Название: Mami Staffel 10 – Familienroman
Автор: Lisa Simon
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Mami Staffel
isbn: 9783740951436
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Und plötzlich überfiel Kathrin eine große Sehnsucht. Wie schön war es doch, eine Familie zu besitzen, in ihr aufzugehen, stolz auf seine Kinder zu sein. Verstohlen beobachtete sie Marios Mama, wie sie immer wieder kontrollierend über den Tisch blickte und dann zufrieden nickte.
»Essen, essen!« forderte sie Kathrin immer wieder auf. Mario stellte ihr ein Glas mit Rotwein hin. Die Kinder tranken Milch, nur Elena verdünnte ihren Rotwein mit Wasser.
»Scheene Urlaube«, sagte die Mama und erhob ihr Weinglas. Kathrin stieß mit allen an und auch die Kinder erhoben ihre Milchgläser. Es ging laut und lustig zu, und Kathrin fühlte sich kein bißchen fremd.
Als sie gegessen hatten, räumten die Mädchen den Tisch ab und spülten das Geschirr, während Marios Eltern viele Fragen stellten, die Mario übersetzte. Kathrin erzählte von zu Hause, ihrer Arbeit im Schuhgeschäft, ihrem Wunsch, einmal Venedig zu sehen. Das Thema Peter vermied sie.
Doch die kluge Mama schien zu spüren, daß Kathrin Kummer in sich trug. Vielleicht hatte Mario auch etwas erzählt. Immer wieder wanderte Kathrins Blick zu der kleinen Susana, die auf Elenas Schoß saß. Auch wenn die Kleine dunkle Locken und große, schwarze Augen hatte, erinnerte sie sie an Jenny. Kathrin fühlte einen leichten, ziehenden Schmerz im Herzen.
»Du auch haben viele Bambini«, sagte die Mama mit Bestimmtheit und nickte, als sei es endgültig.
Kathrin wagte nicht zu widersprechen. Hier, in der einfachen, aber so herzlichen Atmosphäre dieser Familie erschien es ihr selbstverständlich. Und sie fragte sich, warum sie daraus so ein Problem gemacht hatte. All das konnte sie auch haben, eine Familie, liebe Kinder, ein süßes Baby, und einen liebevollen Mann. Die Mama machte durchaus keinen unglücklichen Eindruck, und als sie sah, wie zärtlich Mario über die seidigen Locken seiner kleinen Tochter strich, verspürte sie fast so etwas wie ein wenig Neid. Zum Glück gehörte nicht Geld und Luxus, nicht Freiheit und Abenteuerlust, nicht Flitter und falscher Schein. Glück war nichts, was man kaufen konnte. Glück kam von innen heraus. Hier, in der engen, abgewohnten Küche gab es Glück, gab es Familie, gab es gegenseitigen Halt. Sicher hatten auch diese Leute ihre alltäglichen Probleme, aber das änderte nichts am festen Zusammenhalt dieser Menschen.
Es wurde spät, während sie sich unterhielten und Wein tranken. Als sich Kathrin verabschieden wollte, bot sich die gesamte Familie an, sie bis zum Hotel zu begleiten. Außer Elena, die bei ihrem Baby blieb, wanderten alle, auch die Kinder, durch das nächtliche Venedig, bis sie zu Kathrins Hotel gelangten. Der Abschied war herzlich, und unter vielen Umarmungen mußte Kathrin der Mama versprechen, sie und ihre Familie zu besuchen, wenn sie wieder einmal nach Venedig kam.
Jetzt wußte Kathrin, was zu tun war. Nach ihrer Rückkehr würde sie Peter Kilian suchen und ihm sagen, daß sie bereit war, die große Verantwortung für seine Familie auf sich zu nehmen. Nichts erschien ihr zu schwer, sie freute sich auf die neue Aufgabe. Und sie wußte, daß sie mit Peters Liebe und Unterstützung rechnen konnte. Endlich waren ihr die Augen geöffnet worden. Eine einfache italienische Familie hatte es vollbracht, und Kathrin war den netten Leuten unendlich dankbar dafür.
*
Draußen stürmte es, und die Straßenlaternen spiegelten sich auf dem nassen Asphalt. Schaudernd zog Kathrin die Schultern hoch. Ein wenig hilflos wedelte sie mit den Weihnachtsgirlanden, mit denen sie die Kinderschuhabteilung schmükken wollte.
»Man sollte es nicht glauben, daß bald Weihnachten ist«, sagte sie zu Hannelore, die als Aushilfe im Geschäft arbeitete.
»Ja, das Wetter ist wirklich deprimierend. Da kann man schon auf trübe Gedanken kommen.« Hannelore reckte sich auf der Leiter, um die Girlanden aufzuhängen.
»Weihnachten ist das Fest der Freude, und Advent ist die Zeit der Vorfreude. Als Kind habe ich immer gefiebert, ob zu Weihnachten tatsächlich das Gewünschte unterm Weihnachtsbaum liegt.«
»Und? Lag es drunter?« wollte Hannelore wissen und schlug mit kräftigen Hammerschlägen einen Nagel in die Wand.
»Meistens. Als Einzelkind bekam ich so ziemlich jeden Wunsch erfüllt. Zum Glück hatte ich nicht noch ein paar quängelnde Geschwister…« Kathrin hielt plötzlich inne. Was erzählte sie da für einen Unsinn? Dabei hatte sie sich jedes Weihnachten ein Brüderchen oder ein Schwesterchen gewünscht. Dieser Wunsch ging nie in Erfüllung. Ein anderes Bild tauchte vor ihr auf, das Gesicht eines semmelblonden Jungen mit strahlend blauen Augen. Verwirrt schüttelte sie sich. Das Wetter machte einem wirklich eigenartige Gedanken…
»Kathrin, träumst du? Wir müssen die neue Winterkollektion noch auspacken. Das schaffe ich wirklich nicht allein.« Hannelores Stimme klang ein wenig gereizt. Sie war Kathrin nicht immer eine große Hilfe, ständig jammerte sie, daß viel zu tun war. Dabei hatte Kathrin die Kinderschuhabteilung noch gut zwei Monate nach Marions Ausscheiden allein geführt, bevor sie Hannelore zur Unterstützung bekam.
Kathrin dachte ständig an Peter Kilian. Leider wußte sie nicht, wo er wohnte, und sie hoffte immer wieder, daß er oder seine Kinder sich wieder in den Schuhladen verirren würden. Sie hatte solche Sehnsucht nach ihnen, doch sie wußte nicht, wo sie suchen sollte. Das Weihnachtsgeschäft ließ ihr auch wenig Zeit, auf eine zeitraubende Suche zu gehen. Mehrmals nahm sie sich vor, das Telefonbuch zu wälzen, vielleicht fand sie seine Nummer. Aber was sollte sie ihm sagen? ›Hallo, hier bin ich! Wollen wir heiraten?‹
Entschlossen drehte sich Kathrin um und nahm einen Stapel Schuhkartons auf. Sie packte braune Wildlederstiefel aus. Sie waren mit Fell gefüttert, das über den Stiefelrand nach außen umgeschlagen war. Über den Spann lief ein Riemen mit einer Schnalle. Sie sahen sehr gut aus, und Kathrin überlegte, daß es die richtigen Winterstiefel für Martin und Kai wären. Einige Zeit später hielt sie ein Paar rote Stiefelchen in der Hand, die gut einem dreijährigen Mädchen passen würden. Weiße, glitzernde Sternchen schmückten die roten Stiefel, die ebenfalls mit weißem Fell gefüttert waren. Kleine Mädchenfüße würden darin bestimmt nicht frieren.
Der Weihnachtsmarkt wurde eröffnet, und Kathrin beschloß, in ihrer Mittagspause einen kleinen Bummel zu unternehmen und vielleich an einer der Verkaufsbuden ein Würstchen zu essen. Der Himmel war grau, und die Luft gesättigt mit kalter Feuchtigkeit. Die vorbeieilenden Menschen trugen die Kragen hochgeschlagen und blickten verdrießlich in den trüben Dezembertag. Kathrin wurde einige Male angerempelt, doch keiner der unfreundlichen Passanten entschuldigte sich. Plötzlich erklang fröhliches Kinderlachen. Unwillkürlich blickte Kathrin sich um – und erstarrte. Nur wenige Meter vor ihr, an einem Würstchenstand, entdeckte sie Martin, der über das ganze Gesicht strahlte. Und gleichzeitig erblickte sie Peter Kilian. Für einen Moment wollte Kathrin im Überschwang
der Wiedersehensfreude auf Peter zueilen. Kai stand neben ihm und nahm gerade ein Brötchen mit einem Würstchen in Empfang. Jenny saß im Sportwagen und kaute bereits an einem Brötchen. Eine ausgesprochen elegant gekleidete Frau in einem olivgrünen Mantel teilte die Würstchen aus. Peter legte einen Arm um die Schultern der Frau. Diese Geste war so liebevoll und vertraut, daß Kathrin mitten im Schritt stockte. Sie suchte hinter den Auslagen einer Verkaufsbude Deckung. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, und sie fühlte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen. Es war alles Lüge, seine Worte, seine Schwüre, seine Liebeserklärung. Eigentlich sollte Kathrin froh sein, daß sie ihm mit gesundem Mißtrauen begegnet, nicht auf seine schönen blauen Augen hereingefallen war.
Trotzdem lugte Kathrin hinter ihrer Deckung hervor und beobachtete die für sie schockierende Szene. Martin und Kai waren mit dem Verzehr ihrer Würstchen beschäftigt, und Martin bekleckerte natürlich seinen blauen Anorak mit Senf. Sein Vater schien seine sonstige Strenge den Jungs gegenüber СКАЧАТЬ