Название: Magdalenes Geheimnis
Автор: Christina Auerswald
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783954626588
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Sie tat nichts dergleichen. Der Onkel hielt sie die ganze Zeit starr am Arm. Er führte Magdalene bis vor Georg Rehnikel hin, der vor dem Altar wartete und sie mit seinen blanken dunklen Augen fest anschaute. Er war ein Anker in diesem Meer von Leibern. Viele unnütze Worte flossen an ihr vorüber und glitten durch die bunten Glasfenster hinaus in den Sommertag. Magdalene war, als stünde sie als einziger Mensch mitten in einem Ozean von nickenden Köpfen, geraunten Worten und staubtrunkener Luft. Sie fühlte sich einsam, so sehr, dass es schmerzte. Ihr Verrat an Jean, an dem Schwur, den sie ihm geleistet hatte, fühlte sich in dieser Stunde schwer an. Sie wurde zur Frau Rehnikel, doch sie wurde es nur mit Hilfe von Worten, nichts als Worten, von Menschen gesprochen, Menschen mit Sünden beladen. Magdalene spürte weder göttlichen Segen noch Fluch. Sie war deshalb die Rehnikelin, weil sich alle einig geworden waren und es in ein großes Buch schrieben. Heiraten ist ein großes Blendwerk, für die gemacht, die daran glauben, und diese Erkenntnis, so traurig sie auch war, erleichterte Magdalene ungeheuer.
Der Tag blieb anstrengend. Es war nicht nur das schwere siebengängige Mahl, das im Gasthof ›Zum Palmbaum‹ serviert wurde: Fasanensuppe, in Brühe geschmortes Wildbret und Pasteten, Fleisch von Rebhühnern, Tauben und Schnepfen, kleine gebackene Speisen vom Kalb mit Früchten, in Speck geschmorte Lachse, Forellen und Hechte, Fischpasteten und Krebsragout, gebackene, mit Zucker bestreute und gefärbte Eierspeisen und Mandelkonfekt. Man war der Stellung der Braut schuldig, dass es beim Essen an nichts fehlte. Als Magdalene am Abend, nach den nötigsten Gratulationen und dem Abtanzen der Brautkrone zum ersten Mal in ihrem Leben ihr neues Zuhause, das Rehnikelsche Haus, betrat, waren ihr die Glieder schwer wie Blei und die Lider brannten. Anstrengend an diesem Tag war die Luft, die um die Hochzeit herumschwebte, wie ein dichter Herbstnebel, beklemmend und unbarmherzig. Anstrengender noch waren das Getuschel, das hinter ihrem Rücken aufflammte, als wär’s die Spur ihres Weges, und die Unverschämtheit mancher Blicke.
Sie betraten das Grundstück durch einen Torbogen. Das Haus lag am Ende des Grasewegs, in der Nähe des Klaustores. Vom Gasthaus waren es ein paar Schritte, die gingen Georg Rehnikel und seine neue Frau nebeneinander. Magdalene spürte ihre Hand in seiner liegen und fühlte, dass er schwitzte. Sie sah, wie rot er war. Das würde die Vorfreude sein. Er glaubte, er ginge seiner Hochzeitsnacht entgegen. Magdalene dachte nicht daran, ihm heute Nacht irgendeine Freude zu bereiten. Das Herz klopfte ihr trotzdem. Links und rechts von ihnen stemmten sich die Pfeiler des mächtigen Torbogens in den Boden, Linien zu Mustern in den Stein gehauen, mit einem breiten umlaufenden Sims. Magdalene ging durch den Bogen, der in der Dunkelheit massig erschien, als wäre er von einem Riesen vor Urzeiten dorthin gepflanzt worden und bliebe bis zum Jüngsten Tage stehen.
Magdalene hatte, obwohl es ihr verboten gewesen war, in den letzten Tagen ein paar Mal mit Sybille sprechen können. Sie hatte sich jede Information über Herrn Rehnikel verschafft, die sie kriegen konnte, um den Preis von Sybilles Ungnade wegen ihrer unbefriedigten Neugier. Herrn Rehnikels Haus trug den Namen »Zu den drei Rössern«, den mochte man ihm gegeben haben, weil es einen Durchgang zum Innenhof besaß, breit genug für ein Fuhrwerk. Die Gasse unweit des Klaustores, an der das Haus lag, war mit buckligem Feldstein gepflastert. Viele Menschen zogen vor allem an den Markttagen durch, es war niemals still dort, eine quirlige, geschäftsträchtige Gegend. Das dunkle, zweigeschossige Gebäude an einer Straßenecke stand zwischen zwei höhere Bauten gepresst, die es mit ihren spitzen Giebeln niederzudrücken schienen.
Die Mauern des Hauses teilten sich deutlich in zwei Schichten. Das Untergeschoss, gemauert aus rauen, behauenen Quadern, war an manchen Stellen eine Armlänge dick. Die fleischfarbenen Steine lagen seit Generationen auf diese Weise aufeinandergeschichtet, und vor ebenso vielen Generationen war ihnen ein einziger großer Bogen als Einfahrt in den Hof gegeben worden. Luft drang durch schmale Schlitze in den Bau, so weit oben, dass kein Hochwasser sie bisher erreicht hatte, nicht einmal die große Flut vor fast hundert Jahren, von der die Alten sagten, es sei eine zweite Sintflut gewesen. Es gab zwei winzige quadratische Fenster in jeder Wand und zum Hof hin eine Tür. Vor wenigen Jahren hatte man erst ein richtiges Geschäft eingebaut, von außen zugänglich durch eine zusätzliche Tür. Obenauf saß wie ein Vogel im Nest ein Fachwerkgeschoss mit einem steilen Ziegeldach, mit verglasten Fenstern und einem Schornstein.
Magdalene war jetzt Herrin eines Haushalts, den sie noch nicht kannte und der viele Jahre lang gut ohne sie ausgekommen war. Magdalenes Füße wollten ihr nicht recht gehorchen und stehen bleiben wie die eines alten Weibes, das vom Gehen ausruht. Sie war noch nie hier gewesen, auch den bekannten Laden unweit der Saalebrücke hatte sie noch nie betreten. Nicht nur, dass die teuren Spezereien nicht von Bediensteten oder Unwissenden gekauft wurden, auch der Ruf des Händlers verhinderte den Besuch der neugierigen Mädchen. Herr Rehnikel war als komischer Kauz bekannt. Man wisperte hinter vorgehaltener Hand, er schließe sich abends in seine Kammer ein und braue Zaubertränke.
Er handelte mit allen Materialien, die ihm Gewinn brachten, er kaufte und verkaufte en gros. Im Laden allerdings bot Herr Rehnikel die Waren an, denen seine Vorliebe galt: den ausgefallenen Spezereien, seltenen Rinden, Wurzeln und Früchten. Herr Rehnikel war ein Liebhaber botanischer Seltenheiten. Sybille hatte ihr berichtet, dass man glaube, er wolle seine Schätze am liebsten behalten und gar nicht verkaufen; er wäre bloß von dem Wunsch getrieben, von allem und jedem ein Quäntchen zu besitzen, zu sammeln, um ein vollständiges Spektrum vorweisen zu können.
Georg Rehnikel führte Magdalene zu einer Tür links hinter dem eichenen Torflügel. Ein seltsam schwerer und würziger Geruch empfing Magdalene, als sie das Haus betrat. Es war derselbe Geruch, den sie an ihrem Mann bei der Verlobung wahrgenommen hatte. Herr Rehnikel wies mit der Hand auf die beiden anderen Türen im Erdgeschoss. »Da geht es in die Küche und auf der anderen Seite in den Laden. Das können wir uns morgen ansehen.«
Sie stiegen die Treppe hinauf ins Erkerzimmer, in dem ein kleines Kaminfeuer brannte. Vom Erkerfenster sahen sie herab auf die erleuchtete Straße und das Gewimmel vorm Gasthaus. Dort feierten die Hochzeitsgäste noch ausgelassen. Die Vornehmheit hinderte sie nicht, sich kräftig zu betrinken, einige grölten lautstark durcheinander. Magdalenes Onkel stand in der Tür und prostete jemandem zu. Es war eine klare, helle Nacht. Magdalene sah sein Gesicht, als stünde er mitten im Sonnenschein. Er lachte fröhlich und gelöst. Musikanten traten auf die Straße, einer fiedelte, einer stieß den Brummtopf. Die Leute begannen zu tanzen. Der Onkel erwischte einen Weiberarm, eingehakt sprang er wie ein Grünschnabel, in der Hand den Becher, aus dem die Gose schwappte.
Georg Rehnikel hielt noch immer Magdalenes Fingerspitzen. Mit dem anderen Arm fasste er sie und zog sie heran. Er kam ihr heute kleiner vor, seine runden grauen Augen sahen auf gleicher Höhe in ihre. Sein Mund näherte sich. Sie begriff, was er vorhatte, und senkte den Kopf. Seine Lippen trafen ihre Stirn.
Sie schwiegen lange. Magdalene hielt den Blick auf die Holzdielen geheftet, denn sie wollte nicht die Erste sein, die sprach. Sie hatten den Tag über keine Zeit gehabt, ein einziges Wort unter vier Augen zu wechseln. Herr Rehnikel nahm den Arm von ihrer Schulter.
»Wo ist Hans?«, fragte sie. »Man hat mir gesagt, dass sie den Hans hierher bringen würden.«
Georg Rehnikel nickte und wies mit der Hand auf eine Tür, die links der Eingangstür in einen weiteren Raum führte. Er ging vor, öffnete sie und schritt durch einen kleinen gefangenen Raum mit Schreibpult und Bücherschrank weiter in das nächste Zimmer. Das war das Schlafzimmer mit einem richtigen Kleiderschrank und zwei Truhen, einem großen Bett mit vier gedrechselten Säulen und einem Himmel aus Stoff.
Vor dem Fenster stand eine Wiege. Darin schlief tatsächlich Hans, ihr Sohn. Sie beugte sich über das Bettchen und strich ihm über die Wange. Sie hatte ihn den СКАЧАТЬ