Название: Marseille.73
Автор: Dominique Manotti
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783867548366
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»Ich glaube schon.«
»Wir geben sie ihnen zurück. Aber Sie unterschreiben nichts, insgesamt nichts Schriftliches. Sollten wir später Ärger mit Percheron bekommen, nehme ich das persönlich auf mich. Sobald wir sie haben, falls wir sie bekommen, befassen wir uns damit, wie wir sie installieren können. Wir treffen uns morgen früh hier, vor Ihrem Aufbruch zur Beerdigung von Guerlache.«
Am späten Nachmittag ist die Bar Le Foudre im Opéra-Viertel rappelvoll. Viel Kommen und Gehen, rastlose Betriebsamkeit. Pereira weiß, man muss die Gelegenheit von Guerlaches Beerdigung für einen ersten lautstarken Auftritt des Verteidigungskomitees nutzen. Im Laufe des Tages hat er ein Banner mit der Aufschrift »CDM – Verteidigungskomitee der Bürger von Marseille« malen lassen. Heute Abend stellt er die Führungsriege des Komitees zusammen, die es während des Trauerzugs tragen soll. Man muss auch auf der gesamten Strecke Plakate kleben, der Vorrat von »Stoppt die wilde Einwanderung« wird aufgebraucht werden. Um das Kürzel CDM einzuführen, hat Pereira es geschafft, im Namen des Komitees zwei Plakatserien drucken zu lassen. Jetzt organisiert er die Gruppen, die heute Nacht an der Strecke der Prozession plakatieren sollen. Zu guter Letzt wurde ein Flugblatt des Komitees in mehreren tausend Exemplaren gedruckt. Pereira verteilt sie in kleinen Bündeln, damit sie in allen Teilen des Trauerzugs präsent sind.
Pause fürs Abendessen, man kann etwas verschnaufen, Madame Pereira hat eine Feijoada gekocht, die Gäste übernehmen das Servieren selbst. Telefonklingeln. Madame Pereira nimmt ab, wie sie es immer tut. Sie und sie allein. Eine Männerstimme, Französisch ohne Marseiller Akzent:
»Könnte ich Monsieur Pereira sprechen, bitte?«
»Bleiben Sie dran.«
Sie legt den Telefonhörer ab, geht zu ihrem Sohn, der mit Freunden trinkt und diskutiert, flüstert ihm ins Ohr: »Die Präfektur«, Pereira nimmt das Gespräch an, Rücken zum Saal.
»Pereira am Apparat.«
»Wir haben aus der Presse entnommen, dass Sie für Mittwoch zu einer Demonstration aufrufen …«
»Richtig, und wir sind nicht die Einzigen.«
»Aber auf Sie kommt es an. Wir befürchten hochgradig gewalttätige Zusammenstöße mit den Linksextremen, so wie sie sich in Paris ereignet haben, was uns nötigen würde, hart durchzugreifen, und das möchten wir nicht. Ich habe mich heute Nachmittag mit den Gewerkschaften getroffen. Sie werden gegen Sie Stellung beziehen, in deren Augen instrumentalisieren Sie ihre Mobilisierung. Überlegen Sie sich das gut.«
»Ich überlege immer, was ich tue.«
»Ich weiß, und das ist umso besser. Guten Abend.«
Dienstag, 28. August
Le Quotidien de Marseille
Auf der Titelseite:
Die Bustragödie:
Mörder 1969 am Kopf operiert
Offenbar wurde Bougrine 1969 mit einer Axt angegriffen, was eine Schädelöffnung, mehrere Operationen und einen langen Krankenhausaufenthalt notwendig machte. Diese körperliche Beeinträchtigung könnte bis zu einem gewissen Grad sein geisteskrankes Verhalten im Bus erklären.
Beerdigung um 12 Uhr. Die Verkehrsbeschäftigten: »Wir werden nicht zulassen, dass die Beisetzung unseres Kameraden als Vorwand für politische Demonstrationen dient.«
Auf der letzten Seite:
Presseerklärung des Polizeipräsidenten: »Es wäre bedauerlich, wenn dieser so schlimme Vorfall zur Folge hätte, dass die Öffentlichkeit sich aus berechtigtem Zorn zu Handlungen hinreißen lässt, die ihrer Geschichte nicht würdig sind.«
Bevor er zum Évêché aufbricht, wirft Daquin einen letzten Blick auf den Vieux-Port zu seinen Füßen, das graugrüne, reglose Wasser, die verwaisten Kaianlagen, kein Geräusch, keine Bewegung, das Leben steht still. Die Stadt atmet nicht mehr. In einer Handvoll Stunden wird sie Émile Guerlache zu Grabe tragen, sie wartet, sie stinkt nach Blut.
Als Daquin ins Büro kommt, sind Grimbert und Delmas schon im Aufbruch zur Beerdigung, Beobachtungsmission. Daquin selbst hat bis zum frühen Morgen Bereitschaft im Zentralkommissariat. In Wartestellung …
»Sie verpassen ein grandioses Schauspiel, Chef. Die Marseiller sind Meister in Beerdigungszeremonien.«
»Ehrlich gesagt bin ich nicht böse, dem großen Fest des Todes in seiner Sonnenschein-Aioli-Variante zu entgehen. Ich verlasse mich darauf, dass Sie mir alles erzählen.«
»Was ich noch sagen wollte: Wenn Sie gleich allein sind, vergessen Sie nicht, einen Blick in Ihre Schreibtischschublade zu werfen. Sie finden dort vier bildhübsche Wanzen, aus dem Nichts aufgetaucht, und das zugehörige Aufzeichnungsgerät.«
»Das lasse ich mir nicht entgehen.«
Während die beiden Inspecteurs schweigend ihre Sachen zusammenpacken und aufräumen, fragt Daquin: »Sagen Sie, Grimbert, ich habe den Leitartikel im Méridional gelesen. Wissen Sie, ob die Zeitung die Waffen gleich mitliefert?«
»Wer weiß. Den Abonnenten vielleicht. Und mit dem Segen des Polizeipräsidenten, dessen Presseerklärung Sie ebenfalls gelesen haben werden. Hübsch, das mit dem ›berechtigten Zorn‹.«
»Gehen Sie los, Sie verpassen noch den Auftakt der Feierlichkeiten, das wäre schade. Aber, Grimbert, sobald es vorbei ist, kommen Sie mir berichten. Ohne Vertun.«
Grimbert zögert eine Sekunde. »Hier oder am Tatort?«
Delmas kreuzt die Finger, um das Unheil abzuwenden.
Guerlache wohnte in La Pauline, einem weitgehend renovierten volkstümlichen Viertel im Marseiller Osten, das sich um seine kleine Kirche drängt, Sainte-Émilie-de-Vialar, ganz neu, unverputzter Beton, hübscher schlanker Kirchturm. Hier findet die religiöse Zeremonie statt, an der die Familie, enge Freunde und ein paar Arbeitskollegen teilnehmen. Der Beginn des Trauerzugs zum Friedhof ist für 14 Uhr angesetzt. Grimbert und Delmas sind früher gekommen, um sich einen Beobachtungsposten zu wählen. Sie stellen sich in den Schatten der großen Platane vor dem Portal und taxieren den Strom der Marseiller, die nach und nach eintreffen, erst den Kirchenvorplatz, dann den daran anschließenden Platz füllen und bald den Boulevard Romain-Rolland überschwemmen. Die Männer – es sind praktisch ausschließlich Männer – sind viel in Bewegung, treffen sich mit Nachbarn, Freunden, Bekannten, es bilden sich Grüppchen, Flugblätter und Zeitungen werden ausgetauscht, man diskutiert, leise aus Respekt für den Toten, aber mit einer unterdrückten Wut, die an den Gesten und Mienen abzulesen ist. Sind sie gekommen, um Guerlache das Geleit zu geben und die letzte Ehre zu erweisen, oder aber wegen des »berechtigten Zorns«, von dem der Polizeipräsident erst heute Morgen gesprochen hat? Niemand weiß es. In der schwülen, stehenden Luft wartet die Menge und schwitzt. Ein stattlicher Ordnungsdienst aus Verkehrsbeschäftigten ganz in Grau, ihrer Arbeitskleidung, geht von Gruppe zu Gruppe und wiederholt unermüdlich: »Wir wollen im Trauerzug keine rassistischen Bekundungen. Die Ermordung unseres Kameraden ist die Tat eines halb irren Einzelnen. Kein Slogan, kein Schild, Stille, Andacht. Ehren СКАЧАТЬ