Название: DER ZEHNTE HEILIGE
Автор: Daphne Niko
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Sarah Weston Abenteuer
isbn: 9783958350663
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Sarah atmete tief durch und konzentrierte sich. Auf dem letzten Stück des Pfades gab es keinen Halt. Der Felsen war von den Elementen glatt poliert worden. Sie richtete ihren Blick auf den Horizont. Wenn sie nach unten sah, könnte sie ihren festen Stand verlieren. Mittlerweile schwitzte sie richtig, teilweise wegen der Hitze, aber hauptsächlich aus Sorge. Ihre Hände waren klamm und rutschig am Stein, aber sie konnte sie nicht an ihrem Bandana abwischen, welches sie für ein ebensolches Szenario um ihr Handgelenk gewickelt hatte.
«Lady. Nicht bewegen.» Ejigu sprach leise, war aber eindeutig beunruhigt. «Ein Skorpion. Vor Ihren Füßen. Halten Sie still, dann wird er Ihnen nichts tun.»
Der Skorpion kletterte auf Sarahs Stiefel. Von dort krabbelte er ihr Bein hinauf.
Sie blieb bewegungslos und ruhig. Sie hatte genug Zeit an abgelegenen Orten verbracht, um zu wissen, dass sich ein Skorpion von Bewegung bedroht fühlen und zustechen würde. Unbeweglichkeit könnte ihn tatsächlich dazu verleiten, sie für einen Teil der Landschaft zu halten.
Mit eingerolltem und wie ein Lasso über ihrem Kopf baumelnden Schwanz schob sich die lästige schwarzgepanzerte Kreatur langsam nach oben, überquerte Sarahs Bauch und erreichte schließlich ihren nackten Hals. Die Haare standen ihr zu Berge, als sie zuerst seine Scheren über ihre Haut streifen, und dann seine acht haarigen Beine, eins nach dem anderen, über ihren Hals schreiten spürte. Ein Stich in die Halsschlagader wäre tödlich.
Sie wägte ihre Möglichkeiten ab. Sie könnte ihn mit einer schnellen Bewegung wegschnipsen, die sie mit Sicherheit ihre Balance verlieren und den Abhang hinunterfallen ließe, oder sie könnte nichts tun und hoffen, dass sich das auszahlen würde.
Obwohl es ihr vor der Aussicht darauf graute, eine tödliche Dosis neurotoxischen Gifts injiziert zu bekommen, bewahrte sie Ruhe. Was sie jedoch nicht kontrollieren konnte, war der Schweiß, der an ihrem Haaransatz entlangrann und den Konturen ihres Gesichts bis hin zu ihrem Kiefer folgte. Ihr Herz hämmerte doppelt so schnell, während sich die Szene in Zeitlupe abspielte. Ein einzelner Tropfen fiel von ihrem Kinn auf den Kopf des Skorpions.
Er hob seinen Stachel.
In dem Sekundenbruchteil, ehe er angreifen konnte, beförderte sie ihn mit einem rückhändigen Fingerschnippen von ihrem Körper. Sie hatte keine Zeit nachzusehen, wo er landete, da der Boden unter ihr abbröckelte und sie den steinigen Hang hinunterrutschte. Sie griff nach dem Felsen, um wenigstens einen kleinen Halt zu bekommen, aber die Klippe war zu steil und ihr Fall zu schnell. Ein zerklüftetes Stück Granit riss ihr die Innenseite des linken Arms vom Bizeps bis zur Handinnenfläche auf, doch sie war zu vollgepumpt mit Adrenalin, um Schmerz zu spüren.
Sie blickte über ihre Schulter, um das Terrain zwischen sich und der felsigen Abbruchkante, die mit nervenaufreibender Geschwindigkeit auf sie zukam, zu sondieren. Sie erspähte den geschwärzten, löchrigen Ast eines uralten Kossobaums, griff danach und schaffte es, ein Büschel Blätter zu erwischen. Die Schwerkraft erlaubte es ihr nicht, ihren Halt zu festigen, doch die Bewegung verlangsamte sie und brachte ihr Zentrum gerade so sehr ins Schleudern, dass es sie auf Kollisionskurs mit der üppigen Astkonstruktion des Baumes brachte.
Es funktionierte. Ihr Fall war gestoppt, zumindest so weit, dass sie die Kontrolle wiedererlangte. Jetzt konnte sie die Felsen passieren und es in einem Stück bis zur Abbruchkante hinunterschaffen.
Ejigu rief ihr von oben zu: «Lady, bleiben Sie. Ich komme runter.»
«Nein. Es ist zu gefährlich.»
Es nützte nichts. Ejigu kletterte mit der Geschicklichkeit einer Bergziege herab.
In der Zwischenzeit ließ Sarah sich langsam nach unten. Als sie in sicherer Entfernung war, ließ sie die Wurzeln los und sprang auf den Vorsprung, wo sie wie ein Sack Steine auf der Seite landete. Dieser letzte Sturz presste ihr die Luft aus den Lungen. Einen Augenblick lang glaubte sie, dass sie sterben würde.
Langsam normalisierte sich ihre Atmung wieder und Sarah überprüfte den Schaden. Ihre zerrissenen Kleider waren von frischem Blut befleckt und aus ihrem linken Arm tröpfelte noch mehr Blut auf die Steine. Ihre Stirn pochte so heftig, dass sie es in ihren Fingerspitzen spüren konnte.
Sie versuchte sich zu bewegen, doch da es zu sehr wehtat, hielt sie es für klüger, sich gegen die Felsen zu lehnen und auf Ejigu zu warten. Sie befürchtete, dass ihre Verletzungen sie davon abhalten könnten, mit der Ausgrabung fortzufahren. Dämliche Närrin, schimpfte ihre innere Stimme, du hättest es wirklich besser wissen sollen.
Ejigu erreichte die Abbruchkante mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Seine Fähigkeiten in diesem unwirtlichen Gelände beruhigten Sarahs Verstand ein wenig und sie gestattete sich selbst die schwache Hoffnung, es vor dem Einbruch der Nacht von hier wegzuschaffen.
«Geht es Ihnen gut, Lady?» Er schreckte zurück. «Sie sehen sehr schlecht aus.»
«Schöntuerei hilft jetzt auch nichts mehr», sagte sie und ließ sich von ihm auf die Füße helfen. «Vielleicht hätten Sie mir sagen sollen, dass wir eine Kletterausrüstung brauchen.»
«Entschuldigung. Entschuldigung.»
Sarah löste das Bandana von ihrem Handgelenk und hielt es fest gegen ihre Wunde. Sobald die Blutung unter Kontrolle war, lehnte sie sich gegen einen Steinhaufen, um sich zu stabilisieren und Kräfte für den Rückweg zu sammeln. Sogar in ihrem durchgeschüttelten Zustand konnte sie nicht anders, als die Symmetrie des Gebildes zu bewundern. Die Steine vor ihr waren säuberlich gestapelt, als ob sie von den Steinmetzen der Natur in die Felswand gekeilt worden wären. Doch etwas an dem ordentlichen Muster war merkwürdig. Sie sah genauer hin, konnte es aber nicht begreifen. Sie wusste nicht, ob sie der Schmerzen wegen fantasierte und sich Dinge einbildete, aber hinter einem Wurzelgewirr befand sich etwas, das wie eine Gravur im Stein aussah: ein grober Umriss des koptischen Kreuzes vielleicht, oder eine Variation davon.
Sarah sah zu Ejigu, der hinter ihr Kieselsteine ins Nichts warf. Dann wandte sie sich der Verzierung zu, schob ihre Hand hinter die Wurzeln, um die Oberfläche des Steins zu erreichen. Sie fuhr mit den Fingern in die Rillen des Symbols. Es war rissig, von der Zeit und den Elementen abgetragen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Ejigu klatschte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. «Hallo? Wir müssen bald gehen. Die Sonne wird verschwinden.»
Er hatte recht. Die Sonne begann ihren Abstieg hinter den Bergen. In Kürze würde es dunkel sein und sie hatten noch eine gut zweistündige Wanderung vor sich.
Während Sarah Ejigu abwärts folgte, verfluchte sie ihre Neugier auf jedem Schritt des Weges.
***
In dieser Nacht, nachdem sie dem städtischen Arzt einen Besuch nach Feierabend abgestattet und mit einer Unzahl von Schmerzmitteln zum Lager zurückgekehrt war, saß Sarah vor ihrem Laptop und zeichnete das Symbol aus dem Gedächtnis nach. Jetzt war sie nicht mehr so sicher, dass es ein koptisches Kreuz war. Ungleich des Crux ansata, des symbolischen Kreuzes der koptisch-christlichen Kirche, besaß dieses zwei Kreise, einer im Inneren des anderen, und ein Kreuz, das den inneren Kreis in vier gleich große Teile dividierte. Der Stab der Kraft, die vertikale Linie, die sich von der Mitte des Kreises erstreckte, war unterbrochen. Sarah war sich nicht sicher, ob das absichtlich der Fall war oder der Erosion von möglicherweise hunderten von Jahren zugeschrieben werden musste. Sie zog ihre Online-Enzyklopädie über Symbole zurate, entdeckte aber nichts, das exakt so aussah.
So sehr СКАЧАТЬ