Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis. Meinhard-Wilhelm Schulz
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СКАЧАТЬ Lichtes, und jetzt hörte man ein rumpelndes Stühle-Rücken.

      Ambrosio verließ das Zimmer als erster. Ihm folgte der Unbekannte, der wiederum die Kapuze fest um das Gesicht herum gezurrt hatte. Neben ihm schritten, grimmig drein blickend, zwei Carabinieri. Marcello beschloss den Zug.

      Wortlos gingen sie hinüber zu der mit Eisen beschlagenen Türe, die ins kleine Gefängnis des Reviers führte. Dort stießen sie den Mann hinein. Ambrosio wuchtete die Pforte geradezu theatralisch ins Schloss und schob einen Riegel zu. Ein Wachmann stellte sich davor. Dann drehte sich Ambrosio zu den Männern um, die ihre Fragen nur so auf ihm niederprasseln ließen:

      »War das ein Zeuge oder ein Tatverdächtiger?«

      »Ich bin nicht befugt, darauf zu antworten.«

      »Signore Tenente, ist das eine heiße Spur?«

      »Vielleicht. Fürs Erste tut es mir leid, dass ich euch nichts sagen kann, wirklich, ich habe nichts zu berichten.«

      »Gehen Sie noch heute zum Oberstaatsanwalt, um einen Haftbefehl gegen ihn zu erwirken?«

      »Vielleicht morgen. Heute ist es zu spät. Der Mann da ist hinter Schloss und Riegel und entwischt uns nicht.«

      »Beenden Sie für heute Ihre Arbeit?«

      Ambrosio richtete seine Blicke hinauf in die quadratische Öffnung des Daches. Grau rieselte das Licht des endenden Tages durch das trübe Glas herein. Die Vögel waren bereits mit dem Abendkonzert beschäftigt. Er sagte seufzend:

      »Es ist spät geworden, verdammt spät. Der Tag war lang, und ich habe bei dieser Hitze alles durchgeschwitzt. Gegenüber hat eine Trattoria noch geöffnet. Ich gehe hinüber, um eine Kleinigkeit zu trinken und zu essen. Ich habe es bitter nötig. Ich bin mit meinen Kräften am Ende. Morgen ist wieder ein Tag.«

      Die Zeitungsfritzen sagte jetzt nichts mehr: Man sah di Fusco und Marcello gemeinsam fort gehen. Die Journalisten schlossen sich ihnen an. Der Tag ging zur Neige. Dann standen sie einträchtig um die Theke herum und prosteten einander zu. Ambrosio und Marcello bemühten sich, sorgenvoll drein zu blicken, während sie ihre Bestellung aufgaben.

      Noch aßen sie und kauten auf beiden Backen, da verabschiedeten sich die Zeitungsleute, einer nach dem anderen. Sie hatten begriffen, dass es heute nichts Neues mehr gab und strebten zur jeweiligen Redaktion, um noch rasch einen Bericht zu digitalisieren. Als der letzte von ihnen verschwunden war, brach Marcello in ein homerisches Gelächter aus. Glucksend vor Lachen sagte er:

      »So, das hätten wir! Gott sei Dank, es ist ausgestanden. Kaum zu glauben, dass sie uns die Komödie abgenommen haben, welche die Leute vom Theater inszeniert haben. Wenn mich Vater Staat eines Tages bei den Carabinieri rausschmeißt, weil ich silberne Löffel geklaut habe, werde ich Schauspieler und trete postwendend im ‚Teatro Malibran‘ auf. Ihr werdet schon sehen!«

      »Und ich bin dein Kollege«, sagte Ambrosio grinsend, »aber was ist, wenn sie uns auf die Schliche kommen, wenn sie feststellen, dass wir sie verarscht haben?«

      »Sollte der Volpe-Plan so ablaufen, wie gedacht, werden sie gar nichts davon erfahren; wenn nicht, lassen wir uns etwas einfallen, irgendeine Ausrede oder Lüge. Wie heißt es doch schon im Alten Rom? Mundus vult decipi – die Welt will betrogen sein.«

      Es begann zu dunkeln, als sie sich trennten, um unabhängig von einander nach Hause zu gehen. Sie hätten eine Gondel oder ein Wassertaxi nehmen können, das wäre bequemer gewesen, gingen aber aus ganz bestimmten Gründen lieber zu Fuß.

      Häufig begegneten ihnen Frauen, die bei ihrem Anblick das Weite suchten, bereit, beim geringsten Verdacht um Hilfe zu rufen. Wie sollten sie es ihnen erklären, dass sie das Gegenteil des Vermuteten waren? In den vergangenen drei Nächten waren drei Ihresgleichen hingeschlachtet worden, und dass der Täter womöglich immer noch frei herum lief, schrie zum Himmel.

      Doch überall in Venedig war das Gerücht wie ein Lauffeuer umgegangen, dass der Tenente und Marcello einen Verdächtigen festgenommen hätten. Die Schlagzeilen lauteten:

      »Haben die Carabinieri den Frauenmörder verhaftet?«

      »Ist der Verhaftete der Frauenmörder von Venedig?«

      Di Fusco und Marcello lasen es mit heimlichem Vergnügen. Die Einzelheiten, welche unter der Blockschrift zum Besten gegeben wurden, interessierten sie weniger. Sie wussten, was da geschrieben stand und stapften in die allmählich im Dunklen versinkenden Gassen der Stadt hinein, der Dinge harrend, die da kommen würden, denn sie alle waren davon überzeugt, dass der Mörder dem obigen Berichteten jetzt mit aller Macht entgegen treten müsse. Das werde er durch seinen vierten Mord unter Beweis stellen, falls er sein Gesicht nicht verlieren wolle.

      Diesmal aber war seine Ausgangslage eine andere. Diesmal war er der Reagierende, und diesmal hatte er keine Zeit mehr zu verlieren, um zu morden. Volpe baute fest darauf, dass er versuchen würde, die erstbeste Frau niederzustechen, und das war unsere Chance. Dabei könnte man ihn vielleicht überrumpeln. Würde er uns in die Falle gehen? Alle Hoffnungen der Carabinieri lagen darauf, dass der zweite Teil des Planes, den ihnen mein Freund vorgelegt hatte, ebenso erfolgreich wie der erste verlaufen würde.

      8. Teil: Drama der vierten Nacht

      Allmählich verblasste das letzte Grau der Dämmerung und wich dem samtenen Schwarz der Nacht. An den Kreuzungen der Gassen begannen trübe und gelblich die Laternen aufzuflackern. Zusammen mit Volpe begab ich mich hämmernden Herzens in die Schluchten der Stadt. Könnte es diesmal gut gehen? Würde sich der vierte Mord verhindern lassen?

      Und so fanden wir das heimgesuchte Stadtviertel vor: In den Buden und ‚Trattorie‘ herrschte gespenstisches Leben, wild und zügellos, voller erregter Menschen, die so taten, als erwarteten sie das Ende der Welt und müssten zuvor noch einmal über die Stränge schlagen. In Wirklichkeit war die Seele erstarrt vor unerhörtem Grauen, indem Freund und Feind wie gelähmt auf die kommende Untat warteten.

      Vergebens suchte di Fusco mit seinen Zivilstreifen ein Gefühl der Sicherheit zu verbreiten. Vergebens suchte Marcello, die Ausgänge des Viertels, die Brücken um die flankierenden Kanäle, zu bewachen. Man wusste ja um die Kühnheit des Wahnsinnigen.

      Ansonsten fielen manch einem alteingesessenen Bewohner einige fremde Damen auf, die sich hier und da durch die engen Calli schlängelten, um hin und wieder an einer Trattoria halt zu machen und dort etwas zu trinken oder einen kleinen Happen zu sich zu nehmen.

      Es waren ausnahmslos junge Frauen, die sich so furchtlos bewegten, als wäre nichts geschehen. Ihre Kleidung als ‚züchtig‘ zu beschreiben, hieße, ihnen der Ehre ein wenig zu viel anzutun. Vom ältesten Gewerbe unterschieden sie sich immerhin darin, dass sie sich keine unnötige Blöße gaben. Gelegentlich versuchte ein junger Spund, die eine oder andere der Süßen anzuquatschen, aber sie waren auf keine Liebeshändel erpicht und wiesen solchen Anträgen die kalte Schulter. Was aber nur Marcello, di Fusco und Volpe wussten: Es waren Nachwuchspolizistinnen, Freiwillige, welche furchtlos den Lockvogel spielten.

      Die Zeit ist ein seltsames Ding: Beobachtet man sie mittels einer Uhr, so scheint sie sich mit gleichbleibender Regelmäßigkeit voran zu bewegen und keinen Blick zurück zu gestatten. Daher halten sie manche für ein fest zusammenhängendes Band, das aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft reicht, aber das ist grundlegend falsch. Als Beweis dafür СКАЧАТЬ