Название: Grundlos heiter
Автор: Harald Malz
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783934900516
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Er hat Fäuste wie Basketbälle, was sag’ ich, wie Medizinbälle, und kann Bäume samt Wurzelwerk aus dem Waldboden ziehen, wenn er übermütig ist und sich einen Spaß machen will. Er kann auch Felsbrocken mehrere hannoversche Meilen weit werfen. Dann pfeift die Luft, und die Leute sagen: Sigmar übt wieder Weitwurf. Nicht in böser Absicht, er will nur spielen.
Manchmal, bei sehr schlechtem Wetter, trägt er ein wasserabweisendes Gewand aus Buchenrinde. Er hat einen Wanderstab, den er sich aus einem Fichtenstamm schnitzt, der ihm aber leicht zerbricht wie unser einem ein hölzerner Zahnstocher. Wenn er in seltenen Fällen ein bisschen schlechte Laune hat, steckt er Bikern Äste zwischen die Speichen der sich drehenden Räder, die für ihn aussehen wie rotierende Swastiken, nein, nicht Spastiker, wie das Schreibprogramm meint. Wanderern zieht er auch mal das Schuhband auf und kann sich darüber fast geräuschlos schlapp lachen, so dass es sich anhört, als ob der Wind in den Baumkronen saust.
Seine Eltern waren normalwüchsige Springer, die Sigmar, den Riesen, unter allerdings merkwürdigen Bedingungen gezeugt hatten. Fritz und Dorchen hatten ihn während Not und Krieg bekommen, die fast das gesamte Denken und Fühlen der Menschen eingenommen hatten. Sie hatten ihn als kleinen Jungen unter Tränen im Wald ausgesetzt. Gab es schlimme Zeiten, so war die Angst groß vor Hungersnot, Überschwemmungen, Atomkrieg, Terrorismus, 11. September, Al Qaida. Eigentlich war die Angst immer groß, so dass der freundliche Riese stets groß und gut genährt war.
Ob er noch lebt? Ich weiß es nicht. Doch man hört immer wieder von Wanderern, denen das Schuhband aufgeht oder von vom Rad fallenden Bikern. Das kann eigentlich nur Sigmar, der freundliche Riese gewesen sein.
Käfer im Baum
Jeder kennt sie. VW-Käfer auf dem Dach eines Autohauses. Oder halbe Käfer, die aus einer Wand herauszuschießen scheinen, wenn sie von vorne zu sehen sind, umgeben von gemalten, auseinanderspritzenden Ziegelsteinen. Oder halbe Käfer von hinten, die in einer Wand verschwinden. Von einem Käfer handelt auch die folgende Geschichte.
Vor ziemlich genau dreißig Jahren hatte ich meinen letzten gebrauchten VW-Käfer – ich hatte mehrere von ihnen – wohl über einem Schössling, also einem kleinen Baum, abgestellt. Genauer gesagt, über einer kleinen Moorbirke. Neulich erinnerte ich mich an mein studentisches Fahrzeug und suchte den Ort auf, an dem ich es abgestellt hatte. Wie war ich überrascht, als ich mein Auto in zwanzig Meter Höhe in der Baumkrone sah und eher von unten gegen die Bodengruppe und die Räder schaute. Von der Karosserie waren einiger Rost und ein bisschen himmelblauer Lack zu sehen. Die Moorbirke wächst im Jahr zwischen fünfzig und achtzig Zentimeter.
Ich überlegte. Ich hatte mein ganzes Schlüsselbund für den Käfer dabei. Für das Türschloss, für die Zündung und für die – Luxus – abschließbare Motorhaube. Hatte mein Herbie – wer erinnert sich noch an die Filme »Ein toller Käfer« von 1968 bis »Ein toller Käfer startet durch« von 2005? – die letzten dreißig Jahre, allein gelassen von mir, auf einem Baum, Wind und Wetter getrotzt und war womöglich noch fahrbereit? Nur, wie sollte ich das herausfinden? Der Film-Herbie hatte eine eigene Persönlichkeit, er konnte selbst fahren, sogar Wände hoch und wieder herunter. Meiner konnte das nicht. Und heute arbeitet die Automobilindustrie an Fahrzeugen, die sich selbstständig im Straßenverkehr ohne Fahrer bewegen können. Bei meinem Käfer, der keinen Namen hatte, war es besser, im Winter, bei Minusgraden, jeden Abend die Batterie auszubauen und mit in die Wohnung zu nehmen und sie morgens wieder unter der Rückbank einzubauen. Ich vermutete, dass zumindest die Batterie bei meinem Käfer in der Baumkrone wohl nicht mehr funktionstüchtig wäre. Und man müsste wahrscheinlich den Luftdruck in den Reifen prüfen. Aber sonst?!
Und während ich so nachdachte, wie es weitergehen könnte, und dem Wispern der Birke zuhörte, wenn ein zarter Windstoß durch ihre Blätter fuhr, kam ein Rappe, Mähne, Schweif und Fell rabenschwarz, von der nahegelegenen Koppel auf mich zu. Ich hatte meinen Käfer damals, vor über dreißig Jahren, etwas abseits von Bissendorf abgestellt. Er sagte zu mir: »Ich bin ein Dschinn und augenblicklich in Pferdegestalt. Eigentlich bestehe ich aus reinem Feuer ohne Rauch, und ich kann dir drei Wünsche erfüllen. Sonst mache ich das nur, wenn mich ein Mensch aus einer Flasche befreit. Aber heute habe ich gute Laune und möchte dir etwas Gutes tun. Und du siehst sympathisch aus.« Er hatte einen leichten arabischen Akzent und war vielleicht ein Flüchtling aus Seehofers Kontingentsforderung. Ich war einigermaßen überrascht, besonders auch durch die Konfrontation mit der Möglichkeit, mir drei Dinge zu wünschen. Man kann sich leicht vertun, also leicht verwünschen. Es gibt Märchen, die das belegen. Was war naheliegender, mir zu wünschen, dass der Dschinn – wie hieß er eigentlich? – mir meinen Käfer vom Baum holte.
Ein Nachbar hatte mir einmal, als unsere schwarze Katze noch jung war, seine lange Leiter geborgt, und ich war mit zittrigen Knien in die wahrscheinlich zehn Meter hohe Krone eines Birnbaums gestiegen, um das kläglich miauende Kätzchen wieder herunterzuholen. Wie das hier gehen sollte, war mir unklar.
»Ich habe mich noch nicht vorgestellt«, sagte der Dschinn. »Ich bin der große Zumurrud aus einem der ältesten Dschinn-Geschlechter. Zumurrud ist arabisch und bedeutet »Smaragd«. Einige aus meiner Familie führen uns sogar auf Luzifer, den gefallenen Engel zurück.« Er ruckte mit dem schönen großen, schwarz glänzenden Pferdekopf. »Normalerweise ist unsere Welt durch einen Schleier von der euren getrennt. – Und du schreibst kleine Fantasiegeschichten und dein Schönstes ist es, sie anderen vorzulesen.« Er war gut informiert. »Was hältst du davon, wenn du in Erfüllung meines ersten Wunsches mein altes Auto von diesem Baum holst«, sagte ich zu Zumurrud und deutete mit dem Zeigefinger nach oben auf den verwitterten VW in der Baumkrone der Moorbirke. »Nichts einfacher als das!« erwiderte der Dschinn mit leicht ironisch klingender Stimme. Zumurrud lächelte. Das schwarze Pferd zerfloss in einer Wolke aus Purpurrot. Das Purpur strömte und dehnte sich aus, es stieg in die Höhe und bildete aus sich heraus eine rote Riesenfaust, die sich hoch über mir öffnete. Fünf oder sechs Meter lange, kräftige Zeige-, Mittel-, Ring- und ein kleiner Finger und ein wuchtiger Daumen umschlossen meinen himmelblauen Käfer und rissen ungestüm an ihm, linke und rechte Seite umfassend. Es krachte und knackte im Baum, größere Äste fuhren in die Höhe. Kleinere Zweige und Blätter spritzten und stoben auseinander und regneten zu Boden. Die purpurne Geisterhand zerrte und zurrte am Auto, bis der Baum endlich aufgab und es quietschend, seufzend und schleifend freigab, während sich die Sonne mehrere Augenblicke lang verdunkelte. Ich war wie gelähmt. Niemand würde mir glauben, und doch hatte ich es mit eigenen Augen gesehen. Die Faust fuhr mit ihrem Inhalt nieder und setzte das Auto krachend auf dem überforderten Heideboden ab. Eine Schar kleinerer Vögel flatterte entsetzt auf und eine Krähengruppe schlug heftig Alarm.
Nun ja, mein Auto sah schon ein bisschen traurig aus. Die Reifen waren platt, die charakteristischen Kotflügel waren rostig und löchrig, das Dach hatte teilweise sein Himmelblau eingebüßt und die weiße Grundierung schlug durch. Die Scheiben hatten einen Algenüberzug in mattem Mittelgrün. Ich zerrte an der Beifahrertür, die sich schließlich ächzend, wie das Schlosstor in »Dornröschen«, öffnen ließ. Auf der Rückbank lagen eine vergilbte »Konkret«, das linke Magazin damals, Herausgeber Hermann L. Gremliza, eine »Emma« und eine »Courage«, die alle drei die Jahre zwar wellig und ausgeblichen, aber passabel überstanden hatten. Im Handschuhfach fand ich eine angebrochene Schachtel »Ernte 23« und eine seit dreißig Jahren abgelaufene Packung Präservative. Am Boden lagen leere Verpackungen von Schokoriegeln, die es heute gar nicht mehr gibt. Im Fußraum vor der Rückbank lag ein angebrochener Sixpack Lindener Bier. Das sah mir jetzt wie eine Reise in meine persönliche Vergangenheit aus. Ich überlegte. Der Dschinn hatte wieder seine Pferdegestalt angenommen, unspektakulär, wie СКАЧАТЬ