Название: Vom Beten
Автор: Ole Hallesby
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Klassiker des Glaubens
isbn: 9783417227949
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Lass dich darum nicht von deiner Hilflosigkeit ängstigen. Vor allen Dingen lass sie dich nicht am Beten hindern. Denn sie ist das eigentliche Geheimnis und die treibende Kraft des Gebets. Darum sollst du lieber versuchen, Gott für die Gabe der Hilflosigkeit zu danken. Sie ist eine der größten Gaben, die Gott uns schenken kann. Denn nur allein durch Hilflosigkeit schließen wir uns auf, so dass Jesus in unsere Not hineinkommen kann mit aller Gnade und allen Gaben.
Vom Himmel her sehen viele Dinge anders aus als von der Erde. Auch unsere Gebete nehmen sich gewiss von dort oben anders aus.
Da sind z. B. die Gebetstreffen, Gebetsstunden. Einer betet nach dem anderen. Zuerst solche, die gewohnt sind, laut und in Gegenwart anderer zu beten. Sie beten gut und erbaulich, und wenn sie Amen sagen, sind sich alle stillschweigend darüber einig, dass es ein gutes Gebet war. Auf demselben Gebetstreffen ist ein anderer, der auch gern seine Stimme in der Versammlung von Betern erheben möchte. Er weiß, er braucht das Gebet vielleicht mehr als irgendein anderer. Indessen ist er ungewandt, und es will ihm nicht glücken. Seine Gedanken sind unzusammenhängend, und die Worte überstürzen sich. Zuletzt ist er so verwirrt, dass er vergisst, Amen zu sagen. Und hinterher ist er so verzweifelt über sein Gebet und über sich selbst, dass er kaum jemandem in die Augen zu sehen wagt, nachdem das Treffen beendet ist.
Ich glaube aber, dass im Himmel ein neuer Lobgesang angestimmt wurde, aus Freude darüber, einen Menschen zu hören, der wirklich zu Gott betete, weil er in seiner Hilflosigkeit keinen Rat wusste. Ja, solche Gebete machen Eindruck im Himmel.
Hilflosigkeit beim Beten kann sehr verschieden erlebt werden. Besonders in unserem Gefühlsleben kann sie ganz verschiedene Wirkungen hervorrufen. In der Regel ist es wohl so, dass die Hilflosigkeit in der ersten Zeit unseres Christenlebens am stärksten in unser Gefühlsleben eingreift. In dieser Zeit »beugt« der Herr unseren Sinn und »demütigt« unser Herz (Jes. 5,15) und zerbricht unser Selbstvertrauen sowie unsere Selbstsicherheit. Nicht nur, dass das Ganze so neu und ungewohnt ist, sondern es ist so unverständlich.
Zu Gottes Wesen gehört, dass er unbegreiflich ist. Er ist so groß, dass kein Geschöpf ihn völlig verstehen kann. Und so kann kein Mensch Gott begegnen, ohne auch auf seine Unbegreiflichkeit zu stoßen. Und es dauert gar nicht lange, bis der wache Sünder die bange Frage stellt: Warum bekomme ich keinen Frieden, keine Gewissheit, keine Freude? Warum hilft mir Gott nicht in meiner Not, die ich kaum noch ertragen kann? Warum lässt er mich in ewige Verdammnis sinken, wenn er doch sieht, wie gern ich erlöst werden möchte? Warum antwortet er nicht auf alle meine Notrufe?
Wir können viel leiden, wenn wir den Grund unserer Leiden und ihren Zweck erkennen können. Aber das Unbegreifliche, das uns so leicht zum Sinnlosen wird, beunruhigt uns und rührt uns mehr auf als alles andere. Darum gibt es überhaupt nichts, an dem wir leichter Anstoß nehmen als gerade an dieser Unbegreiflichkeit Gottes. Keine Wesensart Gottes erschüttert darum unser Selbstvertrauen und unsere Selbstsicherheit so schnell wie diese Unbegreiflichkeit.
Das veranlasste Jesus, die wehmütigen Worte zu sprechen: »Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert« (Matth. 11,6).
Wir kommen zum ersten Mal zu einem Punkt, wo wir nicht wissen, was wir tun sollen. Wir sind unfähig, zu unserem alten Leben zurückzukehren, können aber auch nicht den Weg zu Gott finden. Wir haben noch nicht gelernt, uns dem unbegreiflichen Gott zu übergeben. Darum ist unser ganzes Menschenwesen in Aufruhr. Das Unbegreifliche erfüllt uns stets mit einer lähmenden Angst.
Der Mensch, der diese Angst aushält, ohne vor Gott und seinem eigenen Gewissen zu flüchten, der vor dem unbegreiflichen Gott stehen bleibt, erlebt nun ein Wunder: Gott zerbricht sein Selbstvertrauen und seine Selbstsicherheit. Ohne zu verstehen, wie, wird der hilflose Sünder in die Gemeinschaft des unbegreiflichen Gottes gezogen. Es ist Gott selbst, der ihn durch Christus in den Stand versetzt, sich vor dem unbegreiflichen Gott zu beugen, sich gleichzeitig auf ihn zu verlassen und in ihm zu ruhen. Damit ist etwas sehr Entscheidendes im Leben des Sünders geschehen. Er ist versöhnt worden, nicht nur mit Gottes Unbegreiflichkeit, sondern ebenso mit seiner eigenen Hilflosigkeit. Während diese bisher sein ganzes Wesen in Aufruhr und Angst versetzte, hat er nun die Hilflosigkeit als die eigentliche Stellung des Sünders Gott gegenüber erlebt. Nicht durch Reflexion, sondern durch die Gewissheit des Erlebens weiß er nun, dass ein zartes Kind nicht hilfloser ist im Verhältnis zu seiner Mutter als er im Verhältnis zu seinem Gott. In allen Einzelpunkten bleibt er hilflos, ob es sich um die Vergebung der Sünden, ihre Überwindung, das neue Leben in seiner Seele, das Wachsen in der Gnade oder um die Treue im täglichen Zusammenleben mit Gott und Menschen handelt.
Nun geht die Hilflosigkeit auf neue Weise in das Gebetsleben ein. Zunächst war sie das Sturmzentrum des Gebets, das entweder den Notschrei herauspresste oder die Seele verstummen ließ. Jetzt wird das ganze Gebetsleben von der Hilflosigkeit getragen. Das zerknirschte Herz weiß, dass es Gott gegenüber nichts vermag, dass es aber auch nichts weiter braucht, als sich in seine Hilflosigkeit zu finden und sich von dem großen und heiligen Gott bedienen zu lassen, genau wie das kleine Kind sich von der Mutter bedienen lässt.
Darum besteht Beten ganz einfach darin, Gott den ganzen Tag zu erzählen, in welcher Weise wir uns hilflos fühlen. Das Gebet wird intensiver, wenn Gottes Geist unsere Hilflosigkeit unterstreicht und wir erkennen müssen, wie ohnmächtig unsere Natur ist, zu glauben, zu lieben, zu hoffen, zu dienen, zu opfern, zu leiden, zu lesen, zu beten und gegen die Lust der Sünde zu kämpfen.
Wohl geschieht es oft, dass wir herausgleiten aus dieser seligen Stellung der Hilflosigkeit gegenüber Gott. Das alte Selbstvertrauen, die frühere Selbstsicherheit erheben den Kopf. Und die Folge ist, dass wir mit der Hilflosigkeit wieder in Streit kommen. Sie erfüllt uns von neuem mit Angst und Verwirrung. Alles wird unklar für uns. Die Sündenvergebung wird unsicher. Der Frieden verschwindet aus dem Herzen. Gleichgültigkeit, Trägheit und geistliche Interessenlosigkeit legen sich quälend über das Seelenleben. Sünden übermannen uns im täglichen Leben, und der unwillige Geist drängt sich in unseren Dienst hinein.
Das dauert so lange, bis Gott wieder unser Herz »demütigt« und wir aufs Neue erkennen, dass wir hilflose Sünder sind, die nichts anderes vermögen als sich begnaden, lieben und pflegen zu lassen von dem unbegreiflichen Gott. Dann bringt die Hilflosigkeit wieder Ordnung in unser Verhältnis zu Gott und auch zu den Menschen. Und vor allen Dingen stellt sie die richtige Gebetshaltung wieder her.
Die Hilflosigkeit beim Beten ähnelt sehr dem Zustand, in dem sich der Lahme und Gichtbrüchige befand. Anfänglich war es peinvoll, ja beinahe unerträglich, so hilflos zu sein, dass er nicht einmal einen Löffel zum Munde führen oder eine Fliege vom Gesicht abwehren konnte. Es ist leicht, zu verstehen, dass er das nicht ohne gewaltigen inneren Protest ertragen hat, vielmehr durch alle möglichen Mittel versuchte, seine Glieder wie vorher zu gebrauchen. Schließlich hat er sich doch mit seiner Krankheit abgefunden und in seine Hilflosigkeit ergeben. Er ist genauso hilflos wie vorher. Aber dieser Zustand ängstigt und peinigt ihn nicht mehr. Er gehört zu ihm wie ein Teil seines Lebens und prägt alle seine Bewegungen und sein ganzes Dasein. Zu allem braucht er Hilfe. Das ist demütigend. Aber beachte auch, wie die Demütigung ihn gewandelt hat. Sein Bitten um Hilfe – still und anspruchslos – ist beinahe ein Bitten um Verzeihung dafür, dass er Hilfe in Anspruch nehmen muss. Wie dankbar ist er für die geringste Hilfe! Alle seine Gedanken und Pläne sind von seiner Hilflosigkeit her bestimmt. Er ist völlig abhängig von dem, der ihn pflegt. Und wir beobachten, wie diese Abhängigkeit eine ganz besondere Verbundenheit zwischen ihm und dem Pflegenden herstellt.
Ein festeres Band kann unter Menschen nicht geknüpft werden.
Genauso soll uns unsere Hilflosigkeit an Gott knüpfen, wobei unsere Abhängigkeit von ihm nicht stark genug betont werden kann. Denke nur an Worte Jesu wie dieses: »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh. 15,5). Hier sagt er in einem СКАЧАТЬ