Название: Baltrumer Wattenschmaus
Автор: Ulrike Barow
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783839262467
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Sicher war es am besten, die Birke wieder einzugraben. Und zwar sofort. Natürlich hatte er in dem kleinen grünen Gartenhäuschen eine Schaufel liegen, aber der Schlüssel lag neben seinem Basecap auf dem Regal. Also hieß es mit den Händen ein Loch zu graben, das groß genug war, die Wurzeln des kleinen Baumes aufzunehmen. Es ging erstaunlich leicht. Die Erde war nicht so fest, wie er befürchtet hatte. Plötzlich spürte er einen Stich an seinem linken Zeigefinger. Eine rostige Haarspange hatte den Schmerz verursacht. Er legte sie neben das Grab. Er würde sie später entsorgen.
Vorsichtig vergrößerte er das Loch und starrte auf das, was sich unter seinen Händen zeigte. Ein Knochen, dann ein zweiter schob sich ihm entgegen. Erst ein kleiner, dann einer, der aussah, wie eine Unterarmspeiche, dann ein dickerer mit einem Knubbel daran. Er schob wie unter Zwang weitere Erde vom Grab und hörte erst auf, als ihn eine Stimme in die Wirklichkeit zurückholte.
»Machst du eigentlich nie Feierabend? Dein Job ist es doch, Menschen zu vergraben, nicht auszubuddeln.« Bodo, sein Nachbar, stand vor ihm und schaute neugierig zu ihm herunter.
»Ruf Michael an«, krächzte Tim. »Hier stimmt was nicht.«
»Wieso? Das ist ein Friedhof. Da dürfen …«
»Ruf ihn an! Sofort!« Einen weiteren Satz würde er nicht herausbringen.
Bodo hatte offensichtlich verstanden. Er zog sein Handy aus der Tasche, wechselte ein paar Worte und steckte es wieder ein. »Er ist auf dem Weg. Wir sollen nichts weiter anfassen.«
»Darauf kann er sich verlassen«, stöhnte Tim und versuchte aufzustehen. Doch erst, als Bodo ihm unter die Arme griff, kehrte Kraft in seine Beine zurück.
»Nun sag mal, was ist passiert? Wieso wusstest du …?«
Tim winkte ab. »Warte, bis Michael da ist. Dann muss ich nicht alles zwei Mal erzählen.«
2
Röder zog seine leichte Dienstjacke an und holte sein Rad aus dem Gartenhäuschen. Der Maiabend zeigte sich recht kühl und der kräftige Westwind schob dunkle Wolken vor sich her. Er war gespannt, was ihn auf dem Friedhof erwartete. Bodo Kehler hatte sich bei seinem Anruf recht kurzgehalten.
Es waren nicht viele Menschen unterwegs, als er beim Hotel »Seehof« auf die D-Straße und gleich darauf am Hotel »Fresena« durch das Deichschart fuhr. Auch am Spielteich brauchte er nur ein, zwei Überholmanöver, dann stellte er sein Rad vor dem Friedhof ab. Hinten auf der Bank sah er Tim Seebald sitzen. Selbst aus der Ferne konnte man ihm ansehen, dass es ihm nicht gutging.
Bodo stand in der Mitte des Friedhofs an einem Grab und wedelte mit den Armen. »Die verdammten Möwen«, schrie er. »Dabei gibt es hier nichts zu holen.«
»Was habt ihr gefunden?«, rief er ihm zu.
»Ich nichts«, antwortete der stabile Mann mit der Halbglatze und deutete auf Tim Seebald. »Der da. Schau dir das an.«
Als Röder das Grab erreicht hatte, sah er Knochen. Und etwas, was wie die Reste einer Jacke aussah. Ihm war in diesem Moment nicht ganz klar, ob es ein ganz normaler Vorgang war, in einem Grab Knochen zu finden. Natürlich war er sich sicher, dass Tote in einem Sarg beerdigt wurden. Und das viel tiefer. Aber konnte es nicht durch Regen und andere Umstände passieren, dass Knochen zutage traten? Er schaute zu Tim, der sich immer noch nicht rührte. Dort saß der Fachmann. Und er war sich sicher, dass diese Situation nicht normal war, sonst hätte der Herr der Gräber anders reagiert.
»Wenn du bitte auf die Fundstelle aufpassen würdest? Ich muss mit Tim reden«, bat er Bodo.
Der nickte. »Was ist mit ’ner Folie oder so?«, brummelte er.
»Machen wir gleich.«
Er berührte Tim leicht an der Schulter, dann setzte er sich neben ihn. »Erklär mir, was los ist.«
»Ich war heute mit Bernd hier. Volkers’ Grab auflösen. Da hat Bernd auf dem Nachbargrab einen Knochen gefunden. Wir haben unseren Spaß gehabt, weil wir dachten, eine Möwe hätte den verloren. Ist ja nicht aus der Welt geholt der Gedanke. Heute Abend bin ich noch mal auf den Friedhof …«
»Warum?«, unterbrach Röder ihn.
»Ist doch egal. War eben hier«, winkte Tim ab. »Ich habe einen abgestorbenen Ast an der kleinen Birke auf Kramers Grab bemerkt und wollte ihn abreißen. Leider kam der ganze Baum raus, und als ich ein Loch buddelte, um den Baum wieder einzupflanzen, sah ich das Elend.«
»Dass die Knochen hochkommen, ist nicht normal, oder?«, fragte Röder.
Tim Seebald hob den Kopf und schaute Röder ungläubig an. »Wie soll das denn passieren? Meinst du, der Sarg öffnet sich von allein? Nee, mein Guter. Da hat jemand eine weitere Leiche mit reingepackt.« Er schlug die Hände vor das Gesicht. »Welcher Idiot macht nur so etwas? Und wann? Das muss doch jemand gemerkt haben! Im Sommer spazieren hier auf der Hellerstraße immer Leute vorbei. Die müssen mitbekommen haben, wenn hier nachts gegraben wurde.«
»Bis jetzt wissen wir nicht, wann was genau passiert ist. Ich werde erst einmal veranlassen, dass die Überreste aufs Festland zur Untersuchung geschafft werden, und mit Kramers Kontakt aufnehmen.«
»Das dürfte auch besser sein. Vielleicht könntest du mein Zutun beim Finden der Leiche verschweigen.«
Röder schaute ihn überrascht an. »Wie soll ich das verstehen?«
»Na ja, ich kann mit denen nicht so gut. Und wenn die hören, dass ich an der Birke herumgezupft habe, sind die bestimmt sauer. Geht mich auch eigentlich nichts an, was die mit ihrem Grab machen.«
»Mal schauen, was ich tun kann«, sagte Röder, »aber zunächst muss ich die Kollegen vom Festland benachrichtigen.«
»Kann ich nach Hause gehen?«, fragte Tim.
»Wenn es dir nichts ausmacht, bleibe einen Moment. Falls Fragen sind. Immerhin kennst du dich hier am besten aus.« Röder schaute in den Himmel. Die Wolken waren bedrohlich näher gekommen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Tropfen fielen. Das konnte er jetzt am wenigsten gebrauchen. Er rief Axel Meinders, den Gemeindebrandmeister, an, und der versprach, mit ein paar Mann, einer großen Plane und einem Zelt anzurücken.
Mit seinem Chef Müller in Aurich verabredete er, dass die Spurensicherung am nächsten Morgen auf die Insel kommen und die Reste des oder der Toten zur genauen Untersuchung mitnehmen würde. Zur Vorsicht würde er auch die Pastorin anrufen. Er vermutete, dass auch sie keine Erklärung für den Leichnam in Kramers Grab hatte, aber sicher war sicher.
»Und du hast wirklich keine Idee? Weißt du denn, wann der letzte Tote hier begraben wurde?«, fragte Röder.
Tim Seebald zeigte auf den Grabstein. »Da steht es. Es ist ein Familiengrab. СКАЧАТЬ