»Nein, Harro, ich glaube es nicht... Aber können nicht auch Häuser Seelen haben?«
»Ich weiß nicht. Wenn aber je ein Haus aus heißen Mühen und manchmal schier verzweifeltem Ringen und Entbehrungen und Arbeitsqualen entstanden ist, so ist es dies, und danach dürfte es wohl eine Seele haben.«
»Es hat eine Seele. Aber sie ist vielleicht noch jung, Harro. Bedenke, wie alt die Hausseele in Brauneck ist. Was da alles an den Wänden hängt.«
Durch das offene Fenster dringt plötzlich eine tiefe Stimme:
»Und ich sage ihm, daß er ein Kapitalesel ist und nicht weiß, wo er seinen Kopf hat, und uns seit einer halben Stunde in der Irre fährt. Wenn der Fürst noch mehr solche Trottel hat...«
»Die Tanten,« ruft Harro entzückt. »Komm mit, Rosmarie.«
Hand in Hand laufen sie hinaus. Harro dreht im Vorübergehen das elektrische Licht an, daß der Schloßhof mit einem Schlage in blendendem Lichte erstrahlt. Da steht vor der Pforte Tante Ulrike schwarz und lang und schwingt einen Regenschirm gegen einen ganz zusammengedrückten Braunecker Lakaien, der am Schlag steht.
»Tante Ulrike, wie schön, daß du kommst. Es ist ganz recht so. Tante Marga, du steigst doch aus?«
Und er hatte sie schon herausgezogen, den Schlag zugeworfen, der Lakai war mit affenartiger Geschwindigkeit auf den Bock geklettert und der Wagen rollte davon.
»Halt, halt!« rief Tante Ulrike mit tiefster Stimme. »Er fährt fort, er fährt wahrhaftig fort. Ja, mein Sohn, und du grinsest! Solltest du...?« Und eine energische Hand im schwarzwollenen Handschuh griff in die Luft, denn Rosmaries weiße Hände halten sie umklammert.
»O bitte, liebe Tante Ulrike, sei nicht böse! Er wollte Euch so gern haben.«
»Wollte er? Ha, nun ist er gestraft. Einen Streich wollte er verüben – irgend etwas hatte er mit dieser konfiszierten Lakaienseele ausgeheckt – und das Schicksal nimmt ihn beim Wickel und führt ihm an seinem Hochzeitsabend zwei alte Tanten ins Haus. Das nennt man Gerechtigkeit. Was sagst du dazu. Marga?«
»Daß wir nun da sind. Wenn es in diesem Kunstgebäude so etwas wie Gastbetten gibt, so soll er uns die weisen, daß wir drin verschwinden,« seufzte Tante Marga. »Unser Gepäck ist zwar auf dem Kupferberger Bahnhof.«
»O liebe Tante Marga, komm mit mir herauf in die Tantenstube,« bittet Rosmarie, denn an Tante Ulrike wagt sie sich noch nicht.
»So Harro. Und ist das jetzt deine Kunst- und Zimmermalermontur! Sieh ihn an, Marga! Der Mensch hat eine Schärpe an wie ein Frauenzimmer und schämt sich nicht. Künstlerlocken wirst du dir wohl auch wachsen lassen.«
»O das wäre ganz schön,« sagt Rosmarie, »er läßt sie immer abscheren, wenn sie anfangen hübsch zu werden.«
»Na, na, junge Frau,« brummte Tante Ulrike, »er wird wohl hier alles durchsetzen. Aber ich kann nur herzlich sagen: den Erfolg von seinem heutigen Streich gönne ich ihm. Natürlich wünschest du, Harro, daß deine Tanten mit dir und deiner jungen Frau zu Nacht essen! An deinem Hochzeitsabend kannst du gar keinen innigeren Wunsch haben! Und nun, mein Sohn, sage ich dir: Wir werden uns nicht zieren, wir werden es tun!«
»Liebe Tanten, es freut uns ja so sehr,« bat und schmeichele Rosmarie.
Harro konnte kein Wort sagen. Er tanzte in auffälliger Weise herum, und plötzlich übermannte es ihn doch und er brach in ein dröhnendes Gelächter aus. Das nahm der Bergfried auf und widerhallte es, und der Brunnen machte eine wunderliche Reihenfolge von Tönen daraus.
Und Rosmarie lachte auch: »Harro, dein Bergfried kann lachen... O wie freu ich mich. Kommt, liebe Tanten.«
Ulrike folgte grollend wie ein fern abziehendes Gewitter. In der Empfangshalle erstrahlt im brennendsten goldenen Feuer die Mosaikbekleidung.
Tante Ulrike deutet nur stumm mit dem Regenschirm darauf: »Heidnisch!«
»Byzantinisch – altchristlich, Tante Uli.«
»Was hast du mit Byzantinern zu tun? Es muß eine betrübte Rasse gewesen sein!«
»Darf ich euch jetzt ins Tantenzimmer führen?«
»O ja, wir sind recht begierig. Auch byzantinisch?«
»Nein, gut Thorsteinisch.«
Rosmarie eilt voraus die schön gewundene Treppe hinauf in den Giebelstock, wo sich das sehr große dreifenstrige Zimmer befindet. Links und rechts je ein Anbau, durch eine leichte Rollwand abschließbar für die breiten, gastlich aufgedeckten Betten. Der Tanten Toilettengegenstände schon aufgelegt. Ein großer Rosenstrauß auf dem blanken Tische.
Marga drehte sich feierlich herum: »Ulrike – sie haben uns erwartet!«
»Ja, und Harro freute sich sehr und ihr müßt eine Weile bei uns bleiben. Unser Haus ist noch sehr neu und so schön und es fremdet ein wenig. Und was euch fehlt, bitte laßt es mich wissen, und habt Geduld mit mir, bis ich alles gelernt habe,« stammelte Rosmarie unter den starr auf sie gerichteten blau stählernen Augen.
Ulrike wandte sich zu ihrer Schwester und sagte, als ob sie Rosmarie in unermeßlicher Ferne erblicke, wo sie unmöglich ihre Worte hören könne: »Sieh dir dieses Kind an. Hast du je ein solches weißes Schäfchen gesehen!«
Rosmaries große graue Augen wurden feucht, aber Tante Ulrike nimmt sie in ihre Arme und küßt sie auf ihren goldenen Scheitel.
»Geht jetzt hinunter, Prinzessin Tausendschön, und schicke mir diesen langen Schlingel von einem Harro herauf. Ha, ich bin schon öfters mit ihm fertig geworden!«
Das »Ha« der Tante Ulrike hat so etwas Bedrohliches, daß Rosmarie noch einmal bittet, Harro seinen Scherz doch nicht übel zu nehmen.
Tante Marga hat sich in einen tiefen Stuhl gesetzt und nickt Rosmarie zu: »Wir lassen ihn dir am Leben.«
Und so geht Rosmarie hinaus, findet aber zu ihrem Erstaunen Harro an der Türe, er muß gehorcht haben. Er nahm sie in die Arme und küßte sie schnell auf Stirn und Wangen und Haare, daß es ihr schier den Atem benahm.
»Geh hinunter, Seelchen, deine rotgeweinte Lisa ist da, Thorstein ist scheint's viel weiter von Brauneck als Bordighera. Sieh, daß sie dir dein Abendkleid nicht mit Tränen beträufelt.«
»Ach Lisa!« Und sie läuft sehr erleichtert hinunter zu dem Stück Brauneck.
Harro klopfte demütig an und wurde durch doppeltes Herein zum Eintritt ermutigt. Tante Ulrike kam ihm noch mit dem Hut auf dem Kopfe und erhobenem Regenschirm entgegen.
»Nun, Harro, ich frage: Was soll dies heißen!«
»Daß man doch auch in seinem eigenen Hause gern liebe Verwandte beherbergt,« antwortete Harro heuchlerisch.
»Ha!« rief Tante Ulrike kampfbereit und schwang ihren Regenschirm: »Liebe Verwandte!«
Harro duckte sich wie vor einem Schlage.
»Kinder,« ermahnte СКАЧАТЬ