Название: Baltrumer Wattenschmaus
Автор: Ulrike Barow
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783839262467
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»Ich bin in Kürze wieder vor Ort«, rief er der Pastorin und dem Totengräber zu, die in ein Gespräch vertieft waren, dann verließen die Ermittler den Friedhof.
»Liebe Güte, was für ein Krach«, bemerkte Lars Haltegrund, als sie auf die Straße zum Flugplatz abbogen.
»Ringelgänse, Möwen, Austernfischer – alle reagieren ungehalten, wenn sich ein Fluggerät nähert«, erklärte Röder. »Aber wir befinden uns im Nationalpark. Da läuft nichts mit Abschießen. Auch wenn die Menge der Flattertiere ständig zunimmt.« Er zeigte auf die Hellerfläche, auf der sich die Vogelschwärme wie eine weiße oder graue Decke über das Grün gelegt hatten.
»Das sollte den Gästen, deren Schlafzimmer zum Heller hinzeigen, besser vor der Anreise klargemacht werden. Ich könnte bei der Lautstärke kein Auge zutun«, überlegte Haltegrund.
»Ginge mir ähnlich«, bestätigte Martin Brinkmann. »Und soweit ich weiß, geht das Geschnatter auf dem Heller den ganzen Sommer über, oder?«
»Die Vögel kommen im Frühjahr und fliegen ab Mitte Juli weiter. Einige Arten bleiben sogar inzwischen. Schaut mal«, Röder zeigte auf einen weißen Vogel mit einem löffelartigen Schnabel, »ein Löffler. Gibt es nicht sehr häufig und noch gar nicht lange hier.«
»Scheint mir aber recht zutraulich zu sein«, wunderte sich Brinkmann.
Und tatsächlich: Der große Vogel erhob sich erst in die Luft, als sich der Hubschrauber mit lautem Getöse näherte.
Sie luden alles ein und die Männer verabschiedeten sich. Röder fuhr zurück zum Friedhof und sah, dass die Feuerwehr das Zelt abgebaut hatte. Somit war alles geregelt. Die Pastorin war bereits gegangen, auch Tim und der Inselpolizist verließen den Friedhof.
Er fuhr zurück in die Wache und räumte ein paar Papiere auf dem Schreibtisch zusammen. Die neue Kollegin sollte nicht gleich den Schreck ihres Lebens bekommen, wenn sie ihre Arbeitsstätte für die nächsten Wochen sah.
Dann ging er in die Küche der Dienstwohnung und machte sich einen schnellen Kaffee. Es war ruhig in der Wohnung. Weder Sandra noch Amir waren da. Hatte sie etwas gesagt, wohin sie …? Ach ja. Er musste sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass seine Frau tagsüber oft nicht da war. Sie hatte zusammen mit ihrer Freundin einen Bioladen auf der Insel aufgemacht. Gemüse und Obst bekamen sie vom Hof seines Freundes Arndt Kleemann und seiner Frau Wiebke. Seit zwei Monaten war der Laden geöffnet, und die beiden Frauen hatten gleich gut zu tun gehabt. Er setzte sich ins Wohnzimmer, genoss die Stille und dachte über den Fund auf dem Friedhof nach. Er war gespannt, ob sich herausstellen würde, wer der oder die Tote war und welche Ermittlungsarbeit auf der Insel es nach sich ziehen würde. Aber zunächst musste er sich anhören, was der Schulleiter zu sagen hatte.
Er stand auf, spülte seine Tasse aus und fuhr los. Es war immer noch trocken, auch wenn sich gegen Westen ein paar dunkle Wolken sammelten.
Er fuhr an der Volksbank vorbei und bog am Hotel »Seehof« links ab. Gleich darauf stellte er sein Rad in den Ständer an der Schule. Hoffentlich nimmt es keiner mit, dachte er. Ohne Rad war er aufgeschmissen. Er erinnerte sich an einen Sommer vor ein paar Jahren. Da waren einige Fahrräder der Kinder während des Unterrichts plötzlich verschwunden. Später stellte sich heraus, dass Gäste die Räder mitgenommen hatten, weil sie glaubten, dort sei ein kostenloser Fahrradverleih. Netterweise wurden die Räder zurückgegeben.
Paul Abarth stand in der Tür und begrüßte ihn freundlich.
»Kommen Sie rein.«
Er folgte dem Schulleiter ins Büro. »Also, wie sind die Pläne?«
»Setzen Sie sich.« Abarth deutete auf einen Bürostuhl, der vor dem Schreibtisch stand. »Wir sprachen ja schon einmal über die Fahrradkontrolle. Wir haben uns nun gedacht, dass wir den erhobenen Zeigefinger weglassen und stattdessen eine fröhliche Schulparty veranstalten, bei der alle mitmachen. Sie kommen und kontrollieren die Räder. Wir haben schon jemanden, der bei Bedarf kleine Reparaturen ausführen kann. Dazu machen wir ein tolles Programm und wollen vorbeifahrende Insulaner anhalten und sie fragen, ob wir deren Räder auf Sicherheit kontrollieren dürfen. Die Kinder helfen Ihnen und können so ihr neuerworbenes Wissen anwenden.«
Röder musste lachen. »Da bin ich aber gespannt, welcher Einwohner auf die Bremse tritt. Aber gut, ich bin gerne dabei. Wie wäre es in 14 Tagen? So können Sie in Ruhe mit Ihren Schutzbefohlenen alles vorbereiten, und meine Kollegin und ich stoßen dann zu Ihnen.«
»Wunderbar.« Abarth zögerte. »Wo Sie gerade Schutzbefohlene sagen. Ich muss etwas loswerden. Ist wahrscheinlich völlig unwichtig, aber dann können Sie mal hören, womit wir uns auseinandersetzen müssen. Wilko, der Junge von Antje und Hans Jessen, sagte neulich: ›Wer leben will, muss töten!‹ Der Knabe ist erst elf und dann solche Sprüche!«
»Haben Sie nachgefragt, was er damit meinte?«
»Natürlich. Aber er hat nur den Kopf geschüttelt und geschwiegen. Er und seine Schwester Meta, sie ist acht, sind eigentlich sehr fröhliche, aufgeschlossene Kinder. Doch seit einiger Zeit werden sie immer stiller und beteiligen sich kaum am Unterricht. Das berichten alle Lehrer. So etwas passiert immer mal wieder. Hat mit der Entwicklung zu tun und gibt sich meistens. Aber bei Wilko fällt mir neuerdings auf, dass er ab und zu seltsame Sprüche loslässt. Zum Beispiel diesen hier: ›Ich kann nicht. Ich hab’s ihm versprochen. Ich muss zu ihm.‹ Das war, als ich ihn darauf hinwies, dass wir nachmittags gegen eine Mannschaft vom Turnerbund auf dem Schulsportplatz Fußball spielen wollten. Dann drehte er sich um und war verschwunden.«
»Wissen Sie, wer ›ihm‹ ist?«
»Keine Ahnung.«
»Sie werden ihn im Auge behalten«, bat Röder den Schulleiter. »Reden Sie mit den Eltern. Sollte sich Neues ergeben – Sie wissen, wie Sie mich erreichen.«
Paul Abarth nickte. »Ich rufe gleich bei den Jessens an und bitte um ein Gespräch. Ich unterrichte Sie, wie sich das Ganze entwickelt.«
Michael Röder stand auf. »Gut. So verbleiben wir.«
»Danke.«
Der Inselpolizist verließ die Schule mit dem Gedanken, froh zu sein, dass es diesmal eine Kollegin war, die zu seiner Unterstützung auf die Insel kam. Sollte ein Kontakt zu den Kindern oder den Eltern nötig sein, würde sie bestimmt die passenden Worte finden. Zumindest hoffte er es. Noch kannte er sie nicht.
4
Anika Frederik spielte gedankenverloren mit dem Bändchen ihres Notizbuches. Gleich war die halbe Stunde Überfahrt, die sie vom Festland trennte, vorbei und sie würde ins Inselleben eintauchen. Sie hatte sich die Stelle nicht ausgesucht, sondern ihr Chef hatte ihr dringend dazu geraten. »Sie bleiben in Ihrem Job, aber es ist ein völlig anderes Arbeitsgebiet. Ruhig und beschaulich. Trunkenheit am Zügel – das war’s.«
Sie hatte lachen müssen. Dabei war es gar nicht der Job gewesen, der sie belastet hatte. Zum zehnten Mal auf dieser Schifffahrt zog sie СКАЧАТЬ