Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell
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Название: Begegnungen mit Bismarck

Автор: Robert von Keudell

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806242683

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СКАЧАТЬ Tatsächlich wurde Robert zu einem fast täglichen Gast im Hause Bismarck, besonders bei den legendären nachmittäglichen Essgelagen des Kanzlers. Dabei spielte neben persönlicher Sympathie natürlich auch politisches Kalkül eine Rolle. Robert war für Bismarck ein wichtiges Bindeglied zum Parlament. Durch ihn konnte er nicht nur seine Hausmacht bei den Freikonservativen pflegen, sondern auch das Netzwerk der Lucius-Brüder ausnutzen und Bande zu den anderen großen Fraktionen knüpfen. So unterhielt Bismarck während der Zeit des Kulturkampfes über das enge Verhältnis zwischen Robert und August eine indirekte Verbindung zum Zentrum, die 1878 eine wichtige Rolle bei der Annährung zwischen ihm und dem Parteiführer Ludwig Windthorst spielte.

      Ein Jahr später wurde Robert auf Wunsch Bismarcks preußischer Landwirtschaftsminister. In den Folgejahren kam es im Zusammenhang mit umstrittenen politischen Entscheidungen immer wieder zu durchaus ernsthaften Meinungsverschiedenheiten, die die Freundschaft der beiden Männer zuweilen belasteten, aber nie zerstörten. Während seiner mehr als zehnjährigen Amtszeit setzte sich Ballhausen besonders für Schutzzölle auf Getreide, die Urbarmachung der preußischen Hochmoore, den Ausbau des Veterinärwesens und die Regulierung der Jagd ein. Bei den Landwirten verschaffte ihm das viel Respekt. Wie sehr er in Produzentenkreisen geachtet wurde, zeigte sich zum Beispiel 1884, als die Berliner Baumschule Späth eine neue Birnensorte nach ihm benannte, die „Minister Dr. Lucius-Birne“. 1888 erhob ihn der 99-Tage-Kaiser Friedrich III. auf Bismarcks Vorschlag hin in den erblichen Freiherrenstand. Als der Kanzler zwei Jahre später im Streit mit dem jungen Kaiser Wilhelm II. zurücktrat, legte auch Ballhausen wenige Monate später sein Ministeramt nieder.

      Politisch aktiv blieb er aber auch weiterhin. Sein Mandat im Abgeordnetenhaus behielt er bis 1893. Zwei Jahre danach wurde er zum Mitglied des preußischen Herrenhauses ernannt. Dort leitete er bis kurz vor seinem Tod die Haushaltskommission, den mit Abstand wichtigsten Ausschuss der Kammer. Neben seiner politischen Tätigkeit engagierte er sich außerdem in verschiedenen unternehmerischen Projekten. So war er nicht nur an der ersten Zuckerfabrik in Thüringen beteiligt, sondern auch an der Versicherungsgesellschaft Thuringia, die zu den Pionieren des deutschen Unfallversicherungswesens gehörte. Seinen Lebensabend verbrachte er mit seiner Frau Juliet Maria Souchay de la Duboissière (1835–1921), der Tochter einer reichen hugenottischen Kaufmannsfamilie aus der Nähe von Manchester, die er 1864 geheiratet hatte und über die er mit Alfred Weber, Theodor Mommsen und Felix Mendelssohn-Bartholdy verschwägert war. Mit ihr reiste er immer wieder nach England, aber auch nach Osteuropa. Gemeinsam hatten sie zwei Söhne, den Verwaltungsjuristen Otto Lucius von Ballhausen (1867–1932) und den Diplomaten Hellmuth Lucius von Stoedten (1869–1934), von dem später noch die Rede sein wird. Robert starb 1914 wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf dem nördlich von Erfurt gelegenen Rittergut Klein-Ballhausen, das ihm einst sein Vater geschenkt hatte.10

      Sowohl Ballhausen als auch Keudell waren, was ihre Interessen angeht, nicht gerade typische Vertreter der höheren Beamtenschaft des Kaiserreiches. Ein weitgereister Abenteurer und ein hochbegabter Musikus waren in den Ministerialapparaten Preußens und des Reiches eher exotisch. Hinsichtlich mehrerer anderer Aspekte waren ihre beiden Lebenswege allerdings geradezu idealtypisch für die politischen Eliten des Kaiserreiches. So liest sich Ballhausens Biographie – großbürgerliche Herkunft, Eintritt in die Armee, Aufstieg durch die Offiziersränge, Nobilitierung und Aufnahme in das Herrenhaus auf Lebenszeit – wie ein Paradebeispiel für die „gewöhnlich überzogen vorgetragene marxistische These der Feudalisierung und Militarisierung des Bürgertums“, wie Ulf Morgenstern in einem Aufsatz über den Memoirenschreiber betont hat. Keudells Karriereverlauf steht hingegen beispielhaft für das die Reichsgründung prägende Patronagesystem der preußischen Monarchie und die danach stattfindende Professionalisierung des Staatsbetriebes im Kaiserreich. Konnte der mäßige Jurist trotz seiner fehlenden Erfahrung in politischen Fragen in den 1860er Jahren noch einfach auf Wink des neuen Ministerpräsidenten ins unmittelbare Zentrum der Macht vorrücken, vermochte er sich zwanzig Jahre später auch mit der anhaltenden Unterstützung Bismarcks nicht gegen die Funktionseliten im Auswärtigen Amt durchzusetzen, die ihm mit Hinweis auf seine vermeintlich mangelnde Qualifikation mehrmals eine Beförderung auf einen hohen Berliner Posten verbauten.11

      Die Erinnerungen, die Keudell und Ballhausen jeweils über Bismarck abfassten, gehören zu den Standardquellen der Forschung zum „Eisernen Kanzler“. Dennoch beziehungsweise gerade deswegen lohnt es sich, vor der Lektüre darüber nachzudenken, um welche Art von Quellen es sich eigentlich handelt und was sie zu unserem Bild von Bismarck eigentlich beitragen können. Keudell veröffentlichte seine Erinnerungen an Fürst und Fürstin Bismarck im Herbst 1901, also knapp drei Jahre nach dem Tod des Altkanzlers. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten beiden Bände von Bismarcks autobiographischen Gedanken und Erinnerungen, die 1898 posthum erschienen waren, längst ein Bestseller. Ausgewählte Briefe, Reden und Aktenstücke waren schon 1890 als Gesammelte Werke in vier Bänden publiziert worden. Außerdem waren in den Vorjahren verschiedene Teile von Bismarcks Privatkorrespondenz erschienen, allen voran die 1900 veröffentlichten Briefe an seine Braut und Gattin. Keudell fügte also einem rasch wachsenden Korpus an öffentlich zugänglichen Bismarckquellen ein weiteres Stück hinzu. Die Motivation dafür war angesichts der hohen Verkaufszahlen der genannten Publikationen sicherlich zumindest teilweise finanzieller Natur. Auch und vor allem scheint Keudell aber die Tatsache umgetrieben zu haben, wie er in seinem Vorwort betont, dass „die Zeugen [des] Wirkens [Bismarcks], welche ihm als Abgeordneten, Gesandten und jugendlichen Minister nahe standen, […] nach und nach fast alle verstummt [waren], ohne Berichte über ihn zu hinterlassen“. Deswegen sah er an sich „die Aufgabe [herantreten], zu erzählen, was [er] damals [im] Hause und […] Dienste [Bismarcks] erlebt habe“.13

      Ballhausens Bismarck-Erinnerungen sind unter ganz anderen Vorzeichen entstanden. Während seiner Zeit als Abgeordneter und Minister führte der Tausendsassa akribisch Tagebuch über den Berliner Regierungsbetrieb. In diesen Aufzeichnungen spielte sein Chef und Freund Bismarck naturgemäß eine Hauptrolle. Nach Bismarcks Tod fasste Ballhausen 1899 daher den Entschluss, wie er in einer Vorbemerkung zu den Erinnerungen beschreibt, „die persönlichen Erinnerungen, welche [er] in einer langen Reihe von Jahren im Verkehr mit [Bismarck] gesammelt habe, an der Hand [dieser] Tagebuchnotizen und Briefe zusammenzufassen“. Um dies ohne Abstriche tun zu können, dachte er dabei von Anfang an „nicht daran […], [diese Erinnerungen] zu [seinen] Lebzeiten zu publizieren“. Diesen Luxus konnte er sich relativ einfach leisten, da er ob seines beträchtlichen Privatvermögens an einem finanziellen Gewinn aus seinen Begegnungen mit Bismarck kein großes Interesse haben musste. Nach seinem Tode 1914 veröffentlichte sein Sohn Hellmuth die Manuskripte sechs Jahre später. Dabei betonte er in einer Herausgebernotiz, dass der Druck schon vor dem Ableben seines Vaters fertiggestellt worden sei, da dieser so habe sicherstellen wollen, dass „nachträglich keinerlei Änderungen an seinen Aufzeichnungen mehr vorgenommen“ werden würden. Nur ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkrieges erschienen, wurde das Buch daraufhin bald Teil der „Hintergrunderzählung […] des Bismarck-Kultes“, СКАЧАТЬ