Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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       Schwanenjungfrau

       Inhaltsverzeichnis

      Ein seidig blauer Herbsthimmel mit fliegenden Wolken, goldrote Wälder, braune Ackerbreiten, über die schon der grüne Hauch läuft für des nächsten Jahres Ernte, wehende weißblaue Fahnen in dem alten Städtchen auf dem Berge, und Hochzeitsglockengeläute. Das alte Schloß gibt seine treu bewahrten Schätze und Kleinodien heraus, dem Tag zu Ehren und seinem letzten Kinde. Was für alte Pracht, die sonst nur dem Domänenrat bekannt ist, kommt zum Vorschein.

      Gobelins von unschätzbarem Werte sind aus dem Schloß Eichenkronen geborgt worden, Hunderte von alten Silbertellern entsteigen den eisernen Schränken. Venetianische Spiegel mit ihrem wundervollen Goldton, die das große Braunecker Wappen eingeschliffen tragen, schmücken die Wände und Aufgänge. Die Gewächshäuser und Gärten geben ihre Blumenkinder her, die großen Palmen sind herausgewandert in den Torbogen, der die Pforte des Waffenganges mit der Schloßkapelle im Eckturm verbindet.

      Dort in der kleinen runden Kapelle sind die Wände mit lebendigem Grün bezogen, schlingen sich Kränze von weißen Rosen um die Säulen, hängen Teppiche und Brokatdecken herunter von den Emporen, die dreifach die Höhe des Turmes begleiten.

      Dort ist Rosmarie einst getauft worden, dort stand der Sarg ihrer Mutter und Brüder vor dem Altar, an der Stelle, wo in den Boden das große messingne Kreuz eingelassen ist. Da kommen sie alle einmal zusammen, die Braunecker, seit vielen Jahrhunderten schon. Heute bedeckt das Kreuz ein bunter Teppich, aber die Braunecker wissen doch, daß es darunter ist, und sie vergessen es alle nicht.

      Der rote Turm hat alle seine Betten hergegeben, und zur Nacht glänzen die Lichter aus allen Fenstern ins Tal, und die Lichter in den Türmen, so hoch über dem dunklen Massiv des Schlosses, sind wie treue Wächter, die nach allen Seiten hinausblicken. Kammerfrauen rennen hin und her, und die Schokoladefarbigen sind heute feuerrot wie Krebse und tragen weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Auch die alten silbernen Schnallen haben des Herrn Domänenrats eiserne Kästen bewahrt. Equipagen rollen zu dem kleinen Bahnhofe hinter dem Berge, offene Breaks folgen mit Ladungen von Koffern und kronenverzierten Reisekisten.

      Die Braunecker haben sehr viel zu sehen, und ein süßer Kuchenduft weht um die Giebelhäuser, denn sie haben alle Kuchen bekommen. Die Kinderschüler, die mit ihrer freundlichen weißbehaubten Schwester an einem langen Seil durch die Straßen gehen, in festlichen Kleidchen, jedes ein Kuchenkörbchen in der Hand. Die stolzen Lateinbuben, die sonst in wilden Kämpfen mit den Volksschülern leben, stehen einträchtig mit ihnen an der Kirchenstaffel um einen riesigen Kuchenkorb herum, dessen ordnungsmäßige Entleerung der Mesner überwacht. Die Spitalfrauen können mehr oder weniger einträchtig ein Kaffee- und Kuchenfest feiern. Die alten Witwen und bresthaften Jungfrauen, die nach einer Stiftung aus dem siebzehnten Jahrhundert jede Woche im Schloß einen großen Brotlaib, den sogenannten Schloßlaib, abholen, bekommen außer dem Kuchen noch eine Flasche Wein dazu. Es ist kein Kind in Brauneck, das heute leer ausginge.

      Es sind große braune herrliche Kuchen mit Rosinen darin, und sie werden nach altem Rezept gemacht. Eine sehr kinderliebende Gräfin soll sie vor Zeiten an den Festen ausgeteilt haben. Und so wandelt mit dem süßen Duft auch dieser freundliche Geist durch die alten Straßen.

      Was das Leben den Braunecker Kindern später für Leckerbissen bringen wird, es wird doch nicht mehr die Güte von jenen Kuchen erreichen.

      Eine Militärkapelle spielt in der Straße und die Fräulein, Bürger- und Honoratiorentöchter, gehen schön geschmückt paarweise dazu auf und ab. Rosmarie ist die erste von ihren Mitkonfirmandinnen, die Hochzeit hat, und für sie, sofern sie nicht schon in alle Welt zerstreut sind, ist dieser Tag noch ein besonderes Ereignis. Sie haben alle das Gefühl, daß der Reigen nun eröffnet ist. Und wer wohl die nächste sein wird? Das kann jetzt erwogen werden. Sie tragen alle auf Vereinbarung hin den kleinen goldenen Anhänger an seiner Kette mit Rosmaries Namenszug darauf, den sie von ihr zur Erinnerung an die gemeinsame Konfirmation erhalten haben.

      Diesmal kommt der Ruinengraf in einem geschlossenen Coupé angefahren. Die Buben, die unter lauter Hurrarufen jeden Wagen bis zur Schloßbrücke verfolgen, sehen ihn gerade noch, und daß er kaum zu erkennen ist, erzählen sie.

      Die Fürstin in ihrem neuesten Pariser Kunstwerk kommt eben die Treppe herunter, ihre rauschende goldbrokatene Schleppe hinter sich dreinziehend, Rosmaries Diamantentiara auf dem Kopfe und so viel siebenfarbige Strahlen werfend, als nur irgend möglich. Sie ist schön heute und imponierend – sie ist ja kaum dreißig Jahre alt. Der Fürst begegnet ihr oben; man sieht ihm an, daß er recht nervös ist. Seine Frau pflegt ihm bei allen offiziellen Anlässen nie das geringste abzunehmen. Und es liegt ihm doch so viel daran, daß er allem gerecht wird, daß sich alles in dem von altersher festgelegten Rahmen bewegt. Daß mit jedem von den hohen Gästen nach Rang und Würden gehandelt wird, und daß auch all den kleinen Leuten, die zu seiner Schloßgerechtigkeit gehören, ihr schönes Teil wird.

      Die bürgerliche Trauung hat schon gestern stattgefunden, sie wollte sich heute nirgends einfügen lassen. Und nun flüstert er eilig:

      »Eben sind Harros Tanten gekommen: es ist durchaus nötig, daß du sie hier unten schon begrüßt, es sind seine einzigen Verwandten. Komm, bitte, gleich mit herunter.«

      »Gott, was ist heute nicht alles unbedingt nötig,« murmelt die Fürstin, »die alten Damen.«

      Aber der Fürst hat schon ihre Hand auf seinen Arm gelegt, und sie gehen zwischen den Rosengewinden, die die Treppen umschlingen und sich im Baldachin über dem Podest treffen, dahin, den beiden feierlichen schwarzatlassenen Stiftsdamen entgegen, denen die Diener gerade die Hüllen abgenommen haben. Die eine zieht noch in größter Seelenruhe ein Paar schwarzwollene Handschuhe aus, die sie für die Fahrt gut genug erachtet hat, und kalkweiße Glacéhandschuhe an.

      Der Fürstin Geschmack sind ältere Damen ohnedies nicht. Unangenehm ist nur, daß die beiden eisgrauen Thorsteinerinnen mit den blaustählernen Augen und den prachtvollen Zähnen hinter welken Lippen so sehr tief auf sie herunter sehen. Hinaufimponieren ist immer so schwer.

      Der Fürst ist von der herzlichsten Liebenswürdigkeit, sie kommt gar nicht an mit ihrer Kühle. Und offenbar sind die Originale in der Thorsteiner Familie mehrfach vertreten. Denn die eine, die die tiefste Stimme hat, die ein weibliches Wesen überhaupt haben kann, sagt zu dem Fürsten:

      »Daß Harro sich so durchtrotzen würde und nun dafür noch eine schöne Prinzessin bekommen soll, das hätte ich nicht gedacht.«

      Und die andere fügte bei: »Es ist eine heidnische Pracht auf dem Thorstein; und wenn man hereinkommt, weiß man nicht, soll es eine Kirche oder ein Museum werden. Und man sieht sich nach einem Opferbecken oder einem Museumsdiener um. Ich möchte wissen, was sein Vater gesagt hätte. Einen Platz für seine vielen Peitschen und Hunde hätte er vergeblich gesucht. Die Prinzessin kann wohl sehr viel Kunst ertragen.«

      Und der immer liebenswürdige Fürst beeilt sich, zu versichern, daß sie das könne.

      Rosmarie steht ganz allein in ihrem alten runden Turmzimmer, dessen Türe nach dem Lindenstamm weit offen steht. Der goldrote Wald leuchtet herüber, die Linde zerstreut ihre Blätter auf die alten Steinfliesen.

      Sie hat schon ihr bräutliches Gewand an, ihren langen Schleier und den grünen Kranz, dessen dunkelgrüne Blätter und weiße Blüten in ihre alte Spange gewunden sind.

      Keine liebende Mutter hat ihr den Kranz auf die Stirne gedrückt und hat die Arme um sie gelegt, daß sie das Mutterherz hätte schlagen hören.

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