Название: Let´s play love: Leon
Автор: Hanna Nolden
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
Серия: Let´s play love
isbn: 9783958694071
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»Gibt es vielleicht andere Dinge, die dir Spaß machen? Etwas, das dich ablenken könnte oder das mit Sport oder Internetvideos gleichzusetzen wäre?«
Vany drehte diese Frage geradezu verzweifelt in ihrem Kopf. Wieder war da dieses Aha-Erlebnis. Genau das war es, was Leon ihr hatte klarmachen wollen. Da war nichts. Leon war so vielschichtig. Er zeichnete Comics, führte Hunde aus und verstand sich gut mit den Kollegen. Er ging für alte Menschen einkaufen und aß mit ihnen, verbrachte Zeit mit so vielen verschiedenen Menschen. Und sie?
»Ich habe eine Zeitlang mit meiner Familie Spiele gespielt. Brettspiele. Und Xbox mit meinem Bruder. Und ich habe Jazz. Meine Freundin. Und Leon. In den letzten Tagen habe ich meiner Mutter in der Küche geholfen. Ich glaube, Kochen könnte mir Spaß machen.«
Sie hörte selbst, wie unzulänglich ihre Verteidigungsversuche klangen. Himmel, sie war verloren! Und Frau Volckmann-Doose war längst nicht fertig mit ihr.
»Wenn etwas dich traurig macht oder aufwühlt, wo suchst du Trost?«
Die Antwort stand Vany sofort klar vor Augen: bei Deckx. Nichts konnte sie so gut ablenken und trösten wie seine Stimme. Wie war es vor Deckx gewesen? Wo hatte sie da Trost gefunden?
»Bei meinem Bruder. Und bei Jazz, meiner besten Freundin.«
Die Antworten klangen gut. Natürlich. Gesünder. Und sie waren gelogen, denn im Moment wollte Vany weder von Jazz noch von ihrem Bruder Trost. Frau Volckmann-Doose schien die Lüge zu riechen.
»Verheimlichst du deinen Eltern oder anderen, wie viel Zeit du damit zubringst, Videos zu sehen?«
Erneut ins Schwarze. Vany dachte an ihren Laptop, der im Dunkeln ihres Kleiderschrankes auf sie wartete. An das geheime Profil, das sie angelegt hatte. Mehr Heimlichkeit ging schon gar nicht mehr. Sie schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf.
»Ich glaube nicht.«
»Wie reagierst du, wenn dich jemand beim Gucken deiner Videos stört? Macht dich das wütend?«
Vany verzog unwillkürlich den Mund. Sie erinnerte sich daran, wie sie die erste WhatsApp von Leon bekommen hatte. Wie Tim ihr den Laptop weggenommen hatte. Was passierte hier mit ihr? Wie konnte es sein, dass jede dieser Fragen sie mitten ins Herz traf?
»Ich bin ziemlich oft wütend in letzter Zeit«, gab sie kleinlaut zu. Diesmal war es an Frau Volckmann-Doose zu nicken.
»Ja, das bist du. Und du bist sehr durcheinander. Das sehe ich. Ich will dir nicht verheimlichen, dass ich mir, genau wie deine Eltern, Sorgen um dich mache. Ich glaube, dass du in großer seelischer Not steckst, und ich fürchte, dass meine Mittel, dir hier zu helfen, begrenzt sind. Deine Eltern wollen es nicht sehen, aber ich halte eine längere und intensivere Therapie für angebracht.«
Lang und intensiv? Was sollte das heißen? Tägliche Sitzungen? Oder sogar eine Klinik wie die, in der Annikas Schwester ihre Magersucht behandeln ließ?
»Wir stehen kurz vor den Abiturprüfungen und während dieser Zeit warten andere Aufgaben auf mich. Und auch in den Maiferien werde ich nicht für dich da sein können. Ich habe deinen Eltern die Adressen von ein paar Kliniken zukommen lassen, die in Frage kämen, sie waren jedoch der Meinung, dass sie dir erst einmal die Chance geben wollen, selbst wieder auf Kurs zu kommen.«
Der Tonfall in Frau Volckmann-Dooses Stimme machte deutlich, dass sie nicht davon ausging, dass Vany es allein schaffen würde. Vany war wie vor den Kopf gestoßen. Sie hatte sich so fest vorgenommen, heute mit der Schulpsychologin ehrlich zu sein und alles aus diesem Gespräch mitzunehmen, was nur irgend ging. Doch das Gespräch hinterließ nur ein Gefühl bei ihr: Die Psychologin gab sie auf. Genau so, wie Leon sie aufgegeben hatte. Oder ihr Bruder. Vany spürte, wie ihr Innerstes gefror. Eine dicke Schicht aus Eis legte sich wie ein Panzer um ihr Herz, jagte Eiswasser durch ihre Adern und kühlte alles runter. Selbst ihre Gedanken wurden langsamer und klarer. Der Plan, offen und ehrlich zu sein, war fehlgeschlagen. Es wurde Zeit für Plan B. Und Plan B hieß »So tun als ob«.
»Verstehe«, sagte sie und versuchte, ihrer Stimme die Festigkeit von Eis zu geben. »Nun, dann werde ich mal mein Bestes geben, selbst wieder auf Kurs zu kommen. Ich bin schon voll dabei. Ich nutze den Laptop eigentlich gar nicht mehr. Ich habe ihn in meinen Kleiderschrank gelegt, wo ich ihn nicht ständig sehen muss. Ich habe mich mit meiner besten Freundin vertragen. Und ich habe am Samstag mein Team besucht. Ich habe sogar den blöden Dirk Ahlfeld dort getroffen und wissen Sie was: es war mir egal. Es passt mir zwar nicht, dass er dort rumhängt und einen auf Trainerassistent macht, aber es war mir egal. Ich lasse mich von ihm nicht daran hindern, mein Team anzufeuern und aus der Fassung bringt er mich auch nicht mehr. Der ist doch nur ein Lutscher und irgendwann wird er es leid sein, meinem Team zuzusehen. Jedes meiner Mädchen ist zwanzigmal besser als er es je sein wird.«
Frau Volckmann-Doose hatte kein einziges Wort von Vanys flammender Rede mitgeschrieben und das irritierte Vany noch viel mehr als ihre ewige Kritzelei. Sie ließ sich nichts anmerken, saß aufrecht und hielt dem Blick der Schulpsychologin stand. Wenn sie nur irgendetwas sagen würde! Das tat sie allerdings nicht, also fragte Vany: »Kann ich dann jetzt gehen?«
Frau Volckmann-Doose zuckte die Achseln. »Du hast mir deinen Standpunkt klargemacht und du kennst meinen. Ich glaube nicht, dass ich dir helfen kann. Dafür reicht meine Ausbildung nicht aus. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass du professionelle Hilfe benötigst und wenn du gerade so einsichtig bist, überzeugst du deine Eltern vielleicht davon.«
Wie bitte? Was? Vany sollte zu ihren Eltern gehen und sie darum bitten, in die Klapsmühle gesteckt zu werden? Vany erhob sich langsam und bekräftigte mit Eisesstimme: »Wissen Sie, meine Eltern kennen mich ganz gut. Wenn sie der Meinung sind, dass ich das allein schaffe, dann schaffe ich das auch allein.«
Damit wandte sie sich um und verließ das Büro. Es war schwer zu beschreiben, was sie fühlte. Bis zu diesem Termin hatte sie an ihrem Leben als Vany festgehalten. Sie hatte in Betracht gezogen, den Rebekka-Plan fallen zu lassen und sich tatsächlich auf das wahre Leben zu konzentrieren. Aber laut Aussage ihrer Psychologin war die wirkliche Vany besser in einer Irrenanstalt aufgehoben. Vany versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken. Sie bewegte sich wie ferngesteuert und hatte das seltsame Gefühl, gar nicht richtig real zu sein. Als wäre Rebekka die reale Person und Vany eine Erfindung. Es war noch Unterricht und während der laufenden Stunde kam Vany nicht in die Turnhalle. Dafür hätte sie einen Schlüssel gebraucht oder gegen eine Scheibe klopfen müssen, was vermutlich eh keiner bemerkt hätte. Zu spät zum Sport zu kommen, hieß, dass man draußen warten musste. Also ging sie in die Mensa, in der lediglich ein paar Oberstufler saßen, die sich leise unterhielten. Vany setzte sich an Leons bevorzugten Tisch und wartete. So hatte sie sich noch nie gefühlt. Es war ein bisschen, als würde die Zeit stillstehen. Sie fühlte sich vollkommen losgelöst von sich selbst. Es war ein beunruhigendes Gefühl, als hätte sie ihren Körper verlassen und wüsste jetzt nicht, wie sie zurückkehren sollte. Sie starrte vor sich hin und war kaum in der Lage auch nur einen Finger zu bewegen. Sie hoffte so sehr, dass jemand kommen und sie schütteln würde und dann wäre alles wie vorher, aber es kam niemand. Und als es endlich zur Pause klingelte, war es Vany, als hätte sie jeglichen Kontakt zu sich selbst für immer verloren. Von nun an galt nur noch ein Plan: »So tun als ob.« Sie würde allen etwas vorspielen. Sogar sich selbst. Und wenn sie darin richtig gut wurde, würde sie sich vielleicht irgendwann einmal selbst glauben.
5: So tun als ob
Jazz war als Erste bei ihr, ließ sich neben sie fallen und fragte: »Hey, alles klar? Wie lief’s bei der Psychotante?«
Vany legte den Schalter um, knipste das Lächeln an und СКАЧАТЬ