Название: SeitenSprünge | Erotischer Roman
Автор: Clarissa Thomas
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Erotik Romane
isbn: 9783862774876
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Andrej beachtete diese Freundschaftsdienste kaum. Etwas an ihm strahlte die Kühle der Erfahrung aus, und ich ahnte, dass man bei ihm nicht landen konnte, indem man sich ihm aufdrängte.
Mir fiel auf, dass er sehr viel Zeit in der Schulbibliothek verbrachte, hauptsächlich, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern, aber vermutlich auch, weil es dort so angenehm ruhig war. Mrs Miller unterband pflichtbewusst jeden Versuch eines lauten Gesprächs, und wer sich erdreistete, über ein leises Flüstern hinauszugehen, landete schnell vor der Tür.
Ich suchte mir in einigem Abstand zu Andrej einen Platz, wobei ein Regal unsere Blicke trennte. Wie genau ich ihn von hier aus auf mich aufmerksam machen wollte, war mir auch noch nicht ganz klar, aber ich kam jeden Tag wieder her. Andrej beschäftigte sich mit einem kleinen Kreis bestimmter Bücher, und ich kam auf die Idee, in einem dieser Werke meinen Schulausweis zu platzieren, wenn er bereits gegangen war. Irgendwie hoffte ich, er würde die Verbindung zwischen diesem kleinen Stück Papier und der Schülerin, die jeden Tag nur ein paar Meter von ihm entfernt saß, verstehen.
Ich wartete einen Tag.
Ich wartete zwei Tage.
Meine Zuversicht schwand, und fast hätte ich mir meinen dämlichen Schulausweis selbst zurückgeholt, als Andrej schließlich vor meinen Tisch trat und mich mit seinen großen blauen Augen musterte.
»Bist du Amanda?«, fragte er, und ich war zum Glück so überrascht, dass ich meine Aufregung komplett vergaß.
»Ja, die bin ich.«
»Ich habe hier etwas für dich. Steckte in einem der Bücher.« Er reichte mir meinen Schulausweis hinüber und lächelte.
»Oh, vielen Dank. Ich benutze ihn immer als Lesezeichen, da muss ich ihn wohl vergessen haben.«
Hinter dem Tresen machte sich bereits Mrs Miller bemerkbar, die mit eindeutigen Zischlauten unser beginnendes Gespräch unterdrücken wollte.
»Ganz schön laut hier«, sagte Andrej mit einem Seitenblick zu ihr und lächelte. »Wollen wir nicht woanders hin?«
Ohne auch nur einen Moment zu zögern, folgte ich ihm. Wir verließen das Schulgelände und gingen Richtung Fluss.
An einer Stelle, die ich noch nicht kannte, führten verwitterte Stufen hinab an das Wasser, wahrscheinlich, um kleine Boote hinein- oder herauszubringen. Mittlerweile war die Anlage vollkommen verwildert und vor allzu neugierigen Blicken durch eine dichte Wand aus Büschen und Bäumen geschützt.
»Ich bin oft hier«, sagte Andrej, und das blieb für einige Zeit auch das Einzige, was er von sich gab.
Da mir nichts Besseres einfiel, verhielt ich mich ebenfalls still, und gemeinsam betrachteten wir den Fluss, der an seinen Rändern kleines Treibgut mit sich führte; Plastikflaschen, Holzbretter, einen Eimer, das Rad eines Kinderwagens.
»Du kannst schweigen. Das ist gut«, sagte Andrej nach einer gefühlten Ewigkeit zu mir. »Nur wer gut schweigen kann, der kann auch gut reden, sagt meine Babuschka. Die meisten deiner Mitschüler können das nicht.«
Ich musste lachen. Gleichzeitig überlegte ich mir, ob das hier eine Art Initiationsritual sein sollte, und ob Andrej alle seine potentiellen Freunde und Freundinnen an den Fluss schleppte, um sie schweigen zu lassen – und ob ich bisher als Einzige bestanden hatte.
»Das Dorf, aus dem ich komme, ist sehr klein. Sehr viel kleiner als diese Stadt. Es leben dort vielleicht achtzig Menschen. Ich bin oft Stunden mit dem Bus unterwegs, bis ich zu meiner Schule komme. Wenn ich Freunde besuchen will, nehme ich mein altes Fahrrad, aber auch das dauert lang. Hier ist alles so nah.«
Gern hätte ich seine breite Hand genommen, doch mir war bewusst, dass er den ersten Schritt tun musste. Ich ließ meine Finger mit gespielter Beiläufigkeit über die Risse in den Stufen wandern, einmal zu ihm hin, dann wieder zurück, beständig im Wechsel. Obwohl er ununterbrochen auf den Fluss blickte, griff er plötzlich mit beeindruckender Genauigkeit nach meiner Hand.
»So zart«, sagte er schließlich. »Du hast noch nie eine Kuh gemolken, oder?«
Erneut brach ich in Lachen aus. Ich fragte mich, ob dies in Andrejs Dorf die übliche Art der Anmache sei, aber schnell beruhigte ich mich wieder. Wenn er wirklich sein bisheriges Leben am hinterletzten Ende der Welt verbrachte hatte, war sein Erfahrungshorizont mit Mädchen naturgemäß nicht allzu groß.
»Hast du zu Hause eine Freundin?«, fragte ich ihn, doch er schüttelte den Kopf.
»Würde ich dann deine Hand halten? Wohl nicht.«
Mit diesem Satz hatte er mich endgültig für sich gewonnen. Mir gefiel seine Geradlinigkeit, und diese Atmosphäre des Fremden, Geheimnisvollen, die ständig über ihm lag. Mit ausgeschaltetem Verstand gab ich ihm einen kurzen Kuss.
»Du machst keine großen Umstände, hm?«
Jetzt lächelte auch Andrej. An diesem Tag saßen wir noch lange am Fluss, und wenn auch nichts weiter geschah, als dass wir dem Wasser nachsahen, sollten mir diese Stunden noch lange im Gedächtnis bleiben.
In der Schule gaben wir uns zurückhaltend. Die anderen sollten nichts von dem merken, was sich da zwischen uns entwickelte, und ich glaube, das hatten wir auch ganz erfolgreich geschafft. Nach dem Unterricht gingen wir immer an den Fluss, wobei Andrej mich häufig bat, ein Buch mitzunehmen, aus dem ich ihm vorlesen sollte. Die Begründung, dass er sich die Aussprache bestimmter Wörter besser einprägen wollte, hielt ich für vorgeschoben. Tatsächlich taxierte er immer sehr genau die Bewegungen meiner Lippen, und ich fand es merkwürdig, dass er sich mit Küssen mir gegenüber so stark zurückhielt – fesselte mein Mund doch scheinbar seine ganze Aufmerksamkeit.
Wir verbrachten sehr viel Zeit miteinander, und selbst mit meinem besten Freund Oliver traf ich mich in diesen Wochen nur selten.
***
Andrej nahm mich nie mit in die Unterkunft, in der er wohnte. Allerdings war er einverstanden, als ich ihn zu mir nach Hause einlud. Auch meine Eltern wollten diesen Austauschschüler einmal kennenlernen, nachdem ich ihnen schon so viel von ihm vorgeschwärmt hatte. Er trug seine besten Sachen und polierte Lederschuhe, als er über unsere Türschwelle trat, und gab sich vollkommen höflich zu meiner Mutter und meinem Vater. Ich stellte alle miteinander vor, dann setzten wir uns in das Esszimmer, während Papa ein selbstgekochtes Reisgericht auf die Teller verteilte. Meine Eltern fragten Andrej hauptsächlich nach seiner Herkunft, und über den Umstand, dass seine Familie kein Telefon besaß, staunten sie eine ganze Weile. Mir war es eher peinlich, doch Andrej war nicht aus seiner natürlichen Ruhe zu bringen, er bedankte sich anständig für das Essen und bot sogar an, den Abwasch zu übernehmen, doch meine Mutter scheuchte uns beide regelrecht hoch auf mein Zimmer.
»Eine nette Familie hast du.«
»Ja, kann man so sagen. Manchmal nerven sie aber auch ganz schön.«
»Trotzdem. Du musst dir immer überlegen, wie du ohne sie dran wärest.«
Andrejs Weisheit, vorgetragen mit diesem verführerischen Akzent, machte mich wahnsinnig. Ich hatte so unglaubliche Lust auf СКАЧАТЬ