Fahlmann. Christopher Ecker
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Название: Fahlmann

Автор: Christopher Ecker

Издательство: Автор

Жанр: Современная зарубежная литература

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isbn: 9783954620906

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СКАЧАТЬ Bahlow den speckigen, durchgeschwitzten Briefumschlag, den er diesem überbringen sollte. «Es kam zu Handgreiflichkeiten! Herr Besser von der Niederlassung der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft hielt Valdsky von Anfang an für einen Aufschneider. Vielleicht hat ihn, doch dies ist nur eine Gedankenspielerei, von Geinitz enttarnt, und Valdsky sah sich gezwungen, das Weite zu suchen.» Was für ein ausgezeichneter Eistee im Bezirksamt serviert wurde!

      Bahlow legte an, zielte und schoss daneben. «Ein Aufschneider?», hakte er nach.

      «Behauptet jedenfalls Herr Besser, der über gute Informationsquellen verfügt. Er ist Protegé Seiner Hoheit des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg.» Aha, daher weht also der Wind! Schon streifte die vorsichtige Tangente seiner Nachforschungen die einflussreichen Kreise, von denen Kuider gesprochen hatte! Hennig legte an. «Besser wirft ein wachsames Auge auf von Geinitz. Unser», spotttriefend, «Sicherheitsbeauftragter denkt nämlich, er wäre der Leiter unserer Expedition. Von Geinitz ist ein unangenehmer Kadett, wir ertragen ihn wie eine Grippe, aber Sie», wieder zerbarst eine Flasche, «werden ihn früh genug kennenlernen. Sitaki kusoma kitabu! Haben Sie Hunger?»

      «Sehr!», log Bahlow, der seine ungenügenden Schießkünste kein weiteres Mal unter Beweis stellen wollte. Nach dem Abendessen (es gab Brot, Dosenfleisch und Sodawasser) zog ihn das angsteinflößende Gefühl, genau das zu tun, was man von ihm erwartete, hinaus in den flüsternden Dschungel. Unter dem pantomimisch dargestellten Vorwand, austreten zu müssen, entfernte er sich von den frech grinsenden Wachtposten und lehnte gut hundert Meter vom Lager entfernt das Gewehr an einen Baumstamm, dessen Rinde sich Segment um Segment in den violetten Abendhimmel schob wie ein aufrecht balancierender Regenwurm. Die Römer, erinnerte Bahlow sich, hatten die gut elf Zentimeter langen, fingerdicken Larven des Hirschkäfers als Delikatesse betrachtet, und weil die Larven nur in vermodertem Eichenholz gedeihen, hatten die exotischen Gaumenfreuden nicht abgeneigten Eroberer Eichenstrünke und ganze Baumstämme in die feuchtdunklen Waldstücke ihrer nördlichen Provinzen geworfen, weil sie dort ein hohes Hirschkäferaufkommen beobachtet hatten.

      Dicht neben Bahlows rechtem Stiefel erklomm ein Käfer das schrundige Riff einer freiliegenden Wurzel, ein großes Exemplar der Gattung Meloe, circa 35 Millimeter lang, ein Weibchen mit dickem, langem Hinterleib. Bahlow griff den Käfer mit behutsamen Pinzettenfingern, hob ihn hoch, merkte kaum, dass es wieder geschah, und schon strich seine Zunge über den sandig glatten Panzer, und schon verhakten sich behaarte Beinchen zwischen seinen Zähnen. Die Käfer dieser Gattung haben so dicke Hinterleiber, dass bei ihnen eine spezielle Art der Präparation erforderlich ist. Im Gegensatz zu fast allen übrigen Koleopteren, die man einfach austrocknen lässt, muss man den Exemplaren der Gattung Meloë den Hinterleib aufschneiden, die schillernden Innereien entnehmen und den Hohlraum mit Watte ausstopfen; ansonsten verfaulen die Käfer, da ihre Chitinhaut sehr dünn ist. Vorsichtig trennten Bahlows Schneidezähne den Halsschild vom Hinterleib, er spürte Bewegung im Mund, Feuchtigkeit, tastende Beinchen, Fühler, seine Zunge glitt über den feinen Schlitz der Flügeldeckennaht, und er begann wie auf einen geheimen Befehl hin zu kauen. Modrig, erdig, im Geschmack an vergammelte Miesmuscheln erinnernd oder mehlige Kartoffeln mit Knies.

      Ohne erkennbaren Zusammenhang musste Bahlow an seinen Lateinlehrer denken, diese gefürchtete Autorität, die ihn in das von Herdersche Haus eingeführt hatte. «Eheu fugaces, Postume, Postume, labuntur anni!», hatte der Alte oftmals in zornigem Spott ausgerufen. «Na, meine Herren? Von wem mag das wohl sein?» – «Horaz!», antwortete die verängstigte Klasse wie ein Mann.

      Ach, flüchtig entgleiten die Jahre …

      «Herr Doktor Bahlow?»

      Ertappt schluckend: «Ja?»

      «Ach, hier sind Sie. Ich habe mir Sorgen gemacht.»

      «Ich», Bahlow zupfte ein Käferbein von der Unterlippe, «war nur», Wind kommt auf, «wo selbst die Könige», blättert weiter, erstirbt. Als der Entomologe aus einem wirren Traum von unterirdischen Gängen und Kammern erwachte, schlug sein Herz nicht mehr. Die Geräusche der Steppe umwogten das Zelt wie jenseitiges Gelächter. Bahlow horchte einige Minuten vergeblich in sich hinein und betastete das Handgelenk, doch da war kein Puls. Bestürzt richtete er sich auf. Die Segel- und Taschenklappen seines Herzens hatten die Arbeit eingestellt; kein Blut strömte mehr durch die Arterien und Arteriolen. Rasch befreite er sich vom Moskitonetz, rutschte auf den Knien zum Zelteingang und schlug die Plane zurück. Gelbes Mondlicht beleckte seine pelzigen Oberschenkel und die schattige Grube der Scham, in der eine verschreckte Hirschkäferlarve schlief. Hennig, dessen feldherrliches Zelt kaum einen Steinwurf entfernt stand, veranstaltete gerade mit Hilfe einer flackernden Petroleumlampe fröhliches Schattentheater, indem er (wie um Bahlows Leid zu verhöhnen) die bucklige Gestalt eines schreibenden Gnoms auf die mottenfleckige Plane warf. Bisweilen hielt das schwarz gefiederte Abbild einer dämonenhaft vergrößerten Klaue inne, dachte nach und huschte daraufhin wieder emsig über das unsichtbare Papier. Bahlow räusperte sich, prompt hob Hennig den Schattenkopf, lauschte. Bahlow hielt den Atem an, bis der bohnenförmig gebogene Schädel wieder im Buckel des Kobolds eingesunken war. Nein, darüber durfte er nicht reden. Was sollte er Hennig denn erzählen? Entschuldigen Sie, aber ich fühle mich auf einmal so tot? Nein, das war höchstens ein Adnex für den Bericht. Darüber durfte man nur schreiben, niemals reden! Bahlow biss sich in den Unterarm und registrierte dankbar, wie ein stetig anwachsender Schmerz aus dem seitlich geöffneten Oval drang, das die Zähne in die Haut prägten. Na, also! Empfände ein Toter Schmerzen? Wohl kaum. Also bin ich nicht tot. Doch diese Schlussfolgerung hatte einen Haken, an dem ein verfaulter Köder hing: Was, wenn dies alles eine schreckliche, der Vorhölle verwandte Abart der Unsterblichkeit wäre? Der Schatten in Hennigs Zelt wuchs ins Unermessliche, räkelte sich, vollführte einige grazile Tanzschritte, die Bahlow an der Geistesverfassung des Paläontologen zweifeln ließen, und löschte die Lampe. Ich bin tot, dachte Bahlow, ich bin in der Hölle. Erst fahren sie mich unter einem unbarmherzig weißen Himmel über den Styx, dann holen mich irre Teufel am Hafen ab. Einer schleppt mich zu seiner Tochter, der andere zu James Cook, der breitbeinig auf dem Tendaguru hockt und die Sterne in seinen Riesenfäusten zerquetscht. Knackendes Geäst, flüsterndes Gras, der Dschungel kicherte und zirpte, in immer kürzeren Abständen fielen Bahlow die Augen zu, doch erst als seine Beine völlig zerstochen waren, kroch er zurück unter das schützende Moskitonetz, um mit auf der Brust gekreuzten Armen im herzschlaglosen Meer der Nacht davonzutreiben. Loch. Unter uns. Schwarz. Tief. Nicht reinfallen! Obacht! Am jenseitigen Rand des Loches angekommen, schob sich ein luftiger Teppich aus Vogelgezwitscher unter Bahlows Füße, der Schlaf glitt auf die hohe See zurück, der Schiffbrüchige erreichte das Ufer und schüttelte die Stiefel aus, in denen mehrere Stinkwanzen und ein Hundertfüßer eine erschöpfende Orgie gefeiert hatten. Die Stinkwanzen entwichen, der perplexe Hundertfüßer stellte sich nach einigen Sekunden tapsigen Umherirrens tot, ein starres, beinbewehrtes Stöckchen, das Bahlow zertrat, ehe er das Zelt verließ.

      Natürlich schlug sein Herz, hatte es die ganze Zeit über getan, aber dennoch kehrte der Lebenswille (ein entpuppter Falter, dessen Flügeladern sich nur allmählich mit Blut füllen) erst zurück, als er sich am Ufer eines brackigen Tümpels reinigte. Mit dem Lebenswillen kam die Angst. Plötzlich erinnerte Bahlow sich nämlich daran, dass Hennig ihm erzählt hatte, wie häufig man neben den üblichen Antilopen- und Schweinespuren die Fußabdrücke von Leoparden oder Löwen in Lagernähe finde.

      Er kehrte in einem Zustand mitteilsamer Auflösung zu den Zelten zurück; Hennig erwartete ihn mit einer zerbeulten Blechkanne und einer Tasse ohne Henkel. «Hier, trinken Sie einen Kaffee. Sie sehen aus, als ob Sie im letzten Augenblick dem Schlund eines Löwen entkommen wären! Zucker? Zu stark?»

      «Auf gar keinen Fall. Nehmen Sie keinen Kaffee?»

      «Ich habe schon. Sie sollten einen bewaffneten Boy mitnehmen, wenn Sie sich vom Lager entfernen.»

      «Unglaublich, dass es Leute gibt, die ihr Leben ohne Kaffee fristen!» Bahlow leerte die Tasse, die Zelte wurden abgeschlagen und verstaut, dann marschierten СКАЧАТЬ