Название: Fahlmann
Автор: Christopher Ecker
Издательство: Автор
Жанр: Современная зарубежная литература
isbn: 9783954620906
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«Ja», schrie Bahlow. «Meine Braut will mir schreiben.»
Janensch brach in schallendes Gelächter aus.
«Um noch einmal auf die Post zurückzukommen», begann Bahlow zornig und verlor den Faden. Er glaubte sich daran zu erinnern, vor nicht allzu langer Zeit selbst einen Briefumschlag in die Innentasche der Jacke gesteckt zu haben. Aber weshalb sollte er das getan haben? Bahlows Hand tastete durch die Schwärze, fand den Faden und packte ihn. «Ich kann also davon ausgehen», heftige Lenkbewegungen vollführend wandte er sich an Hennig, «dass ein Brief, der, nehmen wir einmal an, heute in Kiel abgeschickt wird, etwa in ein oder zwei Monaten hier am Tendaguru ankommt?»
«In der Regel verhält es sich ganz so, wie Sie meinen», sagte Hennig, «aber zur Zeit des Süd-Monsuns kann es zu schweren Verspätungen kommen.»
Ihr Verbündeter ist der Süd-Monsun. Bahlow baute sich schwankend vor Janenschs Kiste auf. «Und wann weht dieser Süd-Monsun?» Kuiders Bemerkung gewann überraschend Sinn.
«Man höre und staune!», rief Janensch. «Auf einmal wird er wieder munter, unser müder Krieger! Vive la femme!»
Ohne den Scherzreden Beachtung zu schenken, antwortete Hennig errötend: «Von Juli bis Oktober.» Rascher Überschlag, Juli, August, September, Oktober, sehr gut, mit etwas Glück bleiben mir vier Monate, starker Seegang, der Boden des Pavillons neigte sich, glitt in die Schräge wie ein Schiffsdeck, versetzte Bahlow einen heftigen Schwinger. Blutet er? Ich glaube nicht. Kommen Sie! Hennig half dem Entomologen auf. Janensch zog die Glacéhandschuhe an und fragte in berechnender Beiläufigkeit: «Wen, sagten Sie, haben Sie in Marseille getroffen?»
Eiskalt: «Ich habe niemanden getroffen.»
«Ach so, ich dachte, Sie hätten vorhin einen Namen genannt.»
«Nein, habe ich nicht. Um Himmels Willen! Hören Sie endlich auf, mich zu quälen!» Blinzelnde Vogelpunkte über der rotglühenden Ebene, Gesang umwehte den Pavillon: Im Dorf der Arbeiter wurde gefeiert. Hennig zupfte an Bahlows Ärmel wie eine lästige Meerkatze, Janensch nahm die Brille ab, und sein Gesicht zog sich in die Länge, als er mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Tränensäcke massierte. «Sie müssen mich entschuldigen», stammelte Bahlow. «Ich kann kaum mehr klar denken.» Und endlich führte man ihn zu seiner Unterkunft, einer Bambushütte mit lehmverstärkten Wänden und strohgedecktem Dach. Nachdem er eine gute Stunde geruht hatte, machte er sich mit kühlem Kopf daran, das Gepäck zu verstauen. An der Wand hing ein geschmackloses Bild, ein vorwurfsvolles Echo Valdskys: Der Heiland lässt schmale, weibische Hände segnend über den Köpfen von glücklichen Schafen schweben. Ansonsten deutete bis auf eine Sicherheitsnadel, die Bahlow unter dem Feldbett fand, nichts darauf hin, dass die fensterlose Hütte jemals bewohnt gewesen war. Er steckte die Sicherheitsnadel in die Hosentasche. Feldbett, Tisch, dreibeiniger Hocker, aber es gab wenigstens Regale. Diese füllten sich rasch mit entomologischen Gerätschaften, die Kleider blieben in Seesack und Reisetasche, die Bücher wanderten unsortiert in ein Regal über dem Kopfende des Feldbettes. Einige Bände von Charles Oberthürs Etudes d’Entomologie waren darunter, die bahnbrechenden Arbeiten von John Head, Jakow Andrejitsch und Hans Pähp, Der Große Bobert natürlich und die üblichen Bestimmungsbücher, dicke Folianten mit Seidenpapier zwischen den Farbseiten. Bahlow, der es schon als Heranwachsender vorgezogen hatte, sich auf dem Dachboden des Internats zu verbergen, anstatt mit den Mitschülern im Aufenthaltsraum zu sitzen, genoss es, zum ersten Mal seit Tagen mit seinen Gedanken alleine sein zu dürfen.
Aber als er im Liegestuhl vor der Hütte im siebten Band von Jean-Henri Fabres Souvenirs entomologiques blätterte, um das letzte Licht des Tages auszunutzen, gesellte sich Salinski zu ihm, ein korpulenter Herr mit gerötetem, feuchtem Gesicht, platter Nase und dichtem, rotem Vollbart. Er war arglos und freundlich wie ein Marienkäfer. Sie plauderten über Fabre und das kleine Tischlein in Sérignan, an dem dieser seine Werke verfasst hatte, Salinski malte mit dem Spazierstock gedankenverlorene Krakel in den Sand. Der Dschungel, in dessen schwarz-grünem Meer der Tendaguru trieb, zirpte und klopfte und bereitete sich auf eine wilde Nacht vor. Plötzlich lachte der Pavillon auf dem Gipfel mit Janenschs Stimme und prustete etwas, das entfernt nach «baba kufa, mama kufa» klang, nein, das kann nicht sein, Bahlow nickte aufmunternd: «Fahren Sie bitte fort!»
August Salinski arbeitete, wie er aus dem Dossier wusste, für Adalbert Seitz, einen Mediziner und Lepidopterologen, der von 1893 bis 1908 Direktor des Frankfurter Zoos gewesen war und seit 1909 als Privatgelehrter in Darmstadt lebte, um sich der Herausgabe des mehrbändigen Die Groß-Schmetterlinge der Erde zu widmen. Salinski kannte bestimmt diese wunderbaren Spiele der Jugend. Ein Nachtfalter mit einer Nähnadel durch den Leib, der durch die Kammer flog. Oder man betäubte eine Fliege mit einem sanften Schlag der Klatsche, umwickelte ihren leblosen Körper mit einem Bindfaden und ließ sie steigen, wenn sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war, einen kleinen, pelzigen Drachen. «Und Sie arbeiten für Staudinger & Bang-Haas?», fragte der Marienkäfer. «Sie sind Außenagent der Firma?»
«Außenagent», bestätigte Bahlow. Alle sprachen dieses Wort aus, als hätte es etwas anderes zu bedeuten, als beinhaltete es wie eine verschlossene Schatulle etwas Seltsames, etwas Geheimnisvolles. Nun, er würde mitspielen! «Ich arbeite auch auf eigene Faust. So suche ich Käfer, um sie nach mir zu benennen», improvisierte er ins Blaue hinein. «Stellen Sie sich das vor! Ein afrikanischer Käfer, der meinen Namen trägt!» Bahlow sah seinen Namen durch das hohe Gras huschen und mit mächtigen Mandibeln eine fette Made packen. Der gefährliche Bahlow! Achtet auf den gefährlichen Bahlow, Mädchen, wenn ihr im Dschungel spazieren geht! Seine Zähne sind spitz, seine Zunge ist schnell!
«Welcher Käfer dürfte Ihren Namen tragen?», fragte Salinski.
«Nun … vielleicht am ehesten ein Käferpendant zum Attacus atlas Linné …»
«Zum was?»
«Zum Atlasspinner», erklärte Bahlow, ohne Verdacht zu schöpfen.
Im Lager der Arbeiter brüllte jemand wie ein Berserker.
«Von Geinitz ist zurück», sagte Salinski.
Das Geschrei hielt eine Weile an, Kisuaheli, Bahlow bewegte sich unbehaglich auf dem Liegestuhl, hörte wieder den abknickenden Aufschrei des Heizers, den satten Aufschlag des Körpers im glitzernden Wasser des Suezkanals, das der Dampfer durchschnitt wie das heimkehrende Volk der Israeliten. «Schlafen Sie wohl!» Nachdem sich der Lepidopterologe derart verabschiedet hatte, erhob Bahlow sich und sah, was jener neben seinem Liegestuhl in den Sand gemalt hatte: einen Kreis, den ein X in gleiche Viertel schnitt; ein dummer Zufall. In der Welt gibt es Zufälle, überlegte Bahlow, denn es gibt keinen Gott. Aber in einem Buch ist der Zufall ausgeschlossen: Hier hat alles Bedeutung. Er weigerte sich, weitere Schlussfolgerungen aus dieser Überlegung zu ziehen und betrat sein neues Zuhause. Die Repetieruhr gab acht Schläge von sich, metallisch hallend, als befände sich eine winzige Stadt in dem flachen Gehäuse, ein kleines mittelalterliches Städtchen, auf dessen bevölkerten Marktplatz sich das Miniaturläuten der Turmuhr senkte.
Bahlow entzündete die Petroleumlampe, verriegelte die Tür, lud sicherheitshalber die Luger, umwickelte sie mit dem öligen Zeitungspapier und schob СКАЧАТЬ