„Was willst du?!“
„Ich versuche, dich zu retten. Wir haben nicht viel Zeit – wir müssen uns beeilen, wenn wir diesen Ort lebend verlassen möchten.“
„Wieso sollte ich dir glauben? Du hast mich verraten!“ Wütend und zutiefst gekränkt verengte Kiyonori die Augen.
„Hör zu“, begann Teruo seufzend, „ich weiß, dass du keinen Grund hast, mir zu vertrauen und das bereue ich wirklich sehr. Wenn du jedoch hier bleibst, wird Kanagisama dich zu Tode foltern. Es gibt nichts Schlimmeres, was dir widerfahren könnte. Ich werde dir alles später erklären. Du musst mir aber jetzt vertrauen.“
Still hörte Yujiro zu. Er konnte nicht glauben, dass Teruo dies ernst meinte. Doch er hatte Recht: Etwas Schlimmeres als den Foltertod könnte es nicht geben; die logische und die einzige Entscheidung wäre ihm zu folgen.
„Weshalb tust du das?“, wollte er misstrauisch wissen.
„Ich bereue meine Tat, Yujiro“, erwiderte Teruo leise. „Es tut mir wirklich leid, was ich dir angetan habe. Ich …“ Er hielt inne, als ob er noch etwas hinzufügen wollte, schüttelte jedoch dann den Kopf. „Jetzt haben wir keine Zeit dafür. Isonosan, der Samurai, den Sowanosama nach Kiyosu ausgesandt hatte, um Audienz bei Kanagisama zu erbitten, ist zurückgekehrt. Und wie ich meinen Herrn kenne, wird er sogar nachts aufbrechen, nur um ihm dich auszuliefern. Bitte, du musst mir einfach glauben.“
Entschuldigend und flehend schaute er Kiyonori an.
Der Letztere sah ihn lange an. „Na gut … wenn du mich jedoch anlügst, dann – ich warne dich – werde ich den Rest meiner Kräfte nutzen, um dir ein Ende zu setzen.“
Dankbar nickte Teruo und half ihm auf die Beine. Sobald Yujiro jedoch eine Bewegung machte, durchschoss Schmerz seinen ganzen Körper und er musste laut aufstöhnen.
„Bitte verzeih mir“, wisperte Teruo bedrückt, als er den Zustand seines Freundes sah.
Nicht ohne Mühe kam der Chūnin auf die Beine, während Teruo aus der Zelle hinausspähte. Außer dem Wind, der die Blätter rascheln ließ, und der kaum hörbaren, diskutierenden Stimmen, die aus der Villa kamen, war nichts anderes vernehmbar. Als Kiyonori herausblickte, musste er wegen der Dunkelheit die Augen zusammenkneifen. Er konnte nicht glauben, dass er den ganzen Tag ohnmächtig gewesen war.
So leise sie nur konnten, verließen sie die Bretterbude, wobei sich Yujiro an seinen Begleiter lehnte, um gehen zu können, und bei jedem Schritt humpelte. Sie verbargen sich, soweit es ging, hinter Büschen sowie Bäumen und versuchten zum Ausgang zu gelangen. Vorsichtig sahen sie sich um und gingen weiter über die zum Teil offene Fläche, nachdem sie sich von der Abwesenheit anderer Menschen vergewissert hatten.
Teruo sah den Chūnin prüfend an. „Glaubst du, du hättest genügend Kraft, um klettern zu können?“
Kiyonori runzelte die Stirn. „Ich kann mich nur mit Mühe auf den Beinen halten.“
Teruo nickte grimmig und warf einen Blick nach rechts, auf das Gebüsch sowie die Bäume, bevor er ein Seil wegwarf, das ihm über die Schulter hing.
„Dann können wir nicht die Felswände hinunterklettern“, murmelte er vor sich hin und wandte sich an Yujiro. „Um den Wachposten, der die Treppe bewacht, werde ich mich schon kümmern. Ich wusste nicht, wie ich ihn vorzeitig hätte ausschalten können … oh nein! Runter! Runter!“
Etwas unsanft schubste er seinen Waffenbruder zu Boden und warf sich dann selbst nieder. Bevor der Chūnin hätte nachfragen können, sah er, wie eine kleine Gruppe aus dem Hauptgebäude kam. Beim genaueren Hinsehen konnte er einen unter ihnen als Takeru identifizieren. Irritiert schlug Teruo mit der Faust aufs Gras, hielt sich jedoch von einer Äußerung ab.
„Bereitet schnell meine Reisesachen vor“, konnten sie Sowanos kommandierende Stimme hören, während dieser und seine Männer direkt auf die Bretterbude zugingen.
Mit einer Handbewegung forderte Kiyonori seinen Waffenbruder auf, ihre Flucht fortzusetzen, und mit seiner Hilfe schaffte er es kriechend das Gebüsch zu erreichen, das den Treppen am nächsten war. Aus ihrem Versteck erblickten sie die Wache, die den Ausgang bewachte: ein dünner Mann, der so wach wie eine Eule zu sein schien.
Plötzlich hörten sie aufgebrachte Schreie. „Der Gefangene ist entflohen!“
Die beiden Flüchtenden verspürten ein unangenehmes Kribbeln im Magen. Der Drang einfach aufzuspringen und wegzurennen verdoppelte sich und sie hatten das Gefühl, als ob sie in der Falle säßen.
„Weckt alle!“, befahl Takeru und in null Komma nichts waren weitere Rufe sowie schnelle Schritte zu hören.
„Bleib hier!“, zischte Teruo leise Yujiro zu und sprang auf. Er lief auf die Wache zu und täuschte Beunruhigung vor.
„Was ist denn dort los? Ist der Gefangene tatsächlich entkommen?“, erkundigte sich der Letztere.
„Es scheint zu stimmen. Wie konnte dies passieren?“
Teruo stand praktisch schon neben dem Nukenin. Auf einmal weiteten sich seine Augen, als er über die Schulter seines Gesprächspartners schaute.
„Was in aller …“, murmelte er.
Der Wachposten wirbelte herum und folgte seinem Blick, wobei er das Heft seines Kurzschwertes ergriff. Ohne einen Augenblick zu zögern, schlug ihm Teruo kraftvoll gegen den Kopf, sodass dieser schlaff zu Boden sackte.
Er lauschte eine Sekunde und kehrte schnell zum Chūnin zurück, der alles verfolgt hatte, bevor sie begannen, die kreisförmige Treppe hinabzulaufen. Kaum hatten sie das Ende der Treppe erreicht, vernahmen sie einen Ruf, der ihnen beinahe das Herz stocken ließ.
„Die Wache liegt hier bewusstlos herum – er ist in diese Richtung geflohen!“
Unverzüglich ertönten eilige Schritte, als diese auf dem quietschenden Holz der Treppe hämmerten.
„Los, los, los, los, los!“, zischte Teruo hastig.
Yujiro ignorierte den quälenden Schmerz nur mit größter Mühe und es gelang ihm, sich schneller fortzubewegen, während sein Retter und er in die Höhle liefen. In kürzester Zeit hatten sie das Höhlensystem hinter sich gelassen und versuchten, an dem Wasserfall vorbei, den großen Teich zu verlassen.
„Er ist dort! Ich habe dort jemanden gesehen!“
„Gebt mir eine Hakenbüchse – schnell!“, kommandierte Takeru knurrend.
Kiyonori stockte einen Moment der Atem. Entrüstet tauschte er einen kurzen Blick mit seinem Begleiter aus. In seinem Zustand hatten sie genug Schwierigkeiten davonzukommen. Wenn jetzt noch mit Luntenschloss-Arkebusen auf sie geschossen wurde, dann waren sie so gut wie tot.
Nervös schluckte er, als ihm dieser Gedanke kam und er erneuerte derart seine Anstrengungen, dass sein Gesicht davor rot wurde. Er bemerkte auch, dass Teruo es nicht leicht hatte, ihn zu stützen, und seine ganze Willenskraft einsetzen musste, um ihn nicht loszulassen und um schnellstens wegzurennen. Wortlos ließen sie den Teich hinter sich und begannen sich einen Weg durch die wilden, hindernden Bäume und Sträucher zu bahnen.
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