Название: Rot ist die Rache
Автор: Stefan Huhn
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783942672733
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Ira hatte sie über ihre Beziehung mit Roman bis zur Trennung vor vier Monaten stets auf dem neuesten Stand gehalten. Roman war im Sommer fremdgegangen und Ira hatte sich nach langem Hin und Her für einen Schlussstrich entschieden. Seine Untreue war gar nicht mal der ausschlaggebende Punkt gewesen. Vielmehr wollte Ira auf zu neuen Ufern. Weg von der Routine. Einen Partner finden, der ihr mehr bieten konnte. Dass sie sich selbst schon Wochen vorher von einer Affäre zur nächsten gehangelt hatte, ließ Ira nicht gerade in einem guten Licht erscheinen. Doch Mareike, die auch darüber im Bilde war, stand natürlich auf der Seite ihrer Tratsch-Freundin.
„Aber es geht nicht um uns. Zumindest nicht um uns als Paar, sondern um alte Schulfreunde. Es ist etwas passiert“, erwiderte Roman mit fester Stimme.
„Wieso … wer … Was ist denn los?“ Dass Roman einmal nicht wegen ihrer in die Brüche gegangenen Beziehung anrief, irritierte die junge Online-Redakteurin. Mareike lauschte gespannt.
„Darüber möchte ich nicht am Telefon sprechen. Wann hast du Zeit?“, antwortete Roman knapp.
Ira wurde neugierig. „Also gut. Ich arbeite bis circa achtzehn Uhr. Früher geht auf keinen Fall, du weißt ja, Busy-Monday. Und heute Abend will ich noch mit Freunden los. Lass uns einfach dazwischen treffen. Um sieben in der Watusi Bar?“ Ira wollte das Wiedersehen mit Roman so knapp wie möglich halten. Ein kurzes Treffen sollte reichen. Und mit ihrer Verabredung hinten raus konnte er nicht auf die Idee kommen, den kompletten Abend mir ihr verbringen zu wollen.
„Super, danke. Und glaub mir, es ist wichtig. Bis später“, erwiderte Roman und legte auf.
„Was wollte der alte Troublemaker denn nun wieder?“ feixte Mareike grinsend.
„Kein Plan. Irgendwas ist mit alten Freunden passiert.“ Ira schaute ihre Kollegin nachdenklich an. „Wehe, das war nur ein Vorwand, um mich wieder einzulullen. Man weiß ja nie.“
„Kannst auf mich zählen“, ließ Mareike ihre eigentlich gar nicht so enge Freundin betont solidarisch wissen.
„Danke dir. So, dann lass uns jetzt mal unser Deluxe Menü vertilgen. Ich habe fast nix im Magen.“ Ira nahm den Rost samt der beiden Fertigpizzen mit einem Topfhandschuh aus dem Backofen der Büroküche und richtete sie auf zwei großen Brettern an.
Eigentlich wären sie lieber zum Mittagstisch essen gegangen. Die Kantine des benachbarten Lack- und Farbenherstellers war nicht schlecht. Aber heute stand ein wichtiges Meeting für die Marketingabteilung auf der Agenda. Die Geschäftsführer des in Münster ansässigen Online-Shops für Kindermode und Spielzeug hatten einen SEO-Spezialisten eingeladen. Dieser sollte die Redaktionsmitglieder auf den neuesten Stand in Bezug auf suchmaschinenoptimiertes Schreiben von Produkttexten, Kategoriebeschreibungen und Landingpages bringen. Immer auf der Höhe der Zeit bleiben. Gerade im schnelllebigen Online-Business. So etwas nahm Ira ernst, sie wollte nie den Anschluss im Beruf verlieren. Dafür hatte sich Ira zu sehr aus den unteren Schichten nach oben gekämpft. Manchmal aber fühlte sie sich in der Akademikerwelt immer noch wie ein Fremdkörper. Kolleginnen wie Mareike waren erträglich. Letztlich aber doch verhätschelte, kleine Gören. Konnte man sich auf solche Leute verlassen, wenn es im Job einmal hart auf hart kam? Schließlich standen Firmen dieser Branche stets mit einem Bein im Aus. Ein neuer Konkurrent lockte die Kundschaft mit Dumpingpreisen auf seine Website – und schon waren jahrelange Arbeit an den Texten und der mühsam erkämpfte Spitzenplatz im Google-Ranking in Gefahr. In diesem Fall konnten die Chefs nur noch versuchen, den Verlust mit teuren Anzeigen zu kompensieren. Das wiederum verlangte Einsparungen beim Personal. So hatte Ira es im Zuge eines Praktikums in einer Hamburger Firma für Karneval- und Halloween-Kostüme live miterlebt. Doch sie würde dafür sorgen, stets auf der Seite der Gewinner zu stehen. War die See ruhig, gab sich Ira so kollegial und gesellschaftskompatibel wie nötig. In stürmischen Zeiten aber würde sie ihren harten Kern ausspielen und mit allen Bandagen kämpfen.
Als Ira in ihre spärlich belegte Tiefkühlpizza biss, dachte sie nicht mehr an Roman und seine merkwürdigen Andeutungen. Stattdessen plauderte sie mit Mareike über die nicht immer einwandfreie Körperhygiene der Mitglieder ihrer IT-Abteilung und den nerdigen Social-Media-Manager. Was einen erwachsenen Mann dazu brachte, in seiner Freizeit Actionfiguren von den Ninja Turtles zu sammeln, blieb für die beiden Frauen ein Rätsel. Auch die x-te Fortsetzung eines Superheldenfilms aus dem Hause Marvel war nicht gerade ihr Lieblingsthema. Dafür hatten sie Stoff zum Lästern. Und das empfand Ira als nette Abwechslung zum Texten über die Beschaffenheit von Babystramplern und den Aufdruck von Kleinkindershirts. Soweit alles in Ordnung. Business as usual. Was sie nicht ahnen konnte – am Horizont ihrer scheinbar sicheren Existenz braute sich ein Unwetter zusammen.
Frederick war ganz allein. Saß an der Kasse der Filiale, zu der er tagtäglich zur Arbeit ging. Keine Kunden und keine Kollegen weit und breit. Er wollte aufstehen, raus aus dem Laden. Doch er konnte es nicht, fast so, als würde er an seinem Stuhl festkleben. Irgendetwas stimmte hier nicht. Lauthals rief Frederick um Hilfe. Niemand kam. Sein Ruf verhallte in dem riesigen Gebäude. Stattdessen suchte sich eine schwarze Nebelwand ihren Weg aus dem hinteren Thekenbereich bis nach vorne zu den Kassen. Verschlang die Regale, den Fußboden und alles, was sich ihr in den Weg stellte. Frederick bekam es mit der Angst zu tun, war aber weiterhin nicht in der Lage, seinen Platz zu verlassen.
Bis sich plötzlich das Warenlaufband rückwärts in Bewegung setzte und Frederick aus seinem Stuhl herauszog. Hilflos krabbelte er auf allen vieren, doch je schneller er sich bewegte, desto schneller lief auch das Band in Richtung Nebel. Dieser hatte Frederick jetzt erreicht, hüllte ihn ein und verursachte ein scharfes, kratzendes Gefühl in seinen Atemwegen. Auf einmal baute sich eine vermummte Gestalt vor ihm auf. Sie hielt ein blitzendes Messer in den hoch erhobenen Händen, bereit, auf Fredericks zitternden Körper einzustechen. Frederick schloss die Augen und hoffte inständig, dass alles schnell vorübergehen würde. Sekunden verrannen, nichts passierte.
Als Frederick die Augen öffnete, hatte der Nebel den unheilvollen Fremden wieder eingehüllt, das Band stand still. Frederick sprang herunter und hatte endlich festen Boden unter den Füßen. Die Eingangstüren waren nicht weit entfernt, er würde sie auch im Nebel finden, kannte er doch die Umgebung nur allzu gut. Tastend arbeitete sich Frederick vor. Auf halbem Wege streifte seine rechte Hand ein Stück Papier. Hier muss der Zeitungsständer sein, dachte er.
Schau dir die Titelseite an, flüsterte eine innere Stimme. Frederick wusste nicht warum, aber er tat wie ihm befohlen, nahm die oberste Zeitung und hielt sie ganz nah an sein Gesicht, damit er die Buchstaben trotz der Nebelschwaden erkennen konnte: Es gibt ein drittes Opfer – Frederick L. am Arbeitsplatz erstochen.
Noch während Frederick sich der Bedeutung der Worte bewusst wurde, erschien wie aus dem Nichts erneut das schattenähnliche Wesen und kam über ihn. Das Letzte, was Frederick spürte, war das kalte Metall, das tief in seinen Hals eindrang, und das warme Blut, das aus der Wunde über seinen Oberkörper strömte.
Mit einem lauten Schrei wachte Frederick auf. Gott sei Dank, dachte er, nur ein Traum. Ein irrer Traum. Die Erleichterung wich umgehend der Erkenntnis, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wo er sich befand.
Zuerst nahm er in der Dunkelheit nur Umrisse der Umgebung wahr. Schemenhafte Formen. Dazu ein monotones Summen, dessen Ursprung er nicht zuordnen konnte. Langsam wurde das Bild vor seinen Augen klarer. Er erkannte ein schiefes Regal aus Holz, das mit einem halben Dutzend Schuhkartons bestückt war, und einen Abstelltisch, in dessen Mitte ein aufgeschlagener Notizblock lag.
Wie war er hierhergekommen? Langsam richtete er seinen Oberkörper auf und stützte sich mit den Ellbogen СКАЧАТЬ