Das liebe Zimmer ist ganz unverändert geblieben, wie ihr Schlafzimmer mit dem alten Muschelbett. Es hängen die Bilder und Studien da, die Harro ihr gemalt, da stehen ihre Bücher, in der Ecke ein kleines silbernes Teeservice, das sie einst so beglückt hat. Alles soll ganz so bleiben, wie sie es verläßt, daß sie jederzeit wieder zurückkehren kann in ihr Kinderland. Ihre Augen wandern hin und her in den vertrauten Räumen: die schönsten Stunden, die sie darin verlebt, die gehen ja mit ihr, die verdankt sie ja Harro. Und nun geht sie langsam die Stufen zum Lindenstamm hinunter, ihre weiße Atlasschleppe gleitet über die gelben Blätter, und die goldene Herbstsonne liegt auf ihrem Gewande und dem zarten Märchengebilde ihres Schleiers.
»Lebe wohl, Herzelinde,« flüstert sie in der Linde trockenes Rauschen hinein, und wie sie ihr schönes Haupt erhebt, trennt sich langsam ein großes goldenes Blatt von seinem Zweige, dreht sich ein paarmal in der Luft herum, wie ein großer Falter und sinkt dann auf ihre ausgestreckte Hand herunter. Ein schönes Blatt wie ein goldenes Herz, mit feinen grünen Adern. Sie schiebt das Blatt in das feine Plätzchen, wo sich köstliches Spitzengeriesel an ihren leuchtend weißen Hals schmiegt. Und nun füllen sich ihre Augen doch mit Tränen.
»Leb wohl, Linde, leb wohl, du roter Turm, wie hab ich euch lieb. Ach, vergeßt mich nicht. Und ich komme wieder. Hört ihr's, ich komme wieder.
Leb wohl, Gisela, leb wohl, Schönster. Ihr habt mich ja ganz vergessen, oder denkt ihr, ich brauche euch nicht mehr, weil ich nun ihn habe?«
»Wo er nur ist?« Sie hat ihn noch gar nicht gesehen. Ihr Vater meint, es bringe Unglück, wenn der Bräutigam die Braut im Schleier zuvor sehe. »Als ob mir Harro je Unglück bringen könnte.«
»Rosmarie!« Sie wendet sich. Dort im Schatten des Eingangs steht ihr Vater, und seine dunkeln Augen hängen an ihr, den sie nun verlassen wird, der heute das Licht aus seinem Hause hergeben soll, daß es ganz im tiefen Schatten liegt.
Aber für Gefühle läßt das Zeremoniell keinen Raum. Einen Augenblick kann sie noch ihre Arme um seinen Hals legen und ihre weiße Wange an seinen Kopf schmiegen, »ich danke dir, Vater, ich danke dir von ganzer Seele« flüstern, und dann reicht er ihr den Arm. In seinem Gesicht zuckt es auch, und ein paar schnelle Perlentropfen blitzen neben den vielen Ordenssternen und Kreuzen auf seiner Uniform...
»Rosmarie, zuerst hast du die Tanten zu begrüßen, und dann folge mir nur, wohin ich dich führe.« »Aber lieber Vater, wo ist denn Harro?«
»Hast du denn das vergessen? Du triffst ihn erst in der Kirche. Nimm deine Blumen und deine Handschuhe. – Ach, mein schönes, schönes Kind. – Du darfst nur ein paar Worte mit den Tanten reden, dann kommt sofort der Großherzog. Liebe Rosmarie, aus unserm Herzen gehst du ja nicht.«
Und nun gehen sie in feierlichem Schweigen den Prinzessinnengang hinunter. Durch die von Gobelins verhängte Pforte schlägt ihnen ein leises Summen und zartes metallisches Klingen von Sporen und Ordensketten entgegen.
Und wie sie in die große glänzende Versammlung eintreten, da wird es sofort still. Alle Augen richten sich auf die Braut. Mit leisem Erstaunen namentlich die Damen. Die Herren wissen ja nachher nur, daß sie wunderschön war und keine Toilette, sondern ein Gewand anhatte. Die Augen der Damen bleiben schon an dem Kranze hängen, der nicht ein weißgrünes Blumenornament ist, sondern, wie wenn sie ihn vielleicht selbst gewunden hätte. Ein richtiger Kranz, wie ihn jedes Bauernmädchen aufsetzen könnte, und der wundervolle Schleier mit zwei Griffen darüber gezogen. Aber der Fürstin ist zuzutrauen, daß dies eine allerletzte Feinheit ist.
Rosmarie erhebt ihre sanften Augen zu den dunkeln Tanten, so rührend vertrauend und liebevoll, daß die eine, die längste mit der tiefsten Stimme, sagt, was als Flüstern gelten soll: »Du schöner goldener Engel!«
Neben ihr steht ein alter, weißbärtiger Herzogs, dessen Augen bei ihren Worten aufleuchten:
»Das einzige richtige Wort, Gräfin.«
Der Prinz Robert Schillingsberg flüstert seinem Nachbar, einem alten General, zu:
»Wenn ich der Fürst wäre, für eine so wunderschöne Tochter hätte ich mir den Schwiegersohn auf Europens Thronen gesucht. Die Fürstin sieht ganz mesquin neben ihrer Tochter aus.«
Da ertönen vom Hofe her der Brautchor und zugleich verwehte Orgeltöne und Glocken. Glocken, viele Glocken, vom Berge herab schwingen sich die Töne, schweben aus den Tälern herauf, brechen sich an den Waldbergen drüben und kehren wieder. Die ganze Luft ist voll Glockentönen, sie fluten zu den hohen Fenstern herein, sie klopfen mit ihren starken Wellen an Rosmaries Herz.
Dir klingen sie, die du einst Vaters arme Kleine, das häßliche Entlein warst.
Es bewegt sich der lange glänzende Zug unter den Rosengewinden hin, zwischen deren weißen Blumenhäuptern die alten Mordwaffen blitzen. Stärker und feierlicher werden die Klänge. Sie überschreiten die teppichbelegte Schwelle, und der frische Herbsthauch erfaßt Rosmaries Schleier und weht ihn von den Schläfen hinweg, daß die Goldhaare aufglänzen.
Immer an Vaters Arm geht sie hin. Da fängt ihr Herz an ängstlich zu klopfen: Ja, wo ist denn Harro?
Und die Glocken dröhnen, und die Orgel jubelt, und sind es wirklich Knabenstimmen, die da von der höchsten Höhe der Kapelle kommen, oder sind's Engelchöre?
Oh, wie sich die Wellen der Töne auf Rosmaries Herz legen und es still machen und hinaufreißen, dorthin, wo die ewige Liebe wohnt.
Und nun hat sie Vaters Arm verloren, und Harro steht neben ihr. Ein blasser, ganz veränderter Harro. Der einzige dunkle Mann, unter all diesen glänzenden besternten Herrschaften. Eines Hauptes höher als alles Volk.
Der Herr Stiftsprediger steht vor dem blumengeschmückten Altar und richtet seine tiefliegenden Augen auf seine ehemalige Schülerin. Er hat sie nicht vergessen, er hat es immer bedauert, daß er nicht mehr mit ihr in Berührung kam. Und er weiß, daß sie neben dem Mann ihres Herzens steht. Sonst wäre ihm sein Dienst heute schwer geworden, denn er kennt die feine Seele vor ihm, und er hofft für sie und den Mann, dem sie sich vertraut, daß bei ihnen die Worte seiner Liturgie wahr werden möchten... daß eines das andere in den Himmel bringe.
Aber als Harro mit Rosmarie an den Altar tritt, da durchfährt sie ein leiser Schauer, – kältet das Kreuz so durch die bunte Blumenhülle, auf der sie steht?
Doch dann ist's verweht, und noch nie hat eine Braut den Herrn Stiftsprediger mit so großen, ernsten, sanften Augen angesehen. Und ihr Blick ist so tief, daß Hochwürden mit einem Male fühlt, daß er von seinem Manuskripte abgewichen ist und mit der Seele spricht, die da zu ihm aus den Augen blickt.
Und damit geht auch durch diese so zusammengewürfelte Gesellschaft, die zu einem Fest, zu einer vornehmen Familienfeier gekommen ist und diese Kirchensache eben so mitnimmt, ein Hauch der Andacht. Das ist ein wunderliches Wehen des Geistes, und kein Redner, der es nicht fühlte, wenn seine Wogen an ihn herankommen.
Das seltsame und unbestimmbare Element der Gemeinschaft, das man nicht messen und wägen kann, und das doch so sicher vorhanden ist und seine Ströme aussendet und an all die in ihren Leibern eingesperrten und gefangenen Seelen herankommt und sie bezwingt.
Dann hört Rosmarie die Worte der Einsegnung und erschauert über ihnen, und Harros gute, eisenharte und starke Hand hält ihre Hand, die so weich und zart und schmal ist. Und dann wird für Rosmarie alles in einen goldigen Nebel gehüllt. Sie steht auf einmal wieder im Waffensaal unter den Rosen, und Mama küßt sie spitzig auf die Wangen, СКАЧАТЬ