Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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СКАЧАТЬ der einen roten Rosenkranz trug, beansprucht eine Seite in dem Memorandum, so viel schöne Dinge hatte er an sich. Sagen wir, er habe sie gerade im letzten Augenblick aus ihrem Turme heraufgeholt, so irren wir gewiß nicht.«

      »Ich warte schon lange auf den Glücksmenschen.«

      »Nehmen wir es an, Herr Graf. Aber das Rätsel wird nicht geringer dadurch. Der Abgrund von dem einen zum andern Bild, dem Karren mit der gefesselten Hexe darauf, auf den die Braunecker jedenfalls gewartet haben, bis zu dem Schimmel mit der goldenen Schabrake macht es noch lange nicht deutlich genug, welch ein Abgrund zwischen den beiden Möglichkeiten klafft. Ich glaube nicht, daß Sie mir ganz folgen können, Herr Graf, außer wenn Ihnen die Geschichte jener Zeit auch in ihren Details geläufig wäre.«

      »Sie haben ganz recht, nicht allzuviel Kenntnisse bei mir zu vermuten; ich hielt es sogar für recht einfach.«

      »Herr Graf, der Schwiegervater, der die Tochter zuerst drei Monate einsperrt, dem Gerede der Leute aussetzt, einen Prozeß zuläßt und dann die Hexe ohne jeden ersichtlichen Grund als Tochter mit Ehren empfängt? Reinigen konnte man sich nicht einmal, wenn man die Folter ganz überstanden hatte, und wäre das über sie gekommen, so säße sie auf keinem Schimmel mehr.«

      »Hören Sie auf mit diesen fürchterlichen Dingen, Herr Stiftsprediger. Meine Frau darf das nie erfahren, niemals.«

      »Wie hat sie sich nun aus dem Geschlinge herausgearbeitet? Davon erfahren wir nichts. Wie hat sie es gemacht, daß dieselben Leute, die sie vorher zu steinigen versuchten, nachher sich um die Läublein rissen, über die die Hufe ihres Schimmels geschritten waren! Sie können sich die Macht der alten Herren hier als noch so groß vorstellen, – sie war es auch gerade in jener Zeit zum Bösen und zum Guten; der alte Graf war ein gewaltiger Herr – aber diesen Jubel befehlen, überhaupt diesen Glanz, der auf jenem Feste liegt und noch deutlich in dem Memorandum zu fühlen ist, das ließ sich nicht befehlen. Unmöglich, ganz unmöglich. Aber wir erfahren nicht das mindeste darüber, das Venetianerkleid wissen wir, das andere nicht, der Prozeß wird niedergeschlagen, oder vielmehr er steht plötzlich still wie ein abgelaufenes Uhrwerk, verschiedene Eingaben um Gutachten an die Universitäten, die mein Kollege ausgearbeitet, werden nicht abgesandt, und jedermann, der das Fest mitmachte, scheint es gewußt zu haben, was geschehen ist. Denn in der Leichenrede wagt mein Vorgänger sogar auf die Sache anzuspielen. Er spricht von dem harten Joch, das sie, wie männiglich bekannt, in ihrer Jugend getragen. Dies ist das größte Rätsel. Es gibt aber noch eines. Man hört nun nichts mehr von ihr, als daß sie zum Abendmahl geht. Ich denke, sie wird das Leben einer vornehmen Dame jener Zeit geführt haben. Die Rede rühmt sie als barmherzig und wohltätig und an anderer Stelle noch einmal, daß sie an vielen Sterbebetten stand. Die Braunecker konnten wohl gar nicht mehr ohne sie sterben. Ich kann mir das so gut denken. Nie oft habe ich gedacht, wenn ich einen schweren Gang ging: wenn ich jetzt diese Gräfin Gisela mitnehmen könnte wie mein Vorgänger! Was mag er an ihr gehabt haben. Und nun kommt das zweite Rätsel. Ganz ohne jede Erklärung findet sich in dem dreimal versiegelten und verschnürten Päckchen, das ihren Namen trägt und das erst ich in meiner Leidenschaft nach alten documents humains geöffnet habe – und mir dafür zur Strafe das Herz verbrannt, – es findet sich da ein Brief der Gräfin Gisela an meinen Vorgänger. ›An ihren in Ehrfurcht geliebten, ihren innig geliebten, ihren treuesten Vaters!‹ So redet sie ihn an. Der Brief, ich will ihn nicht zeigen, es ist noch schrecklicher, wenn man auf dies alte Papier mit seinen vielen Tränenspuren, seiner auf und ab gleitenden Handschrift Obacht gibt, der Rand ist ein wenig verbrannt.«

      »Herr Stiftsprediger, sie war wahnsinnig. Ich kenne auch die Handschrift, und in diesem Zustande kenne ich sie auch.«

      »Ich glaube es nicht, Herr Graf. Der Brief trägt das Datum von vierzehn Tagen vor ihrem Tode. Ich will Ihnen den Inhalt abschwächen. Sie ist krank schon lange. Sie nennt ihre Krankheit: ein Hexenleiden. Sie wußte wohl besser, was sie damit sagte, als wir. Sie beschreibt es auch genau, doch das will ich Ihnen erlassen. Und nun fleht sie ihren geliebtesten, treuesten Vater an, er möchte sie noch einmal anhören. Als er bei ihr gewesen, habe sie vor Weinen nicht sagen können, was sie gewollt. Sie erinnert ihn, daß sie auf den Knien vor ihm gelegen auf dem Lindenstamm, daß sie die Steinplatten mit ihren Tränen benetzt habe, daß sie den hölzernen Stuhl, worauf er saß, geküßt habe, weil er ja ihre Hand nie wieder berühren wolle. Sie erkennt ihr Leiden an als Strafe ihrer Sünde. Ihrer großen Sünde, für die sie den Tod erleiden wird, einen Hexentod. Sie unterwirft sich unter das Gericht Gottes, das über ihr ist. Sie fleht ihn an, er möge ihr doch nicht länger den gesegneten Kelch des Herrn Jesu verweigern. Sie macht ihn auf die Folgen aufmerksam, wenn er dabei beharren werde. Sie wird nicht einmal neben den Ihrigen ruhen können, und ein Grab an der Kirchhofsmauer wird ihr werden, ihr ganzes Leben wird zu einem Hohn und verstößt viel treue Herzen, weckt den alten Zorn wieder auf und macht alles zunichte, was sie erstrebt hat.«

      »Himmel, Herr Stiftsprediger, wo ist der Glücksmensch, warum leidet er das? Warum wirft er nicht dem Mann seinen alten rostigen Kirchenschlüssel an den Kopf! Läßt seine Frau auf den Knien liegen vor einem... einem...«

      »Sie suchen nach Worten: vor diesem alten Mann! Er war schon an siebenzig, aber er hat ihr den Wunsch nicht erfüllt. Ich habe die Listen seiner Kommunionen durchgesehen, die Gräfin kommt nicht mehr vor. Vierzehn Tage später starb sie. Dann hält er ihr doch die schöne Rede und begräbt sie mit ihrem Manne. Vielleicht ist sie auf diesen Brief hin wahnsinnig geworden. Krank war sie schon, und es muß ihr gewesen sein, als schließe man die Himmelstür vor ihr zu. Sehr seltsam ist mir noch die Art, wie er über ihr Sterben berichtet. Es war damals Sitte, daß man das sehr ausführlich tat, jedes Wort war ihnen wichtig, wir können uns gar nicht mehr so hineindenken, es schien ihnen in jedem Wort eine Andeutung der letzten Entscheidung zu liegen. Gegen Abend starb die Gräfin, sagt er. Er sagt nicht einmal, sie entschlief. Mit harten, eisigen, dürren Worten: Sie starb gegen Abend.«

      »Immer rätsele ich an diesem Glücksmenschen. Er komponierte seine Jubelpsalmen, während seine Frau neben ihm vergeht ...! Nun, darüber will ich nicht urteilen ... ich male ja auch noch. Aber daß er diesen alten, harten Mann eine solche Macht gewinnen ließ, daß der diese Seele so ungestraft mißhandeln durfte.«

      »Die Gräfin schließt ihren Brief damit, daß sie ihn, auch wenn er gegen sie entscheidet, nie aufhören werde, zu lieben und ihm zu danken und sie verbleibt seine treue, dankbare Tochter Gisela. Es muß also nicht nur Härte von dem Mann gewesen sein. Vielleicht hat er getrauert um seine arme Heilige ... die ihm irgendwie wieder zur Hexe geworden sein muß. Sie spricht doch davon, daß er ihre Hand nicht mehr berühren wolle. Eine Hexe berührte man nicht, man gab ihr sonst Gewalt über sich.«

      »Dies kann ich nun sehr gut begreifen und brauche gar keine Zauberkünste dazu. Natürlich wagte er es nicht, diese Hände zu berühren, diese beseelten Hände, weil er sonst sofort weich geworden wäre und hätte tun müssen, was sie gewollt. Durfte er ihr denn eigentlich das verweigern, Herr Stiftsprediger?«

      »Die Vergebung einer gebeichteten Sünde? Darüber habe ich mich auch gewundert. Sie hat ihm natürlich freiwillig und als ihrem geliebten Vater gebeichtet, sie war ja gar nicht genötigt dazu. Und sie ist bußfertig, erkennt das Leiden als Strafe ihrer Sünden an ... ja, sie verlangt sogar, sie sehnt sich nach Gottes Gericht.«

      »Dann meine ich,« rief Harro, »wozu den Kirchenschlüssel? Das Grab, ach ja ... Waren das harte Menschen.«

      »Ein Rätsel steckt darin, Herr Graf ... Dies ist nun alles, was ich weiß ... Den Brief zu lesen, rate ich Ihnen nicht. Ich habe ihn wieder versiegelt. Die nächsten paar Jahrhunderte mag er wieder ruhen. Und nun entlassen Sie mich. Ich sehe Ihre Durchlaucht morgen.«

      Harro stieg in tiefen Gedanken hinauf und suchte zuerst seinen Freund auf.

      »Hans, dein Freund, der alte Braunecker entpuppt sich als ein seltsamer Mensch.«

      Hans СКАЧАТЬ