Jesus war kein Europäer. Kenneth E. Bailey
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Название: Jesus war kein Europäer

Автор: Kenneth E. Bailey

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783417228694

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СКАЧАТЬ Aramäisch,

      2. die aramäischen Augenzeugenberichte zu diesem Leben und dieser Lehre,15

      3. die Übersetzung dieser Zeugenberichte ins Griechische,

      4. die Auswahl, Anordnung und Bearbeitung dieser griechischen Texte zu Evangelien.

      In Anbetracht dieser Stufen ist es notwendig, über die Inspiration der Evangelien als Prozess zu sprechen, der bis zu seiner Fertigstellung mehr als fünfundreißig Jahre dauerte. Wenn wir uns nur für die erste Stufe interessieren, entscheiden wir uns für einen „Kanon im Kanon“. Während der vergangenen fünfzig Jahre habe ich die Debatten in der westlichen Welt zu diesen Fragen sehr sorgfältig und mit großem Interesse verfolgt.16 Doch wenn man den Prozess übersieht und nur der ersten Stufe Bedeutung beimisst, leugnet man damit gleichzeitig den Weg, auf dem jedes bedeutsame geschichtliche Ereignis erinnert und verschriftlicht wird.

      Der renommierte anglikanische Islamwissenschaftler Kenneth Cragg erörterte das Wesen der Evangelien in einer Predigt, die er am 16. Januar 1977 in der All Saints Episcopal Cathedral in Kairo (Ägypten) hielt. Unter anderem sagte er:

      Ein großer Teil der westlichen wissenschaftlichen Mentalität ist versucht, allem den Status des Faktums (und somit der Wahrheit) abzusprechen, was nicht in Reagenzgläsern nachweisbar oder empirisch zu „verifizieren“ ist. Dieser instinktive Reduktionismus vieler zeitgenössischer Philosophen hindert sie leider daran, mit der historischen Bedeutung des Glaubens und der tiefen Wechselbeziehung von Ereignis und Geheimnis zu rechnen.

      Ein Vergleich kann helfen. Es ist der 22. November 1963 in Texas. Nehmen wir an, ich äußerte mich wie folgt: „Ein Mann schoss mit einem Gewehr aus dem Fenster eines Lagerhauses auf einen Mann in einem vorbeifahrenden Auto und tötete ihn.“ Jedes Wort hier ist wahr (angenommen, dass wir die Ergebnisse der Warren-Kommission akzeptieren). Doch wie kahl und mager sind doch die Fakten – so spärlich, dass sie beinahe keine Fakten sind. Vom eigentlichen Ereignis wird gar nicht erzählt. Aber nehmen wir an, ich fahre fort und sage: „Auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde ein Mordattentat verübt.“ Diese Äußerung ist viel sachgerechter, weil sie weit mehr aussagt. Das Opfer wird benannt, der Mord als politisch identifiziert und die Perspektive ist wahrheitsgetreuer. Doch wir haben noch lange nicht die Bedeutung der Tragödie erfasst. Versuchen wir es mit einer weiteren Aussage. „Menschen überall spürten, dass sich ein Abgrund des Bösen aufgetan hatte, und begannen, auf offener Straße zu weinen.“

      Diese dritte Aussage berührt das Herz. Sie ist wahr, aber es ist eine andere Art von Wahrheit. Sie setzt den Inhalt der anderen Aussagen voraus, dringt aber darüber hinaus in Dimensionen vor, die ansatzweise das Wesen dieses schrecklichen Ereignisses erfassen. Ohne etwas wie diese dritte Aussage bliebe das Ereignis im Halbdunkel und so schemenhaft, dass es quasi falsch dargestellt wäre.

      Betrachten wir nun die Evangelien und das gesamte Neue Testament im Licht dieses Vergleichs. Sie gehören eindeutig zur dritten Art von Aussage, weil sie Herz und Verstand zutiefst ansprechen und ein Bekenntnis von erlebter Sinnhaftigkeit ablegen – einer Sinnhaftigkeit, die aufs Engste mit der Geschichte und dem Ereignis verbunden ist. So ist es mit Jesus: nicht Neutralität, bloßer Bericht, leere Chronologie, sondern lebendige Teilnahme und Herzensbeteiligung. Jesu Geschichte kann – so wie alle bedeutenden geschichtlichen Ereignisse – nicht ohne Beteiligung von Verstand und Seele erzählt werden.

      Der christliche Glaube ist ein Faktum, aber kein bloßes Faktum; er ist Poesie, doch nicht Einbildung. Wie der Bogen in einem Bauwerk, der durch das ihm auferlegte Gewicht erst recht an Festigkeit gewinnt, so trägt die Botschaft der Evangelien mit beruhigender Stärke die Hingabe der Jahrhunderte an Jesus als Christus. Was ist Musik anderes, fragte Walt Whitman, als was in uns erwacht, wenn wir dem Instrument lauschen? Und Jesus ist die Musik der Wirklichkeit Gottes, und Glaube ist, was erwacht, wenn wir zuhören.17

      Im Einklang mit Kenneth Craggs Worten und aus dem Blickwinkel des hier deutlich werdenden Inspirationsverständnisses sollen die biblischen Texte in den folgenden Betrachtungen „ganzheitlich“ untersucht werden.

      Die Redakteure von Fernsehdokumentationen sind vielleicht am ehesten das moderne Gegenstück zu den Autoren bzw. Redaktoren der Evangelien. Der Redakteur einer Fernsehdokumentation muss alles Material, das er präsentiert, vorher auswählen, anordnen, schneiden und mit Begleitkommentaren versehen. Ein unvoreingenommener Redakteur wird ernsthaft versuchen, das Thema fair zu präsentieren. „Fair“ im Sinne „im Einklang mit dem, was der Redakteur zutiefst wahrnimmt und als Wahrheit des Themas ansieht“.

      Viele zeitgenössische Kommentare zu den Evangelien verwenden verständlicher- und richtigerweise enorme Energie auf die Diskussion, ob das Material „primär“ oder „sekundär“ ist. Ist dieses oder jenes Wort auf Jesus zurückzuführen oder auf seine jüdischen Nachfolger oder auf die griechische Gemeinde? Ich bin überzeugt davon, dass die Evangelien theologisch interpretierte Geschichtsschreibung sind. Im Einklang mit dem, was bereits über Inspiration gesagt wurde, bin ich der Auffassung, dass der Geist Gottes sowohl Jesus gegeben wurde (Mk 1,9-11) als auch der Gemeinde (Apg 2,1-4), die sich an ihn erinnerte. Mit den folgenden Betrachtungen habe ich also nicht vor, die exakten Worte Jesu von der sorgfältigen Redaktionsarbeit der Evangelienschreiber zu unterscheiden. Stattdessen soll die theologisch-historische Dramatik des Textes wird als kreatives Ganzes untersucht werden.

      Es ist auch nicht Ziel dieses Buches, ein eigenständiger Fachkommentar zu sein. Mir ist bewusst, dass neben meiner Ansicht andere Meinungen bestehen, und ich habe die Debatten in der Auseinandersetzung mit dem Neuen Testament in der westlichen Welt während der vergangenen fünfzig Jahre verfolgt und mich an ihnen beteiligt. Das Ziel des vorliegenden Buches ist es nicht, in einen Diskurs mit der außergewöhnlich umfangreichen aktuellen Literatur zu treten, die zu den besprochenen Bibeltexten vorliegt – diese Arbeit wurde bereits fachkundig von Joseph Fitzmyer, Arnold Hultgren, I. Howard Marshall und andern übernommen.18

      Es ist mir ein Anliegen, dass auch Leser ohne theologische Vorbildung den folgenden Erörterungen problemlos folgen können. Ohne anmaßende Vergleiche anstellen zu wollen, habe ich mir vor allem die Readings in St. John’s Gospel des ehemaligen Erzbischofs von Canterbury, William Temple,19 zum Vorbild genommen – sowie auch die Arbeit von Lesslie Newbigin zum Johannesevangelium.20

      Meine Absicht ist es, neue Perspektiven aus der orientalischen Tradition beizutragen, die bisher, wenn überhaupt, außerhalb der arabischsprachigen christlichen Welt nur wenig beachtet wurden. Ich hoffe sehr, dass die folgenden Aufsätze dem Leser helfen werden, die Gedankenwelt Jesu und die Gedankenwelt der Evangelienautoren bzw. -redaktoren besser zu verstehen, so wie diese die ihnen vorliegenden Überlieferungen aufzeichneten und auslegten. Es bleibt dem Leser überlassen zu beurteilen, ob ich mein Ziel erreicht habe.

      Alle Zitate aus arabischen Quellen in diesem Buch wurden von mir selbst übersetzt. Ich fände es pedantisch, jede einzelne davon mit dem Vermerk „eigene Übersetzung“ zu versehen. Für etwaige Fehler zeichne ich allein verantwortlich. Allerdings weise ich gesondert darauf hin, wo ich selbst Texte aus dem Hebräischen, Aramäischen, Griechischen und Syrischen übersetzt habe. Bei den verwendeten Bibeltexten habe ich mit der Revised Standard Version [für die deutsche Ausgabe: Elberfelder Bibel, Anm. d. Übers.] gearbeitet und gelegentlich selbst aus dem Griechischen übersetzt. Wenn ich auf die rhetorische Struktur eines Textes eingehe, verwende ich die RSV, bearbeite diese Bibelübersetzung jedoch gelegentlich anhand des griechischen Grundtextes.

      Die hier untersuchten Bibelabschnitte sind großartige Texte, aus der gläubige Menschen seit fast zweitausend Jahren Inspiration beziehen. „Furcht und Zittern“ muss jeden Ausleger überkommen, der es wagt, solch heiligen Raum zu betreten und sich dem mit brennenden Kerzen СКАЧАТЬ