Название: Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf
Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027207015
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Als er ganz nahe herankam, sah er, daß sie der Stadt auf dem Grunde des Meeres glich und doch wieder nicht glich. Es war derselbe Unterschied, als wenn man den einen Tag einen Mann in Purpur und köstlichem Leinen gekleidet sieht, und den andern Tag in Lumpen.
Aber die Stadt hatte wohl einmal so ausgesehen wie die, an die er denken mußte. Sie war ebenfalls von einer Mauer mit Türmen und Toren umgeben. Aber die Türme in dieser Stadt, die über der Erde stehen geblieben war, standen ohne Dach, hohl und leer da. Die Tore waren ohne Türflügel, Wächter und Kriegsknechte waren verschwunden. All die strahlende Pracht war dahin. Nur das nackte, graue Steinskelett war übrig geblieben.
Als der Junge weiter über die Stadt hinflog, sah er, daß sie zum größten Teil aus kleinen, niedrigen Häusern bestand, aber hier und da waren einige hohe Giebelhäuser und einige Kirchen aus der alten Zeit erhalten. Die Mauern der Giebelhäuser waren weiß getüncht und ohne den geringsten Schmuck, da aber der Junge erst so kürzlich die versunkene Stadt gesehen hatte, konnte er sich denken, wie sie ausgeschmückt gewesen waren: einige mit Bildsäulen und andere mit schwarzem und weißem Marmor. Und ebenso war es mit den alten Kirchen. Die meisten von ihnen waren ohne Dach, und ihr Inneres war kahl und leer. Die Fensteröffnungen waren ohne Scheiben, die Fußböden waren mit Gras bewachsen, und an den Wänden kletterte der Efeu hinauf. Aber nun wußte er, wie sie einstmals ausgesehen hatten, daß sie mit Bildsäulen und Gemälden bedeckt gewesen waren, daß sich im Chor ein reichgeschmückter Altar und goldene Kreuze erhoben hatten, und daß Priester in goldenem Ornat darin umhergewandelt waren.
Der Junge sah auch die schmalen Gassen, die an so einem Sonntagnachmittag fast leer waren. Aber er wußte, was für ein Strom von schönen, stolzen Menschen dort einstmals hin und her gewogt war. Er wußte, daß die Straßen wie große Werkstätten mit allerhand Arbeitern ganz angefüllt gewesen waren.
Niels Holgersen sah aber nicht, daß die Stadt noch heutigen Tages sowohl merkwürdig als auch schön war. Er sah weder die traulichen Häuschen in den Hinterstraßen mit den schwarzen Mauern, weißgemalten Balkenenden und roten Pelargonien hinter den blanken Fensterscheiben, noch die vielen schönen Gärten und Alleen oder die Schönheit der efeubekleideten Ruinen. Seine Augen waren so voll von der Herrlichkeit des Entschwundenen, daß er nichts Gutes in dem erblicken konnte, was war.
Die wilden Gänse flogen ein paarmal über der Stadt hin und her, damit Däumling alles richtig sehen sollte. Schließlich ließen sie sich auf dem grasüberwucherten Boden einer Ruinenkirche nieder, um dort die Nacht zu bleiben.
Sie hatten sich schon zum Schlafen gesetzt, aber Däumling war noch wach und sah durch die zertrümmerten Gewölbe zu dem blaßroten Abendhimmel empor. Als er eine Weile so gesessen hatte, dachte er, nun wollte er ein Ende machen mit seiner Trauer darüber, daß er die versunkene Stadt nicht hatte erretten können.
Ja, das wollte er tun, seit er nun diese Stadt gesehen hatte. Wäre die Stadt, die er gesehen hatte, nicht auf den Grund des Meeres gesunken, so wäre sie vielleicht binnen kurzem ebenso verfallen wie diese. Sie hätte am Ende der Zeit und der Vergänglichkeit nicht widerstehen können, sondern hätte bald mit Kirchen ohne Dach und Häusern ohne Schmuck und öden, leeren Straßen dagestanden, so wie diese. Dann war es doch besser, daß sie in all ihrer Herrlichkeit unten im Verborgenen bewahrt worden war.
»Es ist gut, daß es kam, wie es kam,« dachte er. »Hätte ich die Macht, die Stadt zu erlösen, ich glaube, ich würde es nicht tun.« Und dann trauerte er nicht mehr darüber.
Und da sind gewiß viele unter den jungen Leuten, die so denken. Aber wenn man alt wird und sich hat gewöhnen müssen, mit wenigem zufrieden zu sein, da freut man sich mehr über das Visby, das da ist, als über ein schönes Vineta auf dem Grunde des Meeres.
XIV. Die Sage von Samlaand
Dienstag, den 12. April.
Die wilden Gänse hatten eine gute Reise übers Meer gehabt und sich in der Tjuster Harde im nördlichen Smaaland niedergelassen. Diese Harde sah so aus, als könne sie sich nicht entschließen, ob sie Land sein wolle oder Meer. Überall drangen die Meerbusen ein und zerschnitten das Land in Inseln und Halbinseln, in Landzungen und Vorgebirge. Das Meer war so aufdringlich, daß das einzige, was sich aufrecht halten konnte, Hügel und Felsklippen waren. Alles niedrige Land war unter der Meeresfläche verborgen.
Es war Abend, als die wilden Gänse von dem Meer hereinkamen, und das hügelige Land lag hübsch zwischen den blinkenden Fjorden. Hier und da auf den Inseln sah der Junge Häuser und Hütten, und je weiter er auf das Land zu kam, um so größer und besser wurden die Häuser. Schließlich wuchsen sie zu großen, weißen Schlössern heran. An der Küste entlang stand in der Regel ein Kranz von Bäumen, dahinter lagen Felder und oben auf dem Gipfel der kleinen Hügel begannen die Bäume von neuem. Er konnte nicht umhin, an Bleking zu denken. Hier war wieder ein Ort, wo sich Land und Meer in einer stillen, schönen Weise begegneten und gleichsam bestrebt waren, einander das Schönste und Beste zu zeigen, was sie besaßen.
Die wilden Gänse ließen sich auf einem kahlen Werder tief drinnen im Gänsefjord nieder. Beim ersten Blick auf die Küste sahen sie, daß der Frühling große Fortschritte gemacht hatte, während sie draußen auf den Inseln waren. Die großen, prächtigen Bäume waren noch nicht belaubt, aber die Erde unter ihnen war bunt von gelben Ranunkeln und blauen und weißen Anemonen.
Als die wilden Gänse den Blumenteppich sahen, erschraken sie und glaubten, sie seien zu lange in dem südlichen Teil des Landes gewesen. Akka sagte sofort, es sei keine Zeit, einen ihrer Ruheplätze in Smaaland aufzusuchen. Schon am nächsten Morgen müßten sie nordwärts über Ostgotland ziehen.
Der Junge würde also nichts von Smaaland zu sehen bekommen, und darüber mußte er sich ärgern. Von keinem der andern Landesteile hatte er soviel reden hören wie von Smaaland, und er hätte es so gern mit eigenen Augen gesehen.
Im letzten Sommer hatte er als Gänsejunge bei einem Bauer in der Nähe von Jordberga gedient und war fast jeden Tag mit ein paar armen Smaaländer Kindern zusammengekommen, die ebenfalls Gänse hüteten. Die Kinder hatten ihn geradezu entsetzlich mit ihrem Smaaland geneckt.
Es wäre nun übrigens unrecht, zu sagen, daß ihn das Gänsemädchen Aase geneckt hätte. Dazu war sie viel zu klug. Wer aber necken konnte, das war ihr Bruder, der kleine Mads.
»Hast du gehört, wie es zuging, als Smaaland und Schonen erschaffen wurden, Gänsejunge Niels?« fragte er zum Beispiel, und als Niels Holgersen nein sagte, begann er sogleich die alte Scherzsage zu erzählen.
»Ja, siehst du, das war damals, als der liebe Gott dabei war, die Welt zu erschaffen. Wie er so recht mitten in der Arbeit war, kam Sankt Petrus vorbei. Der blieb stehen und sah zu, und dann sagte er, ob das ein schweres Stück Arbeit sei. ›Ach ja, so ganz leicht ist es nicht,‹ sagte der liebe Gott. Sankt Petrus blieb noch eine Weile stehen, und als er sah, wie leicht es ging, ein Land nach dem andern fertig zu machen, bekam er auch Lust, es einmal zu probieren. ›Hast du nicht das Bedürfnis, dich ein wenig auszuruhen?‹ sagte Sankt Petrus, ›dann könnte ich ja inzwischen die Arbeit für dich tun.‹ Aber das wollte der liebe Gott nicht. ›Ich weiß nicht, ob du so erfahren in der Kunst bist, daß ich dir anvertrauen kann, da fortzufahren, wo ich aufhalte,‹ СКАЧАТЬ