Im Rachen des Wolfes. Monique Levi-Strauss
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Название: Im Rachen des Wolfes

Автор: Monique Levi-Strauss

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806241440

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СКАЧАТЬ Feindseligkeiten in Europa auf und bildet nun den ersten Teil dieses Buches. Ihm fügte ich einen zweiten Teil hinzu, der die folgenden vier Jahre umfasst, in denen ich mir tastend meinen Weg bahnte.

      Um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, beschloss ich, an die Orte zurückzukehren, an denen ich während des Krieges gelebt hatte. Während einer Reise nach Luxemburg im November 2012 war ein Freund gerne bereit, mich nach Prüm in der Eifel zu begleiten, dem Städtchen, in dem ich 1944 Abitur gemacht habe. Ich wollte die Barockkirche wiedersehen. Ich erkannte sie, ohne sie wiederzuerkennen. Es war ein wenig wie ein vertrautes Gesicht wiederzusehen, das zu stark geschminkt ist. Wir erkundigten uns und erfuhren, dass das Städtchen nach dem Ende meiner Schulzeit bei einem Bombenangriff zu 85 Prozent zerstört worden war, darunter auch die Kirche, die man detailgetreu wiederaufgebaut hatte. Vertrauen wir darauf, dass die Zeit ihr wieder eine Seele geben wird.

      Als ich 2013 zu einer Tagung über die Schriftstellerin und Malerin Anita Albus nach Schwalenberg in Westfalen eingeladen wurde, fuhr ich über Düsseldorf zurück. Der Chauffeur, der mich zum Flughafen bringen sollte, war gerne bereit, mich an die Stellen der Stadt zu bringen, die ich wiedersehen wollte. Die Platanen der Königsallee sind in den letzten siebzig Jahren stark gewachsen. Pflanzen vernarben besser als Stein: Die von den Bomben verstümmelten Bäume haben neue Äste angesetzt, um ihr Gleichgewicht wiederherzustellen. Aber in den Lücken, die die zerstörten Häuser hinterlassen hatten, sind Gebäude entstanden, die diese einst so elegante und luftige Stadt ersticken. Die Parks werden zerquetscht. Überall Bauarbeiten, Kräne, Verkehrsstaus.

      Ich bin mir nicht sicher, ob man die Orte seiner Erinnerung noch einmal aufsuchen sollte.

      Die Erzählung meiner Kindheit und meiner Jugend lässt sich wie ein Tatsachenbericht lesen. Das einzigartige Schicksal eines belgischen Mädchens mit jüdischer Mutter, das man zwingt, während des „Dritten Reiches“ in Deutschland zu leben.

      Dieser Text erlaubt aber auch eine andere Lektüre: eine Heranwachsende im Konflikt mit ihren Eltern, die sie für völlig verantwortungslos hält, weil sie die Familie in den Rachen des Wolfes verschleppt haben.

      Beim Schreiben dieses Buches habe ich mit meiner Mutter und meinem Vater Frieden geschlossen.

      Paris, im Januar 2014

      | | | | | ERSTER TEIL

      | | | | | | Meine Eltern

      Die Familie meines Vaters

      Mein Vater wurde als Sohn von Jean Roman und dessen Frau, deren Vor- und Mädchennamen ich vergessen habe, am 22. März 1898 in Gent geboren und trug die Vornamen Jules, Jean und Clément. Meine Großeltern väterlicherseits waren katholisch, aber nicht gläubig. Sie sprachen Flämisch und Französisch mit starkem belgischem Akzent. Jules, mein Vater, war das jüngste von vier Kindern. Die älteste Tochter, Nelly, war um 1890 geboren worden und hatte einen belgischen General geheiratet. Sie bekam keine Kinder und versank um 1930 herum in eine Neurasthenie. Ich glaube, sie hat sich während des Krieges umgebracht. Die zweitälteste, Louise, muss 1894 geboren sein, wir nannten sie Tante Bie; sie heiratete einen Oberst, Léon de Rudder. Im Krieg 1914–18 war er Adjutant König Alberts I. gewesen, in Friedenszeiten Makler. Sie hatten zwei Kinder: Léon, geboren 1923, und Claire, geboren im April 1925. Das dritte Kind meiner Großeltern war schließlich Paul, geboren 1896, mit einer Violaine verheiratet; sie hatten keine Kinder.

      Meine Großeltern väterlicherseits ließen sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts scheiden. Meine Großmutter wollte ein neues Leben beginnen und brachte ihre Kinder einfach irgendwo unter. Im Alter von sechs Jahren fand mein Vater sich so als Bäckerlehrling wieder. Für freie Kost und Logis musste er früh aufstehen und den Kunden das Brot ausliefern. Danach lernte er Teig zu kneten, Cramique, ein köstliches Rosinenbrot, herzustellen. Eines Tages traf er auf der Straße seine Mutter am Arm eines Freundes. Sie erkundigte sich nach seiner Arbeit und fragte, ob er ihr nicht etwas Geld geben könne. Mein Großvater arbeitete als Fotograf. Mehrfach steckte er meinen Vater in ein Internat, um ihm wenigstens eine rudimentäre Bildung zu vermitteln, aber sobald das Geld knapp wurde, kehrte mein Vater in die Bäckerei zurück. Er hat auch mal bei einem Fotografen gearbeitet. Insgesamt umfasste seine Schulzeit nur einige wenige Trimester.

      Weil er seinen Lebensunterhalt verdienen musste, hatte mein Vater keine Zeit zum Lernen. Als 1914 der Krieg ausbrach, war er sechzehn Jahre alt. In der Armee zu dienen, hätte ihm das Recht auf eine Ausbildung eröffnet. Da er, anders als gefordert, noch keine achtzehn Jahre alt war, bat er seinen Bruder Paul, eine Falschaussage über sein Alter zu machen; so wurde er Soldat.

      Am 11. November 1918 war mein Vater noch am Leben. Da er dreimal verwundet worden war, hatte man ihn ausgezeichnet und zum Offizier befördert. Ein ehemaliger Soldat hatte – auch ohne irgendeinen Abschluss – das Recht, sich an der Freien Universität Brüssel einzuschreiben und dort den Unterricht zu besuchen. Bestand er nach einem Jahr die Zulassungsprüfung, war er als Student zugelassen.

      Mein Vater studierte mehrere Jahre lang, dann bestand er den Concours für die École Solvay, an der Ingenieure ausgebildet wurden. Nachdem er diese Schule abgeschlossen hatte, bekam er ein Jahresstipendium für die Harvard Business School. In Boston lernte er dann im Laufe des Studienjahres 1923/24 meine Mutter kennen.

      Die Familie meiner Mutter

      Meine Mutter, Ruth Emma, kam am 21. August 1902 in Hampstead (London) als Tochter von Paul Rie (1867–1931) und dessen Frau Bella, geborene Strouse (1876–1957), zur Welt. Die Familie meines Großvaters lässt sich auf das spanische Judentum zurückverfolgen. Als er vor der Inquisition fliehen musste, entschloss sich das damalige Familienoberhaupt, sich zukünftig nach den Anfangsbuchstaben seines Namens zu nennen: Rabin Isaac Ezechiel. Meine Großmutter war Amerikanerin und über ihre Mutter mit der Familie Guggenheim verwandt, Pittsburgher Juden, die aus Deutschland emigriert waren. Ihr Vater, Alexander Strouse, war ein New Yorker Jude bayerischer Herkunft. Mein Großvater mütterlicherseits, Paul Rie, stammte aus Wien und verdiente seinen Lebensunterhalt als Importeur von Perlmutt. Nachdem er in der ganzen Welt herumgereist war und die Länder besucht hatte, in denen die Muscheln angebaut wurden, ließ er sich um 1893 in New York nieder. Er wohnte bei Emma Strouse (1858–1938), meiner Urgroßmutter. Jung Witwe geworden, vermietete sie Zimmer an Freunde von Freunden, um ihre beiden Kinder, Bella und Henry, zu versorgen. Paul Rie verliebte sich in Bella und schickte sich gerade an, in aller Form um ihre Hand anzuhalten, als seine zukünftige Schwiegermutter ihn unterbrach, um ihm zu sagen, wie glücklich sie sei, seine Frau zu werden; sie war in der Tat nur neun Jahre älter als er. Seitdem Paul seine Absichten klargestellt hatte, litt meine Urgroßmutter unter einer Depression. Während einer Wienreise, bei der er Emma und Bella Strouse seiner Familie vorstellen wollte, schickte Paul seine zukünftige Schwiegermutter zu einer Untersuchung bei Doktor Freud, dessen Freund und Mitarbeiter sein Bruder, Oskar Rie, war. Freud untersuchte sie ein wenig kurz angebunden und beruhigte die Familie. Aber meine Urgroßmutter behielt „die Ohrfeige von Doktor Freud“, wie sie es nannte, in schlechter Erinnerung, sie beschwerte sich noch in den 1930er-Jahren darüber.

      Von den fünf Kindern von Paul und Bella Rie war das älteste, Paul (1897–1991), in erster Ehe mit Andrée Singer, einer Cousine zweiten Grades, verheiratet, mit der er ein Kind hatte, das früh verstarb. In zweiter Ehe lebte er mit Grace Alexandra Young zusammen, einer Amerikanerin aus Kansas. Sie hatten drei Kinder: Suzanne, Danny und Tom. Obwohl er literarisch sehr interessiert war, hatte Paul junior auf ein Universitätsstudium verzichten und Perlmuttimporteur werden müssen, um eines Tages die Nachfolge seines Vaters antreten zu können.

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