Ende offen. Peter Strauß
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Название: Ende offen

Автор: Peter Strauß

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

Серия:

isbn: 9783347020290

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СКАЧАТЬ bei Festlichkeiten oder an jedem fünften, sechsten, siebten Tag, sowie Ehen, bei denen mehrere Männer eine Frau heirateten.71

      Wenn wir heute eheliche Treue als Ideal definieren und diese von allen Menschen fordern, stellt das für einen Teil der Männer wie der Frauen eine Überforderung dar – sie könnten diese Erwartung nicht erfüllen, selbst wenn sie wollten. Also hat eine solche Erwartung wenig Sinn. Es wäre sinnvoller, wenn wir das Fremdgehen als Eigenschaft aus unserer Herkunft anerkennen würden, beispielsweise indem es sich etablieren würde, dass sich Paare, die sich gerade kennengelernt haben, darüber austauschen, welche Vorstellungen sie von Treue in einer Beziehung haben und ob sie in dieser Hinsicht harmonieren, statt nach Jahren in heftigsten Streit auszubrechen, wenn der zuvor totgeschwiegene Unterschied offensichtlich wird.

       Werbung und Propaganda

      Dass Menschen auf Einflussnahme anderer reagieren, ist natürlich. Es hat sicherlich auch in einer frühzeitlichen Gruppe zum Prozess der Meinungsbildung gehört, dass Menschen bereit waren, sich der Meinung anderer anzuschließen, wenn ihnen diese schlüssig präsentiert wurde. Im Allgemeinen wird es so sein, dass ein einleuchtender Gedanke auch zu einem guten Ergebnis führt. So gesehen hat auch die Evolution „Verkaufstalent“ in gewissen Grenzen gefördert, und es gehört zum menschlichen Sozialverhalten. Die unerwünschten Ausnahmen sind die Fälle, in denen ein gut verkaufter, aber unschlüssiger Gedanke sich gegen einen schlecht präsentierten, vernünftigeren durchsetzen kann.

      Verkaufstalent wirkte früher anders als in der heutigen Zeit: In einer kleinen Gruppe von Menschen, wie einer Schulklasse, einer Abteilung in einer Firma oder einem Verein kennen sich alle untereinander. Kurze Zeit nach der Gründung einer solchen Gruppe haben alle die Eigenarten der anderen Gruppenmitglieder kennengelernt. Wenn einer eine „große Klappe hat, aber wenig dahinter“, so wissen das die anderen und werden auf seine vermeintlich sinnvolle Rede weniger hören. Das kennt wahrscheinlich jeder aus seiner Schulzeit. Umgekehrt ist in einer Gruppe auch schnell klar, wenn ein Gruppenmitglied gute Ideen hat, aber sich kaum traut, diese durchzusetzen. Die anderen werden die Schüchternheit dieses einen meist dadurch ausgleichen, dass sie bei ihm genauer hinhören oder ihn nach seiner Meinung fragen. Die Gruppe ist also in der Lage, Unterschiede in der Persönlichkeit zum maximalen Nutzen aller zu kompensieren.

      In unserer heutigen Massengesellschaft führen dieselben menschlichen Eigenschaften zu einem anderen Ergebnis: Da nicht mehr jeder jeden kennen kann und der Empfänger der Botschaft die Eigenarten und die Persönlichkeit des Senders der Botschaft meist nicht feststellen kann, versagt die Methode, die Botschaft mit Hilfe der Kenntnis der Persönlichkeit des Senders zu korrigieren. Unter solchen Umständen wird es schwierig. Der Empfänger der Botschaft muss sich entscheiden, ohne die Kenntnis der Persönlichkeiten der einzelnen Sender zwecks Orientierung zur Hand zu haben. Zum Beispiel muss er einen Politiker oder eine Partei wählen, ohne dass er die Ernsthaftigkeit der Wahlversprechen beurteilen kann. Ebenso verhält es sich bei Produktwerbung, deren Aussagekraft wir auch erst dann erkennen, wenn der betreffende Artikel von uns gekauft und benutzt wurde. Erst dann wissen wir, wer um wie viel beschönigt hat, wer oder was wirklich eine gute Wahl war und wer oder was nur besonders geschickt vermarktet wurde. In einer unpersönlichen Umgebung kann nicht mehr die beste Entscheidung getroffen werden.

      Das ist eines unserer Probleme: Rhetorik und gute Werbung werden dadurch höher bewertet als gute Lösungen. Selbst langfristig führt das oft nicht zu besseren Ergebnissen. Politiker stehen nach vier Jahren, nach denen man sich vielleicht eine etwas genauere Meinung bilden konnte, nicht mehr zur Wahl. Unternehmen, die sich mit hochwertigen Produkten einen Namen gemacht haben, entscheiden sich, ihren Herstellungsaufwand auf Kosten der Qualität zu reduzieren usw. Da sich alle in einem System oft gleich verhalten (alle Politiker machen falsche Wahlversprechen, alle Handyhersteller preisen Funktionen an, die nur eingeschränkt zur Verfügung stehen), hat der Einzelne nur die Wahl zwischen gleichen Übeln. Außerdem stehen Rhetorik, Propaganda und Werbung so stark im Vordergrund, dass über die dahinter liegende Wahrheit ohne langwierige Untersuchungen kaum etwas herauszubekommen ist. Das ist der Grund, warum zum Beispiel die Pharmaindustrie ein Vielfaches von dem in Werbung investiert, was sie für Forschung ausgibt. Da der Kunde die Wahrheit kaum erkennen kann und ihm keine echte Wahl bleibt, ist Werbung oft renditeträchtiger als wirkliche Qualität. Das im Kleinen sinnvolle Phänomen, auf eine gute Präsentation zu reagieren, wird in der Anonymität der Masse ins Gegenteil verkehrt. Was im Kleinen sinnvoll war, wird im Großen kontraproduktiv.

       Grenzen der Evolution

      Die Natur (die Evolution) wertet nicht moralisch. Sie hat uns zu dem gemacht, was wir sind, mit allen vermeintlichen Stärken und Schwächen und mit allen vermeintlich moralischen und unmoralischen Eigenschaften. Die Evolution hat dazu geführt, dass wir unsere Kinder lieben. Sie hat uns die Aggression gegeben, die zur optimalen Ausnutzung unserer Reviere führte (siehe Kapitel 2.5). Und sie will es oder duldet es, dass steinzeitliche Menschen in bestimmten Situationen ihren eigenen Nachwuchs töteten oder dass es Kannibalismus gab. Letzteres erscheint uns zu Recht sehr brutal. Im Sinne der Evolution war das Töten von Kindern vermutlich besser, als den ganzen Stamm aufgrund von Hunger aussterben zu lassen. Kannibalismus war höchstwahrscheinlich ein Irrtum der Evolution, blieb aber unbedeutend und wurde von der Evolution geduldet, solange er nicht Ausmaße annahm, die die Existenz des Stammes gefährdete. Falls dies vorkam, so stammen wir nicht von dieser Linie ab. Entscheidend aber ist: Heute haben wir bessere Möglichkeiten, unser Zusammenleben in dieser Hinsicht zu regulieren. Heute können wir mit Hilfe unseres freien Willens solche Probleme im Sinne selbst gewählter Moralvorstellungen lösen. Bei weniger offensichtlichen Belangen sollte dabei mit Bedacht vorgegangen werden, denn der Sinn vieler Mechanismen der Natur erschließt sich nicht automatisch. Grundsätzlich besteht aber die Möglichkeit, die Evolution zu „optimieren“.

      Es ist sinnlos, ein von Aggressionen befreites Leben anzustreben. Das können Menschen nicht leisten, denn Aggression ist unauslöschlich in uns angelegt. Es bestünde aber die Möglichkeit, sich zu überlegen, wie Aggressionen umgeleitet oder gedämpft werden können, sodass sie keinen Schaden anrichten, sondern konstruktiv genutzt werden.

      Es tut uns gut, wenn wir unser Leben so gestalten, wie es unsere Vorfahren in der Steinzeit taten. Jetzt werden sicherlich einige Leser widersprechen und sagen: nein, so wollen sie nicht mehr leben. Genau das tun wir aber derzeit schon in einigen grundlegenden Fragen: Sport und Spiel sind die Überbleibsel der Jagd und des dazu nötigen Trainings. Wir reisen gerne, was meines Erachtens den archaischen Trieb befriedigt, der unsere Vorfahren durch ihr Revier ziehen ließ oder sie als Nomaden leben ließ. Auch in Bezug auf die Faulheit verhalten wir uns zumindest teilweise wie unsere Vorfahren: Wir arbeiten nicht pausenlos (wie Ameisen), sondern gönnen uns Ruhezeiten – Feierabend und Wochenende sind uns heilig. Unter rein wirtschaftlicher Betrachtung könnten und müssten wir alle diese Verhaltensweisen unterlassen, weil wir dann viel produktiver sein könnten und den technischen Fortschritt erheblich beschleunigen könnten. Dass wir das nicht tun, zeigt, wie stark das Erbe unserer Vorfahren noch in uns wirkt.

       2.3 Gier, Macht und Hierarchie

      Wie erwähnt, ist Gier ein Antrieb, der zur optimalen Versorgung und damit zur optimalen Arterhaltung beitragen soll. Solange es keine Sesshaftigkeit, keinen umfassenden Besitz, kein Eigentum und Vermögen gab, hatte Gier wenige Ziele: Nahrung und vielleicht den Besitz eines Fells, Speers oder Faustkeils. Gier sorgte dafür, dass sich jeder darum bemühte, nicht zu kurz zu kommen. Neben dieser Form des durch menschliche Gier ausgelösten Wettbewerbs um Nahrung gibt es unter Menschen zahlreiche gegenläufig wirkende Mechanismen: Wer geschickt oder schlau ist, kann sich – trotz der größeren Kraft eines anderen – Nahrung beschaffen. Außerdem haben wir Menschen einen starken Wunsch nach Gemeinschaft und Freundschaft, was zu gegenseitiger Hilfe führt. Nahrung wurde in der Steinzeit nicht nur gehortet, sondern auch mit anderen geteilt. Wettbewerb ist nicht der einzige Mechanismus der Evolution. Er wurde durch andere Mechanismen in seiner Wirkung abgeschwächt.

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