Название: Marthas Liebschaften | Erotischer Roman
Автор: Aimée Rossignol
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Erotik Romane
isbn: 9783862775385
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Seit einer Stunde schon hüpfen vier kleine Schwäne unter der Anleitung von Madame Blanchard, der Leiterin des Ballettinstituts höchstpersönlich, durch den Saal. Über das Alter von Agnès Blanchard gehen die Meinungen auseinander. Manche sprechen von über Fünfzig auf jeden Fall, andere wähnen sie sogar in ihren frühen Sechzigern. Alles, was wir wissen, ist, dass sie in den Achtzigern für das Pariser Opernballett getanzt hat und ziemlich berühmt war.
Ich persönlich glaube ja, sie hat gar kein Alter. Agnès ist neben meinem Flügel stehengeblieben, legt eine Hand auf das Holz und dirigiert mit der anderen die kleinen Schwäne.
Ab und an wirft sie mir einen Blick zu, in dem die flüchtige Andeutung eines Lächelns liegt. Agnès mag mich. Warum, weiß ich nicht, aber ich hatte schon das Gefühl, dass ich ihr sympathisch war, als ich damals mit meinen Noten unter dem Arm in ihr kleines Büro marschiert bin, um mich als Korrepetitorin zu bewerben. Auf dem Schreibtisch quollen drei Aschenbecher über und in dem fensterlosen Kabuff hing Qualm dick wie Londoner Nebel unter der Decke. Nach dem kurzen Gespräch mit ihr hatte ich das Gefühl, meine Kleidung verbrennen zu müssen, so sehr hatte sich der kalte Zigarettenrauch binnen der zehn Minuten in den Stoff gefressen. Sie hat damals das Blatt mit meinem Lebenslauf in der Hand gedreht. Abwechselnd auf die verschiedenen Stationen und zu mir geblickt. Er wäre kein spannender Job, hatte sie gesagt und mich prüfend angesehen. Ich hatte nur erwidert, dass ich dies auch nicht erwarten würde.
Wann ich das erste Mal am Klavier gesessen hätte, wollte sie wissen und sofort fiel mir mein Großvater ein. Er war Opernsänger. Ein melodramatischer, aber unglaublich witziger Mann, der mich gern zu Proben mitnahm oder mich auf seinen Schoß setzte, wenn er selbst am Klavier sang. »Mit drei Jahren«, habe ich ihr also wahrheitsgemäß geantwortet und Agnès hat genickt und gesagt, dass sie mit drei angefangen hätte, zu tanzen und nie wieder aufgehört hat. Dann hatte ich den Job.
Agnès Blanchard ist für mich der Inbegriff einer alten Primaballerina. Zäh und zierlich. Ein straffer Körper aus Muskeln und Sehen, der weniger von einem Knochengerüst gehalten zu werden scheint, als vielmehr an unsichtbaren Fäden aufgezogen ist. Wahrscheinlich ist in den Decken des Instituts ein filigranes Schienensystem verbogen, das sie von einem Ort an den anderen zieht.
Nie habe ich sie anders gesehen, als mit einem makellosen Haarknoten auf dem oberen Drittel ihres Hinterkopfes. Ich bin mir sicher, dass kein Haar es wagen würde, aus dem straffen Dutt zu entfleuchen, so, wie es auch keiner der kleinen Schwäne bei ihr wagt, aus der Reihe zu tanzen. Bei Agnès wird kein Kind müde, alle sind von einer angespannten Begeisterung gepackt, die ihre Augen glänzen lässt. Alles, was Agnès mit ihrer leisen strengen Stimme in den Raum gibt, erreicht sofort die kleinen Körper, die sich recken und straffen, wenn sie mit ihrem Finger auf sie deutet.
»Alors, und eins, sur le cou de pied, coupés, zwei, drei, vier, fünf, jeté und pas de bourée und passé, plié! Hört auf die Musik, hört auf den Takt. Marie, den Kopf nach rechts. Alle achten jetzt auf die Köpfe! Höher. Weiter, weiter ...«
Es ist nicht so, dass ich Agnès nicht mag, im Gegenteil, aber die Gegenwart ihres geraden Körpers, den ich mir beim besten Willen niemals und unter keinen Umständen zusammengesunken oder herumgefläzt auf einem Sofa vorstellen kann, macht mir immer ein schlechtes Gewissen. Ich fühle mich dann plump mit meinen breiten Hüften, dem für ihre Begriffe wahrscheinlich gigantischen Busen und meinen Beinen, die im Gegensatz zu den ihren über Waden und Schenkel verfügen.
»Und noch einmal. Vite, vite, ihr kleinen Schwäne! Martha, ein wenig schneller jetzt, bitte.«
Die Schwäne hüpfen noch eine weitere Stunde zu meinem Spiel munter durch den Saal, bevor sie flink Taschen und Jacken aufsammeln und von den älteren Schülerinnen abgelöst werden. Eben betritt Colette den Saal und wie immer, wenn sie hineinkommt, sind alle einen Augenblick lang still und gebannt.
Ich habe selten ein so schönes Mädchen gesehen, wie Colette und obwohl sie schon Anfang Zwanzig ist, hat sie sich diese langbeinige jugendliche Schönheit bewahrt, die eigentlich nur Mädchen zu Beginn ihrer Pubertät haben. Keine Frage, Colette ist ein zartes Reh. Bedauerlicherweise weiß sie das aber auch und büßt so, für mich jedenfalls, einen großen Teil ihres Charmes ein. Ich sehe ganz genau, dass sie ihren Auftritt genießt, aus den Augenwinkeln die Gesichter der Anwesenden nach Bewunderung absucht.
Agnès und ich sind die Einzigen, die sich diesem Schauspiel entziehen. Ich schaue angestrengt auf die Noten, die ich nicht brauche, aber die einfach irgendwie auf den Ständer gehören, und Agnès hat den Kopf zum Fenster gedreht.
Agnès klatscht zweimal in die Hände. »Zehn Minuten Pause. Colette und Blanche, macht euch schon mal warm. Colette, ich möchte heute keinen müden schwarzen Schwan sehen und Blanche, der weiße Schwan darf heute ruhig ein wenig liebenswürdiger sein. Alors!«
Agnès winkt mich mit spitzen Fingern durch den Saal und die Treppe hinunter auf den Hof.
Das machen wir manchmal. Wir rauchen überwiegend schweigend unter dem Blätterdach der alten Kastanie, seitdem man Agnès verboten hat, in ihrem Büro eine Zigarette anzuzünden, und fühlen dabei durchaus eine seltsame Art der Verbundenheit. Also ich fühle sie. Was Agnès fühlt, weiß ich natürlich nicht.
»Immer Schwanensee«, sagt sie und bläst den Rauch in Kringeln in den Himmel. Es hat inzwischen aufgehört zu regnen und ich nicke stumm dazu. Ich weiß genau, was sie meint.
Wir ziehen abwechselnd von unseren Zigaretten und drücken sie dann in den übervollen Aschenbecher an der Wand. Bevor wir nach oben gehen, legt sie mir zu meiner Überraschung einen ihrer knochigen Finger an die Wange. Kühl und liebevoll ruht er für den Bruchteil einer Sekunde auf meiner Haut, dann eilt sie behände vor mir die Stufen hinauf. Ich folge ihr bedeutend langsamer, mit der gefühlten Trägheit eines alten Kleppers.
***
Gegen vier liegt der Ballettsaal schließlich wieder still und ruhig wie ein schattiger Teich auf einer Waldlichtung im grauen Licht des angebrochenen Nachmittags.
Ich sortiere die Notenblätter sorgfältig auf einen Stapel und schließe die Tür hinter mir.
Lucs Anblick unten auf der Straße überrascht mich nicht. Ich hatte zwar nicht explizit daran gedacht, dass er auftauchen könnte, aber es ist nicht das erste Mal, dass er mich an einem Samstag im Torbogen erwartet, die Zigarette auf den Boden fallen lässt und mich dann ansieht, als hätte er mit mir, hier vor der Ballettschule, an der ich arbeite, am allerwenigsten gerechnet.
»Was willst du?«, frage ich und gehe zügig an ihm vorbei.
»Mit dir essen gehen und feiern.«
Eine Locke ist ihm in die Stirn gefallen und er wischt sie achtlos beiseite. Er sieht gut aus, denke ich, aber am schönsten sieht er aus, wenn er arbeitet und sich sein Rücken über den Flügel beugt. Dann hält er den Kopf schräg und sein rechtes Ohr dichter an die Tasten. Ich mag seinen Gesichtsausdruck, wenn er den Tönen nachspürt, als wären sie Agenten, die es in dunklen verwinkelten Gassen zu verfolgen gilt und die man keinesfalls auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen darf.
Heute hat er sich für mich schön gemacht, das sehe ich sehr wohl. Er hat den hellen Trenchcoat an, den ich ihm geschenkt habe und die braunen Schuhe. Seinen Schal hat er so gebunden, wie ich es am liebsten mag und so, wie ich es ihm gezeigt habe.
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