Название: Norderende
Автор: Tim Herden
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783954623686
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„Ich denke schon“, antwortete Dora.
Vorsichtig gingen sie Schritt für Schritt auf dem Weg weiter. Nach fünfzig Metern tauchte die leuchtend rote Jacke des zweiten Sanitäters auf. Hinter ihm standen auch schon mehrere Leute, die von der Strandseite neugierig schauten, was passiert sei. Der Sanitäter strahlte mit einer Taschenlampe die Polizisten an und wies dann mit seinem Arm ins Wäldchen. „Hier entlang. Passen Sie auf die Wurzeln auf.“ Sie folgten dem Pfad und sahen bald ein Glühen. Es war Möselbeck, der Inselarzt. Er saß auf dem umgekippten Kahn und rauchte seine Pfeife.
„Tach zusammen, oder besser: Gute Nacht!“ Er stand auf. „Dann wollen wir mal.“
In Berlin hätte die Spurensicherung mit großen Scheinwerfern den Tatort taghell erleuchtet. Hier auf Hiddensee musste das flaue Licht der alten DDR-Stabtaschenlampe, Typ „Artas“, reichen, um den Toten in Augenschein zu nehmen.
Der Mann lag neben einem Angelkahn. Rieder erschien der kahle Schädel des Toten riesig. Die Augen waren weit aufgerissen, der Mund leicht geöffnet, als sei er über etwas sehr erstaunt. Die Kleidung wirkte eher schäbig, zur Insel passend. Rieder erinnerte sich, den Mann ab und zu auf der Insel und auch im Rathaus gesehen zu haben.
„Peter Stein. Siebenundfünfzig Jahre alt, achtzig Kilo schwer, einsachtzig groß“, stellte Möselbeck den Toten vor. „Vielleicht wäre es mir gar nicht so unnormal erschienen, dass er hier liegt. In seinem Alter ist ein Herzinfarkt nicht unüblich. Und Stein war ein Arbeitstier. Bluthochdruck ist eine Erbkrankheit in der Familie.“
Möselbeck machte eine kurze Pause. „Aber?“, fragte Rieder.
„Stein hat sich gerade durchchecken lassen in der Uniklinik Greifswald. Gestern habe ich ihm den Befund mitgeteilt“, erklärte der Inselarzt. „Alles okay. Herz, Lunge, Magen. Keine stillen Infarkte. Kein Magengeschwür. Nicht mal das Cholesterin war zu hoch. Wenn, dann hatte er nur ein, aus Männersicht würde ich sagen, das kleine Problem.“ Er sah Rieder und Damp vielsagend an und krümmte seinen ausgestreckten Zeigefinger.
„Impotent!“, rief Damp laut und hielt sich gleich die Hand vor den Mund.
„Zeugungsunfähig.“
„Na und? Seine Frau ist doch auch nicht mehr die Jüngste. Wollte die etwa noch Kinder?“
Möselbecks Blick zu Damp machte, selbst im schwachen Licht der Taschenlampe deutlich, was er von Damps Bemerkung hielt. Er hockte sich hin und winkte den Polizisten, es ihm gleich zu tun.
„Dann habe ich das hier entdeckt.“ Möselbeck beleuchtete die linke Gesichtshälfte des Opfers. „Sehen Sie die kleine Blutung?“
Der Arzt hielt den Strahl der Lampe auf die Schläfe. „Dort muss er einen Schlag abbekommen haben. Ziemlich heftig. Wahrscheinlich war er nicht gleich tot, aber bald.“
Sie standen wieder auf. „Ich will jetzt hier in der Dunkelheit auch nicht groß rummachen an dem Toten, Temperatur messen und so. Aber gefühlt ist er höchstens eine Stunde tot. Wie gesagt, der Schlag muss ihn nicht gleich erledigt haben.“
„Das bedeutet, Tatzeit und Todeszeit sind nicht identisch“, wandte Rieder ein. „Können Sie vielleicht in etwa sagen, wie viel Zeit zwischen dem Schlag und seinem Tod vergangen ist?“
Möselbeck schüttelte den Kopf. „Das kann nur eine Obduktion klären.“ Er stand auf. „Also Ihr Fall, meine Herren.“
„Aber was machen wir jetzt?“, fragte Damp in die Runde. Rieder nahm sein Telefon. „Ich rufe Behm an.“
Behm war Chef der Spurensicherung bei der Polizeidirektion Stralsund. Verschlafen meldete er sich.
„Mensch, Stefan, hast du mal auf die Uhr geschaut?“
„Hallo, Holm, habe ich. Aber leider haben wir hier einen Toten, wahrscheinlich erschlagen.“
„Oh nein, sag, dass das nicht wahr ist!“, fluchte Behm. „Wie sollen wir denn jetzt auf die Insel kommen? Wo liegt er überhaupt?“
„Am Zeltkino.“
„Kann ihn nicht bei irgendeinem Thriller der Schlag getroffen haben. Die Herbsturlauber sind doch meist etwas älter. Eine Autojagd, eine Schießerei ... da kann doch so was schon mal passieren, wenn die Pumpe nicht mehr so richtig will.“
„Ich muss dich enttäuschen. Kein natürlicher Tod. Möselbeck ist sich sicher.“
„Tja, dann ... ich versuche, die Truppe zusammenzukriegen und zu euch rüberzukommen. Ich melde mich wieder.“ Damit legte Behm auf.
„Kommen sie aus Stralsund?“, fragte Damp. Rieder zuckte mit den Schultern.
Kaum zehn Minuten später rief Behm an.
„Nichts zu machen. Wir kommen nicht rüber. Ich habe mit der Wasserschutzpolizei telefoniert. Es ist dicker Nebel angesagt. Da wollen die nicht los. Ist ihnen zu gefährlich.“
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Rieder.
„Den Tatort sichern.“
„Toller Vorschlag. Wir haben hier nicht mal Scheinwerfer. Es gibt eine Taschenlampe. Und die gehört dem Arzt.“
„Na, wenn ihr da im Dunkeln schon hübsch rumgetrampelt seid, ist doch sowieso jede Spur zerlatscht. Da kann ich mir die Bescherung auch noch morgen früh ansehen.“
„Sollen wir den Toten hier so lange liegenlassen? Vielleicht noch Totenwache halten?“
Rieder hörte Behm durchs Telefon auflachen.
„Haste Angst, er könnte zur Geisterstunde wieder lebendig werden. Sag dir immer: ‚Wer tot ist, beißt nicht.’ Nee, im Ernst. Den könnt ihr wegtragen und morgen nach Greifswald schicken, nachdem ich ihn mir angesehen habe. Es gibt doch auf Hiddensee sicher irgendeinen Ort, wo die Toten bis zur Beerdigung aufgebahrt werden.“
„In der kleinen Kapelle auf dem Inselfriedhof in Kloster. Ich rufe den Pfarrer an.“
„Wir sehen uns dann morgen früh, wenn der Nebel weg ist. Ich melde mich, wenn wir von Stralsund losmachen.“
Behm beendete das Gespräch.
„Nebel? Ist doch gar kein Nebel“, meinte Damp.
Auch Rieder wunderte sich. Als er in Richtung Ostsee schaute, waren im hellen Mondschein nirgendwo Nebelschwaden zu entdecken. Aber was sollte er machen?
„Wenigstens müssen wir hier nicht die ganze Nacht hocken und den Toten bewachen“, meinte Damp erleichtert.
„Die Sanitäter haben einen Bodybag an Bord“, meldete sich der Inselarzt. „Ich kümmere mich darum, dass sie die Leiche verpacken.“ Damit verschwand er in der Dunkelheit und mit ihm das letzte Fünkchen Licht.
„Brauchen Sie mich noch?“, fragte Dora Ekkehard. Sie hatte die ganze Zeit schweigend abseits gestanden. Rieder hatte sie beinahe vergessen.
„Ja, СКАЧАТЬ