn eins der Augen aus der Höhle fallen und an einem Stück Schnur hängen würde», sagte Josh gänzlich unbeeindruckt. «Mist, die Tanten sind wieder da.»
Ryan merkte plötzlich, dass es nicht Joshs Launenhaftigkeit war, die ihn unruhig machte. Etwas störte ihn, irgendetwas; es war wie das sanfte Klopfen von Fingerspitzen auf seinem Nacken. Es dauerte eine ganze Weile, bis er erkannte, dass das vertraute Pick-pick-pick der Glühbirne sich beschleunigte.
«Ich muss los. Wenn du Angst vor deinem eigenen Gesicht hast, halte dich von Spiegeln fern.»
«Josh …»
Pick.
Pick.
Pick.
Pick. Pick. Pick. Pick-pick-pick-pickpickpickpickpickpick …
Als Josh auflegte, flammte der Glühfaden, der mit jedem leisen Klicken leicht geflackert hatte, blendend weiß auf. Eine kleine Weile leuchtete der Draht noch nach, wie ein winziges rotes Glühwürmchen in der Dunkelheit. Dann erstarb er.
In dieser Nacht schlief Ryan schlecht. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, war der Unsichtbare wieder da, der sanft gegen seinen Nacken geklopft hatte, als er der Glühbirne beim Sterben zugehört hatte. Im Moment hockte er auf seinem Bett und tippte auf die Haut zwischen den Knöcheln seines verbrannten Handrückens. Seine Hände bewegten sich unwillkürlich, um das Kitzeln wegzuwischen. Die forschenden Fingernägel seiner anderen Hand ertasteten eine Ansammlung von kleinen Erhebungen auf seiner Haut und kratzten darüber, erweckten ein schlafendes Jucken zum Leben.
Es war so heiß. Jedes Mal, wenn er drauf und dran war einzuschlafen, breitete sich das Kitzeln in juckende Flächen aus, die größer als seine Hände waren und pulsierten wie die Glühbirne in der Höhle, ehe sie den Geist aufgab. Der Verband kam ihm mit jedem Pochen enger vor. Irgendwann taumelte er ins Badezimmer und hob eine Ecke davon an.
Die Schwellungen auf seiner Hand waren nicht das Resultat der Verbrennung. Sie waren weiß und spannten wie frische Brennnesselstiche, waren aber so gewölbt und rund wie Tautropfen. In jeder befand sich in der Mitte ein dünner Schlitz wie der erste, kaum wahrnehmbare Spalt in einer Kastanienschale. Die Schlitze waren mit zarten schwarzen Härchen besetzt, die bei jedem Vibrieren leicht flatterten.
Ryan drehte das kalte Wasser auf und hielt seine Hand unter den Strahl. Ich habe das nicht gesehen; es gibt nichts, was so aussieht; ich schlafe; wenn ich sie nicht anschaue, dann sehen sie nicht so aus … Ein Panikpfropfen saß ihm in der Kehle.
Erst als seine Hand so taub vor Kälte war, dass es wehtat, wagte er, sie aus dem Waschbecken zu nehmen. Zwischen seinen Knöcheln saßen fünf weiße, verschrumpelte Warzen. Nichts weiter.
Wusste ich doch, dass sie nicht so aussehen. Ryan ging wieder ins Bett, entschlossen, niemandem davon zu erzählen; dann wurde es nämlich auch nicht wahr. Er legte sich hin und ließ seine Hand in einen Becher mit Wasser hängen. Jemand hatte ihm mal erzählt, dass man ins Bett pinkelt, wenn einem im Schlaf die Hand nass wird. Er hoffte inständig, dass das nicht stimmte.
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