Fahlmann. Christopher Ecker
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Название: Fahlmann

Автор: Christopher Ecker

Издательство: Автор

Жанр: Современная зарубежная литература

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isbn: 9783954620906

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СКАЧАТЬ «Das bedeutet keine Mühe für Sie. Sie müssen bloß alles niederschreiben, und Ihre Hausarbeit ist in trockenen Tüchern!» Thomas Manns letzte Tagebucheintragung vom 29. VII. 1955 endet abgeklärt: Lasse mir’s im Unklaren, wie lange dies Dasein währen wird. Langsam wird es sich lichten. Soll heute etwas im Stuhl sitzen. – Verdauungssorgen und Plagen. Mir ging es seinerzeit kaum anders: Ich saß am Schreibtisch, hatte Darmdrücken und es erwies sich als schlichtweg unmöglich, das Referat zu rekonstruieren. Ich hatte alles vergessen. Langsam wird es sich lichten. Ich experimentierte mit Fenetyllin, mit Bier, mit guter und mit schlechter Laune, doch die Mosaikstückchen, die ich aus den Fenetyllinsümpfen zerrte, waren größtenteils unbrauchbar. Kurz streckte der Pastorensohn Grünlich den Arm aus dem Morast, winkte mir kraftlos zu, heiratete Tony und versank mit einem gellenden Aufschrei in der schwarzen Brühe. War Christian Buddenbrook nun mit einer Dame zweifelhaften Rufs namens Puvogel – oder Puffvogel? oder Pufforgel? – befreundet, oder spielte mir da mein Gedächtnis einen Streich? Vielleicht sollte ich mit Müller-Rosé aus dem Krull beginnen.

      Manns große Kunst der Namensgebung, schrieb ich zögernd, zeigt sich am Deutlichsten, fuhr ich Mut fassend fort, in der Figur des schäbigen Schauspielers Müller-Rosé, den Felix Krull mit seinem Vater in der Garderobe des Theaters (Namen des Theaters nachschlagen!) aufsucht. Dadurch dass Mann den deutschen Allerweltsnamen «Müller» (im Namenslexikon prüfen!) mit dem im Volksmund «Rosé» genannten Roséwein paart, erreicht er, Mann, einen komischen Kontrast von einer schalen Schäbigkeit, die auf den fetten, schwitzenden Träger dieses Namens zurückfällt. Langsam kam ich in Fahrt. Denn gerade beim Roséwein handelt es sich um ein Produkt zweifelhafter Güte. Für Roséweine, hastiges Blättern, bzw. Weißherbstweine werden die Rotweintrauben nach einigen Stunden von der Maische abgekeltert und anschließend wie weißer Most vergoren. Nach der Hauptgärung folgt meist eine gelindere Nachgärung, die einen biolog. Säureabbau usw. Ich schrieb den kompletten Eintrag aus Meyers Taschenlexikon ab und fühlte mich dabei noch schäbiger als der gute Müller-Rosé mit seinen entzündeten Pickeln und dem schlecht sitzenden Toupet. Und wie sollte ich mit Professor Kuckuck verfahren, der, wenn ich mich nicht täuschte, die letzten Seiten des Krull mit seiner beleibten (?) Anwesenheit erfüllt? Sollte ich etwa seitenweise ornithologischen Schwachsinn zum Besten geben? Kuckucke [niederdt.] (Cuculidae), weltweit verbreitete Fam. schlanker, vorwiegend braun und grau gezeichneter, sperling- bis hühnergroßer Vögel mit rd. 130 Arten, v. a. in Wäldern, Steppen, parkartigen Landschaften und bei Thomas Mann, dem ungekrönten Meister der Namensgebung, dem dornengekrönten Meister des geistreichen Tagebuchs.

      Sie wollen Beispiele, Professor Capart? Nun gut, hier sind die Beispiele, aber sagen Sie hinterher nicht, man hätte Sie nicht gewarnt! – Gedünstete Zwiebelringe bei der Arbeit verzehrt. K. klagt über meine schweren Blähungen (undatiert). – Verblüffend frühzeitiger Samenerguss mit dem beschämenden Gefühl artistischer Verfehlung und Unbeherrschtheit (2. III. 45). – Gute Laune dank Frivol (5. IV. 32) – Ich riss das Blatt aus der Maschine. Dieser Planet kann nicht kolonisiert werden! Dieser Fall wird nicht übernommen! Dieses Haus hat weder Fenster noch Türen! Ja, es überstieg meine Kräfte, diese Arbeit zu schreiben. Das alles raubte mir die Lust am Leben. Keine Sekunde länger durfte ich über diese bescheuerten Namen nachdenken! Was trinken Sie zum Geburtstag? – Einen Müller-Rosé, Frau Nutte! Ich konnte nicht länger an meinem eigenen Roman weiterarbeiten, wenn sich neben dem Schreibtisch der schiefe Turm der Thomas-Mann-Bände erhob. Vorwurfsvoll. Lindgrün. Doof. Ich brachte die Bücher zurück in die Universitätsbibliothek, wo sie hingehörten. Tage später verlegte ich den Zettel mit der amüsanten Namensliste. Zwei Wochen später erinnerte mich Polkinger lautstark daran (die tüteligen Damen von der Institutsbibliothek bekamen alles mit), dass ich den Abgabetermin der Hausarbeit längst überschritten hätte. Ich faselte etwas von plötzlichen Sterbefällen in der Familie und rief am selben Abend Professor Capart unter seiner Privatnummer an. «Die Arbeit ufert aus. Es war unumgänglich, einen langen Exkurs einzuschieben, zu dem größere Recherchen in der UB notwendig waren.» – Verwundert: «Einen Exkurs?» – «Ja, einen Exkurs über …» Fontane fiel mir ein. Und Reuter. – «Einverstanden. Reichen Ihnen drei Wochen?» – «Selbstverständlich.» – «Hat er dir noch Zeit gegeben?», rief Susanne aus dem Wohnzimmer.

      «Drei Wochen», sagte ich. «Das schaff ich nie!» Susanne lag auf der Couch und studierte die Fernsehzeitung. Unter dem Minirock konnte ich (erlaubter Voyeurismus) den weißen Keil ihres Höschens sehen. «Du sagst doch immer, das Studium wär so einfach. Zieh die Sache durch, dann hast dus hinter dir!» – «Ja, es ist einfach, aber ich kanns nicht!» Ich ließ mich in den Sessel fallen, auf den ihre Beine zeigten: noch mehr erlaubter Voyeurismus. Die Freibadbesuche mit Anja hatten Susannes Haut gebräunt und feine Härchen sichtbar gemacht. Sie sah gut aus, sie durfte ins Schwimmbad, und an mir ging das Leben vorüber wie ein dicker, reicher Mann mit Smoking, Zylinder und Zigarre an einem Cartoonbettler. Capart, was für ein kranker Name! Thomas Mann hätte ihn sich nicht besser ausdenken können! «Und wieso kannst du das Ding nicht schreiben?» – «Ich kanns einfach nicht.» – Susanne legte die Fernsehzeitung auf den Wohnzimmertisch, wartete. – «Früher», gestand ich, «habe ich gerne Thomas Mann gelesen … wie er die Erdbeeren … das ist ja wirklich verdammt gut geschrieben … aber alles, womit man sich an der Uni beschäftigt, wird einem vergällt … als würden sie einem Drogen ins Trinkwasser … Kommt heute was im Fernsehen?» – «Der übliche Mist.» Pause. «Ich geh nachher sowieso noch weg.» – «Noch weg», bemerkte ich matt. Bevor ich den Raum verließ, drehte ich mich um. «Ich … äh … wollt dir noch was sagen: Gut siehst du aus!» – «Danke», sagte Susanne und schlug die Fernsehzeitung auf.

      Das nächste Telefonat mit Capart hatte ich vier Wochen später geführt. Nun ging ich aufs Ganze und verwickelte ihn in ein längeres Fachgespräch. «In einem literarischen Werk ist die Namensgebung nicht unproblematisch. Eine dicke Frau kann Dommel heißen, ein Luder nie Doose. Ein Bestattungsunternehmer darf nie Grahlmann heißen. Ein alter, dünner Herr mit Hermann-Hesse-Brille kann aber durchaus Grahl heißen. Ein Name wie Gotter ist eine dunkle falsche Fährte; Raumhuber kommt nie aus der Kneipe nach Hause; Kasbohn riecht; aber Karlinski geht schon wieder. Das war jetzt vielleicht ein wenig zu unsachlich …» Leise klappte mein Doppelgänger, den ich die ganze Zeit über im Flurspiegel mit reserviertem Ekel beobachtet hatte, das Telefonbuch zu. «Ein wenig zu unsachlich?», wiederholte ich fragend. – «Oh, das war keineswegs unsachlich!» – «Untersuchte man die Namen im Werk Thomas Manns unter ähnlichen Gesichtspunkten, käme vielleicht als Ergebnis heraus, dass sie strenggenommen gar nicht funktionieren dürften.» – «Aber sie tun es!», bemerkte Capart entzückt. «Jedenfalls fast immer, denn Namen wie Serenus Zeitblom, Adrian Leverkühn oder Hofbräu …» – «Ja, das ist zu dick. Viel zu dick! Äh, Hofbräu ist zu dick! Den Namen meine ich. In München da steht Hofbräus Haus!», rief ich und schämte mich über meine unterwürfige Euphorie.

      Und nun, nach der fürchterlichen Begegnung im (s. o.) Aufzug des Todes, müsste ich Capart demnächst ein drittes Mal anrufen; Achim würde sich schlapplachen. Unversehens ist mein Leben zu einem langen, in der Sonne weiß glühenden Gleis geworden, auf dem ich eine Hausarbeitsdraisine durch Telefonanrufkraft wochenweise vor mir herschiebe, ohne jemals den Zielbahnhof zu erreichen, wo mich ein greiser, unartige Liedchen trällernder Capart auf einem Schrankkoffer voller Literaturlexika erwartet. Capart ist der einzige Professor in der Germanistik, der die Seminararbeiten schon während des Semesters haben will. Weshalb? Das hat doch überhaupt keinen Sinn! Aber vielleicht ist es doch zu bewältigen. Ich muss, ich muss, ich muss diese beschissene Arbeit schreiben! Dies hatte ich etwa einen Tag nach der Aufzugsfahrt mit Capart und etwa einen oder zwei Tage, bevor ich mich über den Schreibtisch beugte, um erneut über Namen nachzudenken, notiert.

      Im wirklichen Leben (was auch immer das sein mag) schienen die Namen seltsamerweise immer zu passen. Alle Namen! Winkler konnte nur Winkler heißen, Marsitzky nur Marsitzky, und dass hinter der hübschen Jasmin der tumbe Nachname Rimbach hertrottete, passte auch irgendwie. Irgendwie, aber wie? Ich zerbrach mir nicht zum ersten Mal über dieses vertrackte Thema den Kopf, denn es war mir noch nie leichtgefallen, richtig klingende Namen für meine Protagonisten auszudenken, unaufdringliche Namen, die fest mit ihrem Wesen verschmelzen ohne ausgedacht zu wirken. Nie, aber auch wirklich СКАЧАТЬ