Название: Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band
Автор: Edgar Wallace
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204168
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»Keine Angst«, entgegnete er zynisch. »Sie sind mir viel zu wertvoll, als daß ich nicht ganz besonders um Ihr Wohlergehen besorgt wäre. Comstock Bell wird ganz bestimmt dumm genug sein, eine anständige Summe als Lösegeld für Sie zu bezahlen.«
Während der letzten Worte hatte er sich ihr im Dunkeln leise genähert. Bevor sie ausweichen konnte, war er mit einem Satz bei ihr und packte sie an den Schultern. Sie schrie laut um Hilfe.
»Halten Sie den Mund!« zischte er sie wütend an.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, schrie sie, so laut sie konnte. Sie hoffte, daß wenigstens Tiger Brown oder Clinker hereinschauen würden.
Es wurde ihm jetzt selbst unbehaglich, und er ließ sie wieder los.
»Machen Sie sofort das Licht an« – sie nützte ihren Erfolg aus.
Tatsächlich ging er zum Schalter, und im nächsten Augenblick war die Kabine wieder hell erleuchtet. Außer sich vor Aufregung wandte sie ihm den Rücken zu und schaute durch das kleine Fenster auf den Strom hinaus – plötzlich fuhr sie zusammen.
»Gott sei Dank«, flüsterte sie, »die ›Seabreaker‹.«
Er war neben sie getreten und sah zu seinem Schrecken einen kleinen Dampfer, der mit höchster Fahrt direkt auf sie zu hielt. Einen Augenblick lang war er fassungslos, und diesen Moment benützte sie. Bevor er sie festhalten konnte, war sie durch die Kabinentür gerannt und an die Reling gestürzt. Er konnte sie zwar noch einholen, doch mit der Kraft der Verzweiflung riß sie sich los und sprang ins Wasser.
Fluchend stand er an der Reling, doch dann sah er die Lichter des Dampfers immer näher kommen – es blieb ihm nichts übrig, als so schnell wie möglich das Weite zu suchen.
Tiger Brown, der das Steuer für einen Augenblick Clinker übergeben hatte, kam gerade auf ihn zu.
»Was ist denn los, zum Teufel?« fragte er.
Helder stieß ihn zur Seite.
»Schnell, wir müssen das Letzte aus der Maschine herausholen. Wenn wir die belgische Küste vor Tagesanbruch erreichen, haben wir es geschafft!«
Nach fünf Minuten drehte er sich wieder um und atmete erleichtert auf. Der Zwischenraum zwischen ihrem Boot und dem verfolgenden Schiff wuchs von Sekunde zu Sekunde, denn die ›Seabreaker‹ hatte beigedreht. Helder zweifelte nicht daran, daß man Boote aussetzte, um nach Verity Bell zu suchen.
22
In der Kabine der ›Seabreaker‹ lag Verity Bell. Sie fühlte sich noch sehr schwach, lächelte aber zufrieden, als sie die Augen aufschlug. Comstock saß neben ihr. Der Dampfer hatte die Fahrtrichtung geändert und fuhr jetzt den Strom hinauf. Gold, der neben dem Kapitän auf der Brücke stand, sprach kein Wort. Er hatte alle Küstenstationen benachrichtigt und war gespannt, ob es noch gelingen würde, das Motorboot aufzuhalten. Auch die französischen und belgischen Küstenstationen waren bereits alarmiert.
Draußen heulte ein starker Nordwestwind.
Verity hatte Comstock schon seit einiger Zeit aus halbgeschlossenen Augen betrachtet, noch bevor er merkte, daß sie wieder zum Bewußtsein gekommen war. Sie sah die harten Linien, die der Gefängnisaufenthalt in sein Gesicht gezeichnet hatte, las aber auch Befriedigung und Erleichterung in seinem Blick.
Was sollte nun werden? Sie war bereit, auch der schlimmsten Möglichkeit entschlossen entgegenzutreten. Was mochte ihr die Zukunft bringen? Irgendeine Lösung mußte man finden – so oder so.
Mit einem Lächeln öffnete sie die Augen.
»Nun?« fragte sie freundlich.
»Du warst wohl sehr überrascht, mich hier wiederzusehen?« begann er. Eine merkwürdige Scheu hielt ihn davon ab, sie bei ihrem Namen zu nennen.
»Nein«, erwiderte sie ruhig.
Ein langes Schweigen trat ein.
»Mein Onkel …«, fuhr sie schließlich fort, »ist er – tot?«
Comstock Bell nickte traurig.
»Ich habe es befürchtet«, sagte sie leise. »Er war so gut zu mir.« Ihre Augen standen voll Tränen. »Jetzt bin ich –« sie brach ab und weinte fassungslos.
»Du wolltest sagen, daß du jetzt ganz allein bist.« Comstock Bell nahm ihre schlaff herabhängende Hand in die seine. »Und doch hast du kein Recht dazu – wir sind verheiratet.«
Sie sah ihn bedrückt an.
»Es wäre mir lieber gewesen, du hättest es jetzt nicht erwähnt«, erwiderte sie traurig. Ihr Blick ging an ihm vorbei. »Was ist das schon für eine Ehe, die wir führen!«
Er nickte. Es war totenstill im Raum, nur das gleichmäßige Stampfen der Maschinen ließ ab und zu die Fensterscheiben erzittern.
»Du hast recht«, entgegnete er schließlich. »Aber glaubst du denn, eine Scheidung wäre der einzige Weg für uns? Sicher, du wärst damit einverstanden, weil du denkst, ich wollte dich wieder loswerden … Denkst du das denn wirklich?«
Sie wurde rot.
»Nein, eigentlich nicht«, entgegnete sie leise. »Und doch, ich kann nicht einfach deine Frau bleiben, nur weil ich einmal Gelegenheit hatte, dir zu helfen. Reden wir doch ganz offen darüber – schließlich ist es uns beiden klar, daß wir einander nicht aus Liebe geheiratet haben. Du hast mich schon öfter gefragt, warum ich überhaupt mit dieser Ehe einverstanden war. Nun, als ich erfuhr, daß du für Willetts ins Gefängnis gehen wolltest, um euer beider Schuld zu sühnen, dachte ich mir, daß auch ich meinen Teil dazu beitragen könnte. Anstelle meines Onkels wollte auch ich etwas gutmachen … Und jetzt, jetzt muß ich daran denken, daß einmal eine Zeit kommen könnte, in der ich mich richtig in jemand verliebe …«
Sie senkte den Blick, doch er nahm ihren Kopf zwischen die Hände und sah sie voll an.
»So darfst du nicht reden! Vielleicht haben wir uns nicht geliebt, als wir uns heirateten – inzwischen ist aber viel Zeit vergangen, und ich wußte schon im Gefängnis, daß ich nicht mehr ohne dich leben kann. Du sagst, es könnte sein, daß du dich einmal verliebst – willst du dich nicht in mich verlieben?« Sie erwiderte nichts, mußte aber doch ein wenig lächeln.
»Du hast ein großes Risiko für mich auf dich genommen«, fuhr er mutiger geworden fort. »Willst du noch ein wenig mehr riskieren – daß du dich in mich verliebst, wenn du dich einmal verliebst?«
Sie sah ihn lange an, dann drückte sie fest seine Hand.
»Ja, ich will es tun.«
*
In der Nordsee kämpfte sich ein Motorboot durch einen Sturm voran, der dauernd heftiger wurde.
Die drei Männer an Bord taumelten hin und her. СКАЧАТЬ