Название: Die Habsburger und das Übersinnliche
Автор: Gabriele Praschl-Bichler
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783902998361
isbn:
Die stete Auseinandersetzung mit dem immer selben Thema, der nicht auszuschließenden hohen Ahnenschaft, war wohl auch einer der Gründe, warum er sich in seinen Büchern so häufig mit den Habsburgern auseinandersetzte. Und das auf sehr zwiespältige Weise: Denn während er über die früher lebenden Mitglieder der Familie zum Teil sehr amüsante und historisch bemerkenswerte Berichte verfaßte, fand er für seine Zeitgenossen aus der Kaiserfamilie meist nur hämische und bösartige Bemerkungen. Besonderen Haß hegte er gegen den letzten Regenten von Österreich, Kaiser Karl, eines der sanftmütigsten und friedvollsten Mitglieder der Familie. Beinahe möchte man glauben, daß Lernet-Holenia, der Möchtegern-Erzherzog, ihm den Status als Thronfolger und Herrscher neidete. Bei all der Aufmerksamkeit, die er dem einen bestimmten Thema widmete, vergaß der Schriftsteller in seiner Aufregung allerdings auch, daß er selbst als anerkannter außerehelicher Sohn Erzherzog Karl Stephans nur einen der hintersten Ränge in der Familie eingenommen hätte und für eine Thronanwartschaft ohnehin niemals herangezogen worden wäre. Denn laut Familiengesetz wurden dafür zunächst die legitimen männlichen Nachkommen herangezogen, im Fall ihres Aussterbens die ehelich geborenen weiblichen Familienmitglieder. Erst bei Erlöschen aller Stämme hätte man auf einen natürlichen Abkömmling zurückgegriffen. Und selbst da lag Lernet-Holenia auf einem schlechten Platz. Denn von den etwa fünfzig männlichen Erzherzogen, die damals lebten, gab es eine ganze Menge anerkannter natürlicher Sprößlinge, die von wesentlich ranghöheren Erzherzogen abstammten als Karl Stephan.
Kaiser Joseph II. und sein ihm nachfolgender Bruder, der spätere Kaiser Leopold II., sollen als erste Habsburger von der Weißen Frau in der Hofburg heimgesucht und von ihr vor einer drohenden Katastrophe gewarnt worden sein.
Doch zurück zur Weißen Frau in der Hofburg, die – Habsburger Ahnenschaft hin oder her – in diesem Band einen wichtigeren Inhalt darstellt als die Biographie Lernet-Holenias. Die Geschichte dieser Licht-Gestalt reicht in die Zeit der Habsburger Herrschaft zurück, während der sie sogar mehrere Regenten heimgesucht zu haben schien: »Immer wieder soll dem jeweiligen Kaiser vor einer drohenden Katastrophe nachts eine Frau … erschienen sein. Von Joseph II. bis zu Kaiser Franz Joseph I. soll sie alle kontaktiert haben …« (Berger/Holler, S. 146) Gemäß der Nachforschungen Lernet-Holenias will man die Weiße Dame »besonders in früheren Tagen … mehrmals gesehen haben, die – übrigens entfernt mit uns verwandt*) – hin und wieder aus dem sogenannten Amalientrakt in den Reichskanzleitrakt herübergeistern soll. Der Amalientrakt ist ursprünglich die Stadtburg der Grafen von Cilli gewesen, und die Weiße Dame war selber eine Gräfin von Cilli und daher auch mit den Habsburgern verwandt. Trägt sie weiße Handschuhe, so bedeutet ihr Erscheinen eine Geburt im Erzhause, und trägt sie schwarze Handschuhe, so kündet sie den Tod eines Habsburgers oder einer Habsburgerin an … (Während der Zeit der Monarchie wurde sie letztmalig) übrigens nicht in der Hofburg, sondern im Schloß Schönbrunn (gesehen), und zwar in der Nacht, bevor die Kaiserin vom Anarchisten Luccheni in Genf mit einer Feile erstochen worden war. Da hatte einer meiner entfernten Verwandten, ein Boyneburg, der einer … erlittenen Kopfverletzung wegen zur Garde versetzt worden war, in Schönbrunn Dienst zu tun, als sein dienstführender Wachtmeister erschien und meldete, in den Gängen treibe sich eine seltsame Gestalt umher, die auf keinerlei Anruf stehenbleibe und sich nicht zu erkennen gebe. Richard Boyneburg, als er diese Meldung empfing, folgte dem Wachtmeister sogleich auf die Vorplätze und sah dort tatsächlich die rätselhafte Gestalt*), die auch seinem Anrufe nicht entsprach und sich allen weiteren Versuchen, ihre Natur zu erforschen, nunmehr durch alsbaldiges endgültiges Verschwinden entzog«. (Lernet-Holenia, S. 268f.)
Für die Deutung einer so gespaltenen Natur, wie Lernet-Holenia sie war, ist eine Episode wie diese besonders aufschlußreich. Denn obwohl er sich nachweislich mit Parapsychologie beschäftigte, klingt der Ton seiner Erzählung doch sehr spöttelnd, ihr Wahrheitsgehalt ihm eher unglaubwürdig. Um beim Leser der Geschichte keinen Zweifel von seiner persönlichen Meinung aufkommen zu lassen, läßt er als Helden den »nur entfernt« verwandten Richard Boyneburg auftreten (zum Beweis der großen Entfernung schrieb er »Boyneburgk« wohl auch absichtlich falsch, obwohl sogar sein Halbbruder aus der ersten Ehe seiner Mutter so hieß. Und als eifriger Beinahe-Erzherzog unterließ er auch die Erwähnung, daß es sich bei Boyneburgks um eine sehr alte freiherrliche Familie handelte). Schließlich kam ihm die erlittene Kopfverletzung des entfernten Vetters ganz recht, um dem Leser anzudeuten, daß man eben nicht alles glauben mußte, was dieser Verwandte erzählte.
Blick auf den Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg. In der 800 Jahre alten Habsburger Stadtresidenz wurden die meisten Erscheinungen wahrgenommen. Der Schriftsteller Lernet-Holenia, der als Mieter in der Burg wohnte, scheint dort sogar der Weißen Frau begegnet zu sein.
Als in der Öffentlichkeit bekannter Mann, der wegen seiner nie geklärten Abstammung über eine heftige gesellschaftliche Unsicherheit verfügte, fürchtete Lernet-Holenia, sich mit Geschichten wie diesen lächerlich zu machen. Daß er der sprichwörtliche Philosoph geblieben wäre, wenn er sie gar nicht veröffentlicht hätte, hat er nicht bedacht. Noch dazu, wenn zuletzt in der vor sechs Jahren erschienenen Biographie von Roman Rocek herauskam, daß er sehr wohl an paranormale Phänomene glaubte und sogar an spiritistischen Sitzungen teilnahm. Ja »Lernet (behauptet sogar), selbst die Weiße Frau gesehen zu haben, von der es heißt, daß sie in der Hofburg umgehe.« (Rocek, S. 107) Statt dessen schrieb er, daß »man, besonders in früheren Tagen, die sogenannte ›Weiße Dame‹ gesehen haben« will. So hat also laut seiner Aussage nicht er, sondern irgend jemand anderer – ein unpersönlicher »Man« – das Erzählte erlebt. Und selbst das drückte er im Text so aus, als ob er es bezweifelte. Denn anstelle von »hat gesehen« verwendete Lernet-Holenia die Möglichkeitsform, also die Wendung, daß derjenige alles nur »gesehen haben will«. Selbst dadurch versuchte er dem Leser noch einzureden, daß er an so etwas ohnehin nicht glaubt.
In Wahrheit war er aber nicht nur ein übersensibler Künstler, sondern sogar besonders außersinnlich begabt. Diese Überempfindlichkeit hinderte ihn mitunter sogar an der Schreibarbeit, weil er Angst vor »möglichen spirituellen Einflüssen (anwesender Personen hatte) … Diese Sensibilität für kaum wahrnehmbare geistige Einflüsse machte ihn auch empfindlich für außersinnliche Erscheinungen und mediumistische Phänomene … Auch erzählte er eines Tages von der höchst unwahrscheinlich klingenden Vorhersage, die ein Medium in seiner Jugend gemacht hatte. Es kündigte an, daß ein Bauer aus Mosburg die Familie Purtscher (Freunde seiner Familie) verklagen werde. Das geschah denn auch … Sein von Alfred Winterstein während der gemeinsamen Militärzeit gewecktes Interesse für Spiritismus … gewinnt hier praktische Dimensionen.« (Rocek, S. 106ff.) Daß Lernet-Holenia diese Liebe für paranormale Erscheinungen auch häufig in sein literarisches Werk übernahm, erklärt sein Biograph so: »Man verstehe mich aber richtig: es ist nicht das Spiel mit dem Paranormalen, nicht allein die Spekulation mit dem Effekt; Lernet ist vielmehr auch immer der Ergriffene …« (ders., S. 109)
Noch konkreter wurde Lotte Ingrisch in ihrem »Reiseführer ins Jenseits«, die keine Sekunde an den parapsychologischen Fähigkeiten Lernet-Holenias zweifelte. Sie veröffentlichte in diesem Buch sogar einen Brief des Schriftstellers aus dem Jahr 1974 an sie, in dem er von einer der bezauberndsten außersinnlichen Wahrnehmungen erzählte. Demnach waren ihm mehrmals in seinem Leben einige seiner verstorbenen Haustiere wiedererschienen: »Übrigens … hat es hier (in der Hofburg) wieder gegeistert, und zwar war’s unser vor mehr als einem halben Jahr verstorbener Hund Cinderella, der sich zweimal СКАЧАТЬ