Название: Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval
Автор: Bernhard Hennen
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862827657
isbn:
Die Lautstärke der Gespräche schwoll an. Beim Austausch der Neuigkeiten wollte man sich nicht durch einen weiteren Lobgesang unterbrechen lassen. Nicht einmal Arrim selbst schenkte dem Vortrag Beachtung, er sah noch immer auf den Fjord hinaus. Nur seine Mutter klopfte den Takt beifällig auf der Armlehne mit.
Das würde sich bald ändern. Orm erlaubte sich ein Grinsen, während er die Saiten zupfte.
»Zur Drachenhöhle Arrim schleicht,
doch nicht im Walde ganz allein,
will in Gefahr der Arrim sein.
Ein Skaldensang zum Ruhm gereicht.
Den Bären er im Wappen führt.
Bärenmut nur fehlt dem Arrim.
Wenn’s wichtig ist, dann flieht sein Grimm.
Sein Hasenherz er schlagen spürt.«
Die Schildmaid mit den roten Zöpfen horchte auf. Sie stieß sogar ihren Nachbarn an, damit er Ruhe gab und sie den Text besser verstand. Orm war heute der Einzige, der zu einem Spottlied auf den Sohn der Hetfrau ansetzte.
Ermutigt griff er fester in die Saiten. Er erntete die ersten Lacher, als er davon berichtete, wie Arrim seine neue Bekanntschaft, einen jungen Skalden, mit seinem Schwert beeindruckte. Er schilderte diesen Skalden naiv und dümmlich, wie er den Stahl bewunderte und sich weismachen ließ, dass eine solche Waffe Kettenhemden wie Tuniken aus Wolle durchschnitte und Eichenschilde durchstieße wie Bettlaken. Die kampferfahrenen Recken schlugen sich vergnügt auf die Schenkel.
In den nächsten Strophen beließ Orm den Skalden in der Rolle des naiven Bewunderers. Nun bekam aber auch Arrim sein wohlverdientes Fett weg. Im Wald, sobald die Straße außer Sicht geriet, kamen ihm Zweifel an der Macht seines Schwertes. In jammernden Klagen unkte er von gebrochenen Klingen, und überhaupt sei sein Schwert kaum mehr wert als ein Schälmesser, wenn es gegen einen Drachen ginge. Dennoch wagte er nicht, es in die Scheide zurückzustecken. Als ein Fasan raschelnd Reißaus vor den beiden Wanderern nahm, ließ er es sogar fallen.
Die Schildmaiden und Recken grölten vor Lachen. Bera saß mit versteinerter Miene. Arrim beugte sich vor, wohl, um einen Blick unter die Kapuze des Sängers zu erhaschen.
Orm stampfte den Takt, die Zuhörer klatschten mit. Das steigerte seinen Mut und seine Lust. Eigentlich hatte er nur fünf Strophen über Arrims Feigheit im Wald vortragen wollen, aber jetzt fügte er fünf weitere an. Die Reime waren weniger geschliffen als bei denen, die er zuvor ausgewählt hatte, aber das machte nichts. Orm sang noch lauter, und sein Publikum begann, einzelne Verse zu wiederholen, wenn er verstummte und nur an der Leier zupfte. Methörner stießen aneinander, Fäuste trommelten auf die Tische, und begeistertes Gelächter brandete durch die Menge.
Schon jetzt war Orm der Sieg im Skaldenwettstreit sicher, ganz gleich, ob das Bera passte oder nicht. Niemand hatte die Recken und Schildmaiden so mitgerissen wie er, einige standen sogar auf den Tischen. Er könnte mit einem Witz abschließen, das Händegeklapper und die Hochrufe des Publikums entgegennehmen, das Preisgeld einstreichen und machen, dass er davonkäme. Bis zum Abend hätte er das nächste Dorf erreicht, und während er sich dort einen Braten gönnte, könnte er darüber lachen, wie Beras knirschende Zähne sie am Schlaf hindern würden.
Aber er war weder gekommen, um sich Silber zu verdienen, noch, um über mittelmäßige Skalden zu siegen. Er wollte mehr, und deswegen riskierte er, das Wohlwollen seines Publikums zu verlieren.
In einem längeren Stück ohne Text wandelte Orm die Stimmung seines Vortrags. Die harten Griffe in die Saiten wurden seltener. Schließlich gingen sie ganz in sphärische und raunende Klänge über. Orm schloss die Lider und beschwor die Erinnerung an den Wald herauf, wo trügerische Schatten fielen, wo Knochen von einem Hirsch auf dem Moos bleichten und der Wind Warnungen um einen ausgehöhlten Baumstamm heulte.
Es gelang. Seine Zuhörer beruhigten sich, ohne das Interesse an seinem Vortrag zu verlieren. Als er die Augen wieder öffnete, blickten sie ihn gespannt an. Niemand stand mehr, alle saßen auf den Bänken, wie die Besatzungen von Langbooten, die auf das Kommando warteten, die Riemen in die Wellen zu tauchen.
»Dunkelland, Wolfsgrund, Rabenforst!
Skalde horcht und Arrim zittert.
Vorwärts schreiten sie erbittert.
Ein Auge starrt von Bussards Horst.«
Orm sang von den Zweifeln, die einen Wanderer angesichts alter Eichen überkamen. Was war schon ein Menschenleben gegen das eines solchen Riesen, der niemals Zuflucht suchte und jedem Sturm trotzte? Glotzten ihre verharzten Astlöcher etwa nicht wie hasserfüllte Augen? Waren die Wolfsfährten der Grund, wieso niemand in diesem Wald den verlorenen Schatz von Uldrik Klosterbrenner zu finden versuchte? Oder doch der Fluch, den die Götter des Südens über den Plünderfahrer gesprochen haben sollten? Gab es den Drachen mit den goldenen Schwingen und den roten Schuppen wahrhaft? Hoch wie ein Turm, wenn er sich aufrichtete, und mit einem Atem, dessen Feuer ein ganzes Langhaus umhüllte?
Die Zuhörer vergaßen, aus ihren Methörnern zu trinken. Die Burschen, deren Aufgabe darin bestand, sie stets gefüllt zu halten, hatten nichts zu tun. Das war ihnen wohl nur recht, auch sie lauschten gebannt der Erzählung von Giftschlangen, die auf Ästen lauerten, und Wurzeln, die nach den Füßen der Wanderer zu angeln schienen. Einer der Skalden versuchte, Orms Melodie auf der eigenen Leier zu begleiten, aber die anderen hielten ihn schnell davon ab. In Orms Vortrag gab es keine starre Abfolge von Tönen. Er gewann die Stringenz durch die Stimmung, die sich ständig fortentwickelte. Das zuvor wild mitgrölende Publikum war jetzt von Spannung darauf erfüllt, was die beiden Wanderer im Wald erwarten mochte.
»Es tut sich auf der Höhlenschlund.
Tief, dunkel – was mag wohl dort sein?
Der Skalde fragt: Geh’n wir hinein?
Mut ist doch unsres Kommens Grund!«
Dass Arrim inzwischen angespannt wie ein fluchtbereites Karnickel in seinem Sessel saß, beachtete Orm ebenso wenig wie die Hetfrau, die ihren Zorn nur mühsam zu beherrschen schien.
Orm schilderte den bestialischen Gestank, der aus der Höhle wehte, und die vorsichtige Annäherung der beiden Jünglinge. Der Fäulnisgeruch ließ ihnen beinahe die Sinne schwinden, doch Silberglanz lockte sie weiter. Sie fanden einen Hort. Der Skalde nahm einen silbernen Helm an sich, den Orm genauso beschrieb wie jenen, der hinter ihm auf der Lanze thronte. Arrim dagegen schleppte sich mit einem juwelenverzierten Handspiegel zurück ins Freie. Die Jünglinge lachten und füllten die Lungen mit frischer Luft, die ihnen in diesem Moment so kostbar erschien wie Balsam aus dem Reich der Ersten Sonne.
»Doch Donnerkeil und Feuerstoß!
Groß Echsenleib aus Dickicht bricht.
Arrim den eignen Fuß sich sticht.
Tatzelwurm brüllt: Zwei seid ihr bloß?«
Natürlich hatte der Tatzelwurm keine echte Frage gestellt. Die sechsbeinige Bestie war der Sprache nicht mächtig. Sie hatte wenig mit einem edlen und tödlichen Drachen gemein. Ihr zu begegnen war Glück und Unglück zugleich. Wäre es tatsächlich der Hort eines feuerspeienden Drachen gewesen, den Arrim und der Skalde entdeckt hatten, es wären an diesem Tag nicht nur die Träume der Schatzsucher zu Asche geworden, sondern auch sie selbst. Ein Tatzelwurm СКАЧАТЬ