Название: Der Bitcoin-Standard
Автор: Saifedean Ammous
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
isbn: 9783982109527
isbn:
KAPITEL 2
PRIMITIVE GELDER
Unter allen historischen Geldformen, mit denen ich mich befasst habe, ähneln die Rai-Steine der Yap-Inseln, die heute Teil der Föderierten Staaten von Mikronesien sind, den Funktionen von Bitcoin am meisten. Wenn wir uns verdeutlichen, wie die aus Kalkstein gehauenen großen, runden Steine als Geld fungierten, ist dies später in Kapitel 8 hilfreich, um die Arbeitsweise von Bitcoin zu erläutern. Die bemerkenswerte Geschichte darüber, wie die Rai-Steine ihre Rolle als Währung verlieren konnten, dient als Lehrbeispiel darüber, wie Geld seinen monetären Stellenwert verliert, sobald seine Härte schwindet.
Die Rai-Steine, die als Geld dienten, waren von unterschiedlicher Größe, bis hin zu großen kreisförmigen Scheiben mit einem Loch in der Mitte und mit einem Gewicht von bis zu vier Tonnen. Die Steine stammen nicht aus Yap, wo keine Kalksteinvorkommen zu finden waren, sondern wurden aus dem benachbarten Palau oder Guam herbeigebracht. Die Schönheit und Seltenheit dieser Steine machte sie auf Yap begehrenswert und ehrwürdig, aber die Beschaffung stellte sich als äußerst mühsam heraus, da man die Steine abbauen und schließlich mit Flößen und Kanus herbeischaffen musste. Der Transport dieser Felsen erforderte Hunderte von Menschen, und als sie Yap schließlich erreichten, wurden sie an einem für alle Einwohner bekannten Ort aufgestellt, so dass sie für jeden zu sehen waren. Der Besitzer des Steins konnte ihn als Zahlungsmittel verwenden, ohne dass er ihn bewegen musste. Er musste lediglich allen Bürgern des Ortes verkünden, dass das Eigentum am Stein nun an den Empfänger übergegangen war. Die ganze Stadt erkannte das neue Eigentum an dem Stein an und der Empfänger konnte ihn sodann für eine Zahlung verwenden, wann immer er wollte. Es gab praktisch keine Möglichkeit den Stein zu stehlen, da allen die Besitzverhältnisse bekannt waren.
Dieses monetäre System funktionierte jahrhundertelang, möglicherweise sogar jahrtausendelang gut für die Yapesen. Obwohl die Steine nie bewegt wurden, waren sie über den Standort hinweg verkaufsfähig, da man sie überall auf der Insel zur Bezahlung verwenden konnte. Die verschiedenen Größen der einzelnen Steine boten einen gewissen Grad an Verkäuflichkeit in bestimmten Skalierungen, ebenso wie die Möglichkeit, mit Bruchteilen eines einzelnen Steins zu bezahlen. Die Steine konnten jahrhundertelang als Zahlungsmittel verwendet werden, da es äußerst schwierig und mit hohen Kosten verbunden war, neue Steine zu beschaffen, weil diese in Yap nicht vorhanden waren und der Abbau und die Verschiffung von Palau keine einfache Angelegenheit war. Die sehr hohen Beschaffungskosten neuer Steine nach Yap führten dazu, dass das bestehende Angebot an Steinen stets wesentlich größer war, als die Menge neuer Lieferungen zu einem gegebenen Zeitpunkt, so dass sie als akzeptierbares Zahlungsmittel sinnvoll waren. Mit anderen Worten besaßen Rai-Steine ein sehr hohes Stock-to-Flow-Verhältnis, und egal wie begehrenswert sie waren, konnten der vorhandenen Menge an Steinen nicht einfach neue Steine hinzugefügt und somit das Angebot vergrößert werden. Zumindest war das bis 1871 der Fall, als ein irisch-amerikanischer Kapitän namens David O’Keefe an den Ufern von Yap Schiffbruch erlitt und von den Einheimischen gerettet wurde.1
O’Keefe sah eine Gewinnmöglichkeit darin, Kokosnüsse von der Insel zu exportieren und sie an Kokosölproduzenten zu verkaufen, aber er sah keine Möglichkeit, die Einheimischen dazu zu bringen, für ihn zu arbeiten, weil sie mit ihrem Leben in ihrem tropischen Paradies sehr zufrieden waren und keine Verwendung für jegliche fremde Form von Geld hatten, die er ihnen anbieten konnte. Doch O’Keefe wollte sich nicht geschlagen geben; er segelte nach Hongkong, besorgte sich ein großes Schiff und Sprengstoff, segelte damit nach Palau, wo er mit dem Sprengstoff und modernen Werkzeugen mehrere große Rai-Steine abbaute, und segelte zurück nach Yap, um den Einheimischen die Steine als Bezahlung für die Kokosnüsse anzubieten. Entgegen den Erwartungen von O’Keefe waren die Dorfbewohner jedoch nicht sehr an seinen Steinen interessiert. Stattdessen verbot der Dorfvorsteher seinen Einwohnern, für die neuen Steine zu arbeiten und ordnete sogar an, die Steine von O’Keefe als wertlos zu betrachten, da sie problemlos abgebaut worden waren. Nur jene Steine, die auf traditionelle Weise von den Yapesen mit viel Schweiß und Mühe abgebaut worden waren, sollten auf Yap akzeptiert werden. Einige Inselbewohner waren jedoch anderer Meinung, woraufhin sie O’Keefe mit den von ihm gewünschten Kokosnüssen versorgten. Dadurch kam es auf der Insel zu Konflikten, die schließlich zum Untergang der Rai-Steine als Währung führten. Heute spielen die Steine eine eher zeremonielle und kulturelle Rolle auf der Insel und das moderne staatliche Geld ist das allgemein verwendete monetäre Medium.
Obwohl O’Keefes Geschichte einen durchaus symbolischen Charakter hat, so war O’Keefe nur der Vorbote des unvermeidlichen Niedergangs der monetären Funktion der Rai-Steine, die mit dem Einfluss der modernen Industriezivilisation auf Yap und dessen Bewohner ihren Wert verloren. Mit dem Aufkommen moderner Werkzeuge und industrieller Möglichkeiten in der Region war es unvermeidlich, dass die Steine weitaus kostengünstiger hergestellt werden konnten als zuvor. Folglich sollten viele einheimische und ausländische O’Keefes folgen, die Yap mit immer mehr neuen Steinen versorgten. Mit Hilfe der modernen Technologie sank das Stock-to-Flow-Verhältnis für Rai-Steine drastisch. Es war nun möglich, jedes Jahr immer mehr dieser Steine auf die Insel zu bringen, was den vorhandenen Bestand der Insel deutlich entwertete. Für die Einwohner machte es immer weniger Sinn, die Steine als Wertanlage zu nutzen, und so verloren sie mit der Zeit ihre Verkäuflichkeit und damit ihre Funktion als Tauschmittel.
Im Einzelnen mag es Unterschiede geben, aber die grundsätzliche Dynamik des Rückgangs des Stock-to-Flow-Verhältnisses ist bei jeder Währung, die ihre monetäre Bedeutung verliert, gleich, und gilt auch für den Niedergang des venezolanischen Bolivars, der sich momentan abspielt.
Eine ähnliche Geschichte ereignete sich mit den Akori-Perlen, die seit Jahrhunderten in Westafrika als Geld verwendet wurden. Die Entstehungsgeschichte dieser Perlen aus Westafrika ist nicht eindeutig nachgewiesen. Es gibt Hinweise darauf, dass sie aus Meteoritengestein hergestellt wurden oder von ägyptischen und phönizischen Händlern stammen könnten. Wir wissen nur, dass sie in einer Gegend wertvoll waren, in der die Glasmacherei teuer und wenig verbreitet war, was ihnen ein hohes Stock-to-Flow-Verhältnis bescherte und eine Verkäuflichkeit über einen langen Zeitraum hinweg sicherstellte. Da sie klein und wertvoll waren, konnten sie in skalierbaren Einheiten verkauft werden, weil sie in Ketten, Halsketten oder Armbändern eingearbeitet werden konnten; dies war jedoch keineswegs ideal, da es viele verschiedene Arten von Perlen gab, und nicht nur eine Standardeinheit. Andererseits waren Sie ortsunabhängig handelbar, da sie leicht zu transportieren waren. Im Gegensatz dazu waren Glasperlen in Europa nicht teuer und spielten keine monetäre Rolle, denn die Verbreitung der Glasmacherei führte dazu, dass die Hersteller den Markt mit ihnen hätten überschwemmen können, wenn sie als Währung verwendet worden wären – mit anderen Worten, sie hatten ein niedriges Stock-to-Flow-Verhältnis.
Als europäische Entdecker und Händler im 6. bis 10. Jahrhundert Westafrika besuchten, erkannten sie den hohen Wert, der diesen Perlen dort beigemessen wurde, und begannen, sie in Massen aus Europa zu importieren. Was folgte, ähnelte der Geschichte von O’Keefe, aber angesichts der geringen Größe der Perlen und der wesentlich größeren Bevölkerung war es ein vergleichsweise langsamer und weniger offensichtlich ablaufender Prozess mit tiefgreifenden und dramatischen Folgen. Langsam, aber sicher konnten die Europäer viele der wertvollen Ressourcen Afrikas im Gegenzug für die Perlen kaufen, die sie zu Hause für sehr wenig Geld erworben hatten.2 Der europäische Einfall in Afrika führte dazu, dass sich die Perlen langsam von einer harten in eine weiche Währung wandelten, so dass die Handelbarkeit und die Kaufkraft der Perlen im Laufe der Zeit für jene Afrikaner nachließ, in deren Besitz sie sich befanden, wodurch diese zunehmend verarmten und der Besitz auf die Europäer überging, welche diese Perlen leicht herstellen konnten. Die Akori-Perlen wurden später als Sklavenperlen bekannt, weil sie zum Handel mit afrikanischen Sklaven zwischen Europäern und Nordamerikanern beitrugen. Ein einmaliger Wertverlust eines monetären Tauschmittels ist tragisch, aber zumindest ist СКАЧАТЬ