Название: Die Familie Lüderitz
Автор: Paul Enck
Издательство: Автор
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783873222984
isbn:
Der Schritt der Mutter, das Haus in der Markgrafenstraße im Jahr 1875 zu verkaufen, hatte für einige Familienmitglieder, insbesondere aber für Lucie selbst, weitreichende Folgen. Der Verkauf brachte zwar einen substantiellen Erlös und sicherte die Ausbildung von Carl, Elisabeth und Hermann. Es bedeutete jedoch, dass sie zukünftig darauf angewiesen war, Wohnungen mit günstigen Mietbedingungen zu finden. Im Berlin der folgenden Jahre stiegen die Miet- und Immobilienpreise dramatisch, häufige Wohnungswechsel und Umzüge waren die zwangsläufige Folge. Lucie wohnte bei Hermanns Rückkehr nach Berlin in der Hornstraße 22 in Luisenstadt (Kreuzberg), nicht gerade nahe an Hermanns Seminar, aber Berlin im Jahr 1888 war mit 1,45 Mio. Einwohnern noch überschaubar. Die Hornstraße war auch die Adresse, die Hermann bei seiner Immatrikulation in Berlin angab.
Wir wissen nicht, was Hermann bewogen hat, sich ausgerechnet für das marokkanische Arabisch zu entscheiden, aber wir denken, dass der Entschluss, nach Marokko zu gehen, bereits bei Aufnahme des Sprachstudiums festgestanden haben muss. Er brauchte schließlich, da er sich in der Referendarzeit befand, eine Befreiung von anderen Dienstpflichten, um überhaupt an diesem Intensiv-Unterricht teilnehmen zu können. Es gibt ein von Elisabeth Lüderitz gemaltes Bild des Familienrates aus dem Jahre 1888, das offenbar diese Entscheidungssituation zeigt und die unterschiedlichen Einschätzungen der Beteiligten wiederzugeben scheint (–> Titelbild)
Hermann Lüderitz wurde Ende 1889 auf seinen Wunsch hin von der Ministerresidentur in Tanger als Dragomanats-Eleve – als „Dolmetscher-Lehrling“ – übernommen. Mit seiner doppelten Ausbildung war er für diese Aufgabe bestens qualifiziert, da er sich als Dragoman und später als Konsul nicht nur mit den marokkanischen Behörden auseinandersetzen musste, sondern weil er auch den Vorsitz im Konsulargericht hatte, das Zivil- und Strafsachen verhandelte. Das betraf nicht nur Konflikte innerhalb der deutschen Kolonie, sondern die Europäer genossen in Marokko das Privileg, dass auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Deutschen bzw. einem deutschen Schutzgenossen und einem Marokkaner das deutsche Konsulargericht zuständig war.
Drei Jahre später war Hermann allerdings noch immer nicht in einem festen Amt. Er unterstand weiterhin dem preußischen Justizministerium, das ihn für den Dienst im Auswärtigen Amt stets aufs Neue beurlauben musste.
Im Februar 1893 wandte er sich in einem Privatbrief an einen nicht näher bekannten Geheimrat im Auswärtigen Amt, um diesem „meine Sorge um meine Zukunft, um meine Karriere“ zu unterbreiten. Da der syrische Dragoman Melhameh die Stelle blockierte, war Lüderitz nur „als diätarisch angestellter Beamter“ außerplanmäßig beschäftigt, „ohne jede Aussicht auf feste Anstellung“ im auswärtigen Dienst. Er habe die „sichere, wenn auch langsame Karriere“ im preußischen Justizdienst aufgegeben und bat den Adressaten des Schreibens, dafür zu sorgen, dass die „quälende Ungewißheit“ und die daraus entstehende Unzufriedenheit zu einem Ende kommen möge. Die Bitte hatte offenbar insofern einen gewissen Erfolg, als ihm nur einen Monat später, am 7. März 1893, der „Titel eines zweiten Dragomans beigelegt“ wurde.
Dass er das marokkanische Arabisch sehr gut beherrschte, zeigt auch das folgende Beispiel: Im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen, die sich mit Fragen des marokkanischen Rechts befassten und darüber auch promovierten, veröffentlichte er 1899 in den „Mittheilungen des Seminars für Orientalische Sprachen“ einen Beitrag zu „Sprüchwörtern aus Marokko mit Erläuterungen im Dialekt des nördlichen Marokko“ (4), mit dem sich Georg Kampffmeyer, einer der führenden Arabisten seiner Zeit und seit 1906 Dozent am Seminar für Orientalische Sprachen, in der gleichen Zeitschrift recht kritisch auseinandersetzte (5). Im selben Heft aus dem Jahre 1899, in dem der Lüderitz-Artikel erschien, findet sich jedoch ein kritisch-lobender Kommentar eines weiteren Experten (6). Dies spricht für mehr als ein rein technisches Interesse an Sprachkompetenz in einem fremden Land. Hier kam möglicherweise das musisch-künstlerisch-kulturelle Interesse der Familie Lüderitz zum Tragen.
Zwischendurch muss Hermann allerdings zuhause gewesen sein: Wir fanden ihn auf der Passagierliste eines Dampfers von Hamburg nach Tanger am 16. Oktober 1891 und spekulierten, dass er in dieser Zeit seine spätere Frau kennengelernt haben könnte. Er heiratete allerdings erst 1902.
Aber seine Karriereprobleme waren keineswegs gelöst, obwohl er in Tanger die Protektion seiner Vorgesetzten genoss. Als 1895 der unglücklich agierende Vizekonsul, der Kaufmann Heinrich Ficke, in Casablanca abgelöst und durch einen Berufskonsul ersetzt wurde, übertrug man Lüderitz die kommissarische Vertretung der Dragomanatsstelle in Casablanca. Der neue Konsul, August Freiherr von Brück, verfügte weder über Landeserfahrung noch über Sprachkenntnisse.
Bereits im März 1897 kehrte Lüderitz nach Tanger zurück, jetzt als Dragoman. Offenkundig nutzte er die folgende Zeit, um auch seine konsularische Ausbildung abzuschließen. Im September 1901 wurde ihm der Charakter als Konsul verliehen. Mit der Übernahme als Konsul war seine weitere Karriere insoweit gesichert, dass er ans Heiraten denken konnte. In einem Brief vom 24. September 1902 aus Berlin an seinen obersten Dienstvorgesetzten, Reichskanzler von Bülow, kündigte er die baldige Vermählung mit Fräulein Victoria Ribbeck aus Coburg an. Hermann und Victoria bestellten am 12. Oktober 1902 das Aufgebot und heirateten am 3. November 1902 in Coburg.
Von April bis Juli 1902 wurde er kommissarisch als Konsul in den beiden Königsstädten Marrakesch und Fes, wo es noch keine Berufskonsulate gab, eingesetzt. 1903 war er abermals Dragoman in Tanger. Spätestens seit Ende 1903 drängte dann der Gesandte Friedrich Freiherr von und zu Mentzingen im Auswärtigen Amt darauf, Lüderitz endlich auf die Stelle eines Konsuls zu berufen. Mentzingen fühlte sich auch dazu verpflichtet, weil er Lüderitz nach einem „schweren Sturz“ in Fes nicht dorthin zurückgeschickt hatte, so dass sich dieser wieder zusammen mit seiner Frau in einer Warteposition befand. Auf Mentzingens Empfehlung hin wurde er 1905 vom Auswärtigen Amt übernommen und als Konsul in Casablanca eingesetzt.
Im Folgenden die Empfehlung im servilen Originalton des Friedrich Freiherr von und zu Mentzingen (1856 – 1922), kaiserlicher Gesandter in Tanger von 1899 bis 1904 (1,7), an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt in Berlin, Dr. Otto von Mühlberg (1843 – 1934) (8):
„Tanger, den 3. März 1904
An den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt
Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär!
Im November v.J. hatten Eure Excellenz die Güte, mir mündlich die Erfüllung meiner Bitte wegen Ernennung des Konsuls Lüderitz nach Casablanca in Aussicht zu stellen, nachdem ich dargelegt hatte, wie sehr sich der Genannte an Stelle des für jenen Posten ungeeigneten Konsuls Igen qualifizieren würde. ... Unterdessen sitzt Lüderitz seit über Jahr und Tag hier in äusserst unangenehmer Lage. Er muss mit seiner Frau in einem theuren Hotel leben, da er sich bei der Ungewissheit seines Schicksals nicht in einer Privatwohnung auf länger binden kann. Das ist sehr kostspielig, namentlich da die schon vorher sehr hohen Preise der Lebensmittel in den letzten Monaten um ca. 100 % gestiegen sind. Dabei kann ich nur wiederholen, dass er ein ausgezeichneter, besonnener und erfahrener Beamter ist. Im Auswärtigen Amt hat er aus mir unbekannten Gründen den Eindruck eines unruhigen Geistes gemacht. Vielleicht hat er sich dort nicht ganz geschickt benommen, aber ein unruhiger Geist ist er sicherlich СКАЧАТЬ