Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter Benjamin страница 52

Название: Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert)

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Bookwire

Жанр: Книги для детей: прочее

Серия:

isbn: 9788075834935

isbn:

СКАЧАТЬ väterlicher, sei es von mütterlicher Seite, jemals von Blindheit heimgesucht worden. Vielleicht hatte er’s selbst herausgefunden; jedenfalls verstand er sich auf den Verkehr mit Blinden, und darum hielt er auch Bertha am Rock fest, und zwar so lange, bis Mrs. Peerybingle und das Wickelkind und Tilly und der Korb samt und sonders im Hause in Sicherheit waren.

      May Fielding war bereits da; ebenso ihre Mutter – eine kleine, zänkische Person, eine alte Dame mit mürrischem Gesicht – die, weil sie sich eine Taille wie ein Bettpfosten bewahrt hatte, für eine Frau von höchst vornehmen Manieren galt, und die, weil sie früher in besseren Verhältnissen gewesen oder doch an der Vorstellung litt, sie hätte in besseren Verhältnissen gewesen sein können, wenn ein gewisses Etwas sich ereignet hätte, das sich aber nie ereignete und niemals besondere Aussicht gehabt zu haben schien, sich jemals zu ereignen – was übrigens ganz dasselbe ist –, sehr vornehm und herablassend tat. Gruff und Tackleton waren ebenfalls da und spielten den Schwerenöter mit der Miene eines Menschen, der sich so vollständig zu Hause und so unbestreitbar in seinem Element fühlt, wie ein frischer, junger Lachs oben auf der großen Pyramide.

      »May! Meine liebe, teure Freundin!« rief Dot, ihr entgegeneilend. »Welch ein Glück, dich wiederzusehen!«

      Ihre liebe, teure Freundin war ganz ebenso entzückt und erfreut wie sie, und es war, ihr könnt mir’s glauben, ein ganz reizender Anblick, wie sie sich umarmten.

      Tackleton war ein Mann von Geschmack, daran ist gar nicht zu zweifeln: May war sehr schön.

      Ihr wißt, wenn ihr an ein schönes Gesicht gewöhnt seid und es sich zufällig neben einem andern schönen Gesicht befindet, so scheint es bisweilen bei dem ersten Vergleich gewöhnlich und alltäglich und die hohe Meinung kaum zu verdienen, die ihr von ihm gehabt habt. Nun, das war hier gar nicht der Fall, weder bei Dot noch May; denn Mays Gesicht ließ dasjenige Dots schöner erscheinen und Dots Gesicht hob dasjenige Mays hervor, und zwar in so natürlicher und angenehmer Weise, daß, wie John Peerybingle sehr nahe daran war zu sagen, als er ins Zimmer trat, sie geborene Schwestern hätten sein können. – Und das wäre die einzige Verbesserung gewesen, die hätte ersonnen werden können.

      Tackleton hatte seine Hammelkeule gebracht und außerdem noch, fast unglaublich zu sagen, eine Torte – aber wir gestatten uns schon eine kleine Verschwendung, wenn unsere Bräute mit dabei im Spiel sind: wir heiraten ja nicht alle Tage! –, und zu diesen Leckerbissen kamen die Kalbs-und Schinkenpasteten und die andern »Dingerchen«, wie Mrs. Peerybingle sie nannte, das heißt Nüsse, Orangen und Kuchen und derlei Kleinigkeiten. Als das Mahl aufgetragen war, gemeinsam mit Kalebs Beiträgen, die in einer großen Holzschüssel voll dampfender Kartoffeln bestanden – es war ihm kraft eines feierlichen Vertrags verboten, andere Lebensmittel zu liefern –, führte Tackleton seine zukünftige Schwiegermutter auf den Ehrenplatz. Um sich bei dem hohen Feste dieses Platzes würdiger zu zeigen, hatte sich die majestätische alte Seele mit einer Haube geschmückt, die darauf berechnet war, selbst die Gleichgültigsten mit Gefühlen der Ehrfurcht zu erfüllen. Auch hatte sie Handschuhe an. Sie muß vornehm sein – sonst lieber sterben!

      Kaleb saß neben seiner Tochter, Dot neben ihrer alten Schulgenossin, der gute Fuhrmann nahm von dem untern Ende des Tisches Besitz. Fräulein Tolpatsch wurde zunächst von jedem Stück Möbel entfernt, ausgenommen der Stuhl, auf dem sie saß, damit sie keinen andern Gegenstand in der Nähe hätte, an den sie den Kopf des Kindes stoßen könnte.

      Wie Tilly die Puppen und Spielsachen um sich her anstarrte, so starrten diese ihrerseits sie und die Gesellschaft wieder an. Die ehrwürdigen alten Herren vor den Haustüren – alle in voller Tätigkeit – zeigten ein ganz besonderes Interesse an diesem kleinen Fest; bisweilen warteten sie ein wenig, bevor sie sprangen, als wenn sie der Unterhaltung lauschten, und sprangen dann wieder, ich weiß nicht wie oft, wild darauf los, ohne sich nur Zeit zum Atemholen zu lassen – als wenn diese unaufhörlichen Bocksprünge ihnen ein unendliches Vergnügen machten.

      Wirklich, wenn diese alten Herren es darauf abgesehen hatten, bei der Betrachtung von Tackletons Unbehagen eine boshafte Freude zu empfinden, so hatten sie allen Grund, zufrieden zu sein.

      Tackleton konnte gar nicht in Stimmung kommen; und je heiterer seine Verlobte in Dots Gesellschaft wurde, um so weniger Freude empfand er darüber, obgleich er sie zu diesem Zweck zusammengebracht hatte. Denn er war ein neidischer, mißgünstiger Mensch, dieser Tackleton; und wenn sie lachten, ohne daß er wußte warum, so setzte er sich’s sofort in den Kopf, sie lachten über ihn.

      »Ach May!« sagte Dot. »Du lieber Gott, wie sich alles geändert hat! Es macht einen ordentlich wieder jung, wenn man so von den glücklichen Schultagen plaudern kann.«

      »Na, so besonders alt seid ihr denn doch noch nicht, scheint mir«, sagte Tackleton.

      »Seht nur, wie gesetzt und würdevoll mein Ehemann da ist«, versetzte Dot. »Er hat meinem Alter wenigstens zwanzig Jahre zugelegt. Nicht wahr, John?«

      »Vierzig«, erwiderte John.

      »Und wieviel Ihr Mays Alter zulegen werdet, daß weiß ich wahrhaftig nicht«, sagte Dot lachend. »Aber sie wird an ihrem nächsten Geburtstage nicht viel weniger als hundert Jahre alt sein.«

      »Ha ha!« lachte Tackleton. Aber es klang hohl wie aus einer Trommel. Und dabei warf er einen Blick auf Dot, als hätte er ihr mit der größten Behaglichkeit den Hals umdrehen können.

      »Du lieber Gott«, sagte Dot, »wenn ich noch daran denke, wie wir in der Schule von den Männern redeten, die wir uns wählen wollten. Ich weiß nicht mehr, wie jung und wie hübsch und wie vergnügt und wie liebenswürdig der meine sein sollte! Und was Mays Zukünftigen betraf …! Gott, ich weiß nicht, soll ich lachen oder weinen, wenn ich daran denke, wie albern wir als Mädchen waren.«

      May schien zu wissen, was sie tun sollte; denn ihre Wangen färbten sich mit einem lebhaften Rot, und die Tränen standen ihr in den Augen.

      »Und sogar auf Personen – auf wirkliche junge Männer von Fleisch und Blut – richteten wir zuweilen unsere Gedanken«, fuhr Dot fort. »Wie wenig dachten wir daran, wie sehr sich alles ändern würde. Ich hatte nicht im entferntesten an John gedacht, das ist gewiß; auch nicht im entferntesten hatte ich an ihn gedacht. Und wenn ich dir damals gesagt hätte, du würdest noch einmal Herrn Tackleton heiraten, so hättest du mir vielleicht eine Backpfeife verabreicht! Nicht wahr, May?«

      Obgleich May nicht ja sagte, so sagte sie sicherlich auch nicht nein, noch deutete sie es irgendwie an.

      Tackleton lachte – ja er schrie förmlich, so laut lachte er. John Peerybingle lachte ebenfalls, aber in seiner gewöhnlichen gutmütigen und zufriedenen Weise, sein Lachen war ein Flüstern im Vergleich zu dem von Tackleton.

      »Und trotzdem«, sagte dieser, »habt ihr nicht anders können. Ihr konntet uns nicht widerstehen, seht ihr! Da habt ihr uns nun! Wo sind nun eure vergnügten, liebenswerten, jungen Bräutigame?«

      »Einige von ihnen sind tot«, entgegnete Dot, »und andere vergessen. Wenn jetzt einer von ihnen in diesem Augenblick in unserer Mitte erschiene, er würde gar nicht glauben, daß wir dieselben Geschöpfe sind; nicht glauben, daß das, was er sähe und hörte, Wirklichkeit sei und daß wir sie so hätten vergessen können. Nein, nichts würden sie davon glauben!«

      »Aber Dot!« rief der Fuhrmann. »Kleine Frau!«

      Sie hatte mit solcher Lebhaftigkeit und solchem Feuer gesprochen, daß sie ohne Zweifel zu sich selbst zurückgerufen werden mußte. Die Unterbrechung ihres Mannes geschah sehr sanft, denn er mischte sich nur ein, wie er glaubte, um den alten Tackleton zu schützen; aber er erreichte seinen Zweck, denn sie schwieg und sagte kein Wort weiter. Doch lag selbst in ihrem Schweigen СКАЧАТЬ