Название: Boat People
Автор: Sharon Bala
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783963114441
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Diese ganze Angelegenheit ist zur Nebenvorstellung geworden, sagte Gigovaz. Blair zieht das alles so lange wie nur möglich hinaus.
Wissen die denn nicht, sagte Charlie, wie traumatisch Gefängnishaft ist? Posttraumatisches Belastungssyndrom, Depression …
Wir werden die psychologischen Gutachten als mildernde Faktoren beibringen, sagte Gigovaz. Aber ob Mitgefühl beim Urteil der Entscheider eine Rolle spielt, das bleibt dahingestellt.
Wo werden sie nach ihrer Entlassung unterkommen?, fragte Priya.
Einige haben Verwandte hier, meistens in Toronto, sagte Charlie, die immer noch finster dreinschaute. Wir versuchen, sie in Pensionen unterzubringen. Und es gibt Leute, die ihnen separate Zimmer in ihren Kellerwohnungen zur Verfügung stellen. Außerdem haben Flüchtlinge auch Anspruch auf finanzielle Unterstützung, aber die reicht nicht aus, um einigermaßen durchzukommen, nicht in Vancouver.
Priya fühlte sich von all dem zutiefst beschämt, von dem guten Willen und der Solidarität so vieler Menschen, die bereit waren, Fremde aufzunehmen, und das aus einem Gefühl der, was … ethnischen Zusammengehörigkeit? … der Diaspora?
Charlie zeigte auf die Drehtür. Da kommen sie.
Voran die beiden Frauen in identischem Outfit und nummerierten Sportschuhen. Priya hatte sie vor einer Woche im Gefängnis in Burnaby gesehen.
Savitri Kumuran war einunddreißig Jahre alt, eine Witwe und Mutter von zwei toten Kindern in Sri Lanka und einem sechsjährigen Sohn, der bei ihr war. Bei ihrem Interview mit Gigovaz war sie ruhig geblieben, hatte klare Antworten gegeben. Sie und ihr Mann hatten einen Juwelierladen in Sri Lanka. Zu Hause, sagte sie verträumt. Damals zu Hause.
Aber danach hatte Gigovaz Priya erklärt: Diese Frau ist depressiv. Wenn wir sie nicht bald hier herausbekommen, ist sie am Ende.
Heute war ihr dichtes Haar im Nacken zu einem langen Zopf zusammengeflochten, der in schweren Wellen den Rücken herunterhing. Ihre Haut war für eine Tamilin überraschend hell, und mit den hohen Wangenknochen und dem Grübchen im Kinn war sie eine natürliche Schönheit. Sie hielt eine Hand ausgebreitet am unteren Rand des Halses. Priya betrachtete ihren leeren, gequälten Gesichtsausdruck und dachte: Diese Frau ist zwei Jahre älter als ich.
Die zweite Frau war Hema Sokolingham. Sie war achtunddreißig und ebenfalls Witwe. Nervös und verängstigt hatte sie während ihrer ersten Befragung Gigovaz’ Augen gemieden und ihre Antworten an Priya und Charlie gerichtet. Sie war mit ihren zwei Töchtern nach Kanada gekommen. Diese beiden, wie auch die anderen Minderjährigen, blieben von den Befragungen und Anhörungen verschont.
Wie steht es mit Hema?, hatte Priya gefragt. Wie sind ihre Aussichten?
Aber Gigovaz sagte nur achselzuckend: Da ist etwas, was sie uns nicht sagen will.
Charlie beugte sich vor und flüsterte: Siehst du das? Die sind angekettet wie Sklaven.
Sind die Fesseln nötig?, fragte Gigovaz den Wachtposten.
Als ihr die Handschellen abgenommen wurden, massierte Hema sich die Gelenke. Thank you, sagte sie sehr leise auf Englisch. Ihr Haar hing in einem langen Zopf den Rücken herunter; sie hatte schiefe Zähne.
Charlie strich Hema über den Arm und fragte auf Tamil: Nalamaa? Wie geht’s?
Dann kamen die Männer: Prasad, Mahindan und Ranga, alle – auf Gigovaz’ Geheiß – glattrasiert. Ein dunkelhäutiger Mann mit Bart, der um Asyl bettelt? Nicht unter meiner Regie.
Das Aussehen der fünf Flüchtlinge hatte sich seit der ersten Begegnung vor einer Woche merklich verändert. Sie erschienen frisch und ausgeruht, die Augen waren klar, die Fingernägel geschnitten und sauber. Priya fragte sich, ob das richtig war. Würden die Entscheider diese Flüchtlinge nicht mit mehr Mitgefühl behandeln, wenn sie sie so sähen, wie sie selber sie gesehen hatte, als sie dreckig und zerschlagen in Esquimalt vom Schiff geführt wurden?
Prasad schüttelte ihnen kräftig die Hand und sprach sie auf Englisch an. Good morning, good morning. Very nice to see you.
Die anderen blieben etwas weiter zurück, reckten die Hälse nach der gigantisch hohen Decke und schlurften mit den Schuhsohlen über die Fliesen, als wollten sie deren Qualität testen.
Prasad war der Einzige, der von dem umgebenden Luxus unbeeindruckt blieb. Schließlich hatte er als studierter Journalist in Colombo gearbeitet und sprach fließend Englisch. Gigovaz hatte gleich zu Priya gesagt: Das ist unser bester Kandidat. Unser Mustermigrant.
Um sie herum liefen Büroarbeiter, vertieft in ihre Smartphones und Zeitungen. Wie eine Reisegruppe, schoss es Priya durch den Kopf, und Gigovaz ist der Reiseleiter. Prasad bombardierte sie mit Fragen. Wie lange hatte Kanada von dem Schiff gewusst? Warum waren sie ihnen nicht entgegengekommen, warum hatten sie ihnen nicht schneller Hilfe geschickt?
Mahindan und Savitri lösten sich aus der Gruppe und steckten ihre Köpfe zusammen. Mahindan war offensichtlich erregt und bekam seine zitternde Hand nicht unter Kontrolle. Savitri zog nur die Schultern hoch und wandte ratlos die Handflächen nach oben. Was ist mit den beiden?, dachte Priya. Aber sie wusste ja, dass Savitri sich um Mahindans Sohn kümmern sollte. Hatte man inzwischen einen Besuch arrangiert? Priya empfand ein leises Schuldgefühl, hatte sie diese Sache doch nicht weiterverfolgt. Im gleichen Atemzug aber kam auch die Irritation: Sie war nicht als Sozialarbeiterin hier.
Ranga humpelte hinüber, klopfte Savitri leicht auf die Schulter und massierte, während er zu ihr sprach, sein Bein. Er war in einem Dorf in Mannar Obst- und Gemüsehändler gewesen. Eines Nachts war sein Gemüsestand beschossen und total vernichtet worden. Als ich am Morgen dahin kam, war alles weg, hatte er ihnen erzählt, dem Erdboden gleich gemacht. Was konnte ich da tun? Ich war am Ende.
Der will wissen, was Mr. Gigovaz neulich gesagt hat, sagte Charlie. Über ihre Ausweise.
Wir geben ihre Namen nicht an die Regierung von Sri Lanka weiter, sagte Priya schnell. Wenn Sie noch Familienangehörige in Sri Lanka haben, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, dass denen etwas passiert.
Ranga wollte noch etwas sagen, aber Gigovaz sah auf seine Uhr und verkündete, es sei Zeit hineinzugehen. Mr. Mahindan, Sie sind der Erste. Ms. Jones wird den anderen hier draußen Gesellschaft leisten.
Wie erwartet, war der Anhörungsraum ein trüber, fensterloser Kasten mit quadratischen, in die Styropor-Deckenfliesen eingelegten Leuchtkörpern. Vier lange Tische waren zu einem Quadrat zusammengestellt, an jedem Sitzplatz war ein Mikrofon angebracht. Der Raum hatte etwas unterirdisch Beklemmendes an sich, wie eine enge Kellerwohnung.
Als sie eintraten, verdrehte sich eine Herde Reporter die Köpfe nach ihnen. Die Besetzung war komplett: die Reporter, eine Stenotypistin, ein Schnellzeichner und ein weißblonder Mann mit dünnem Schnurrbart, den Gigovaz als den Dolmetscher vorstellte. Er saß neben Mahindan und hatte zwei dicke Wörterbücher, einen Notizblock und einen Schreibstift vor sich liegen, alles im rechten Winkel zur Tischkante.
Auf ihren Gegenpart weisend, sagte Gigovaz: Amarjit Singh von der Grenzschutzagentur.
Der Grenzschutz – die für die Bewachung der äußeren Landesgrenzen verantwortliche Instanz, die offiziellen Rausschmeißer. СКАЧАТЬ