»Sieh ihn errötend neben dir sitzen,« rief Harro.
»Ein verspätetes Geburtstagsgeschenk, Rose; die Mühe hat alle Herr Friedrich gehabt.«
»Du, Vater, du... aber sie sagten doch, es sei unmöglich!«
»Eigentlich war es unmöglich, Rose,« sagte Harro, »aber Vater hat es doch möglich gemacht.«
»O Harro, kann man nicht ein wenig, nur ein wenig hinausgehen, ich muß Vater etwas sagen... Ich muß, Harro – – – nur dorthin.«
Der Saal ist so groß, sie gehen alle nur bis zu Harros Leinwand und sind schon außer Hörweite.
Der Fürst flüstert ängstlich: »Errege dich nicht. Rose.«
Sie hebt ihre Arme und legt sie um seinen grauen Kopf. Sie hätte niemand fortzuschicken brauchen, sie spricht kein Wort, sie sieht ihn nur an. Und seine ängstliche Erregtheit weicht von ihm.
»Du bist ruhig, Rose... Du freust dich.«
Und nun sollen sie alle wieder kommen, und Rosmarie spricht fast nichts mehr. Hans Friedrich spielt sanft und leise alles noch einmal durch, was er schon mit ihnen studiert hat. Die Rose sieht so andächtig selig aus, daß Harro plötzlich wieder einen Schrecken bekommt und seine Hand nicht von ihrem Puls lassen kann. Aber der geht heute wunderbar ruhig und stark. Und wie man ihm ansieht, daß er sich auch beruhigt, da freuen sie sich alle mit ihm, und es wird ein so wunderschöner Abend, wie es nur sein kann, wenn die leisen Quellen rauschen und der Hauch, der darüber weht, an alle Herzen stößt und eine Liebe und ein Leid alle die verschiedenen Herzen vereinigt.
Als Harro Rosmarie hinuntergetragen hat, sagt er fast traurig: »Rose, eine solche Freude habe ich dir noch nie machen können.«
»Lieber Harro, die Freuden, die du mir gebracht hast, die vielen Freuden, die haben immer meine Schale bis zum Rande gefüllt. Was kann die Schale dafür, daß sie nicht größer ist? Und was kann sie mehr sein als voll bis zum Rande? Harro, du hast nichts zu fürchten, ich werde mich nicht überfreuen. Daß ich nachher müde sein werde, denkt ihr euch wohl. Du sitzest neben mir und hältst meine Hand. Und nachher will ich niemand danken. Ich will es annehmen wie einen Himmelregen auf durstige Blumen. Und nun will ich mich ausstrecken und ruhen und mich freuen. Harro, freust du dich nicht auch mit mir?«
Er seufzte: »Ich sorge mich immer wieder, Rose.«
»Was kann nur geschehen... ich liege still und höre zu... ich halte deine Hand, und wir sind beide Kinder, und wir stehen auf den Zehen und sehen durch ein Guckloch in den offenen Himmel hinein. Wir tun noch viel anderes. So schön danken und dem Herrn der Welt jauchzen können wir gar nicht wie der Schönste. Aber wir geben ihm unsere Seelen mit, dann trägt er sie auf seinen starten Flügeln mit hinauf. Du hast es ja gehört: wir danken, wir preisen, wir beten an. Das Meer braust vor Freude. Wir sehen den Garten Gottes in den deutschen Landen und freuen uns an dem lieben Reh und den Rosen am Weg, und dabei hören wir schon die Melodie, das Motiv vom Garten Christi... Ach, denk ich, bist du hier so schön und läßt du's uns so lieblich gehn auf dieser armen Erden, was will doch wohl nach dieser Welt dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse werden! Und dann kommen die Ströme von Geigen und Celli und werfen sich die Töne zu wie goldene Bälle und es kommt die Stimme des Mannes und des Weibes: Ich lege dich wie einen Ring an meine Brust. Da kommt das Motiv der Heiligen und das Motiv des Heinz... Ich lege dich wie einen Ring an meine Brust. O du Rose von Saron, du bist lieblicher als alle deine Schwestern. Das ist auch das Lied von unserer Liebe. Es fängt eine einzelne Flöte an... Ein Kinderchor von ferne...: Schönster Herr Jesu, dich will ich lieben, dich will ich ehren, du meiner Seele Freud' und Kron'! Und dann der große Chor: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. – Und nun sehnt sich die Seele nach Ruhe – du wirst es hören, Harro. – Du meinst dann nicht mehr, der Schönste habe nur Freuden gekannt. – So müde wird die Seele, daß der Sopran beginnt: Ich wollt', daß ich daheime war'; den Trost der Welt ich gern entbehr'. Jetzt kehrt das Motiv von Christi Garten wieder und das Motiv des Heinz und der Gisela ... Ein einsames Flötchen klagt immer in den ganz einfachen paar Tönen... Dann kommt der feierliche Chor. Es wird ein neuer Himmel sein und eine neue Erde. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen ... Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt' Gott, ich war' in dir...«
Zweiundfünfzigstes Kapitel.
Das Oratorium
An jenem Herbsttage schien eine freundliche Sonne auf das alte Städtchen und die froh bewegten Menschenscharen, die von allen Seiten in allen möglichen Vehikeln herbeiströmten.
Die alte Stiftskirche mit dem hoch gewölbten gotischen Chor, und dem geschnitzten Gestühl der ehemaligen Stiftsherren war rasch bis auf den letzten Platz gefüllt. Leider konnte man nicht hoffen, die Prinzessin zu sehen, man wußte, sie würde erst ganz zuletzt kommen. In der Versammlung herrschte jene erwartungsvolle Stille, die den letzten Augenblick des Wartens bezeichnet.
Eben hatte man das leise Rollen der Räder vernommen, und das Licht in der alten Herrschaftslaube glühte auf.
Und nun sahen sie alle doch die Prinzessin, weiß und schlank stand sie da und schaute mit freundlichem Lächeln hinüber auf die Orgel und die jugendliche Sängerin. Als müßte sie ihr Mut machen, so lächelte sie.
Dann verschwand sie und die ersten Töne erbrausten durch das ehrwürdige Schiff des Gotteshauses.
»Jauchzet dem Herrn alle Welt, kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!«
Im Schiff der Kirche, die ein sanftes Abendgold erhellte, dämmerte es schon stark. Oben leuchtete noch die Sonne auf dem jugendfrischen Blondhaar der Sängerin. Wie aus einer andern Welt kamen die Klänge in ihren einfachen, schweren Rhythmen, in dem weichen Schmelz der Flöten und den schlichten Hirtenschalmeien, die da ihre Stimmen zum Lobe des Herrn erhoben. Und wie die holden Laute eines jungen Vogels schwebte die Sopranstimme der Sängerin über den Tönen.
Und war da irgend jemand, der diese Musik nicht verstanden hätte? Dem einfachen Mann klang sie wie das Hirtenlied seiner Jugend, der Musikalische empfand die herbsüße Ausdruckskraft der alten Tonsprache.
Das Orgelspiel war mehr nur in Andeutungen gehalten. Hans Friedrich hielt seine volle Seele zurück. Er durfte den Aufstieg des Werkes nicht durch seine hervorbrechende musikalische Leidenschaft vor der Zeit beflügeln.
Die Prinzessin lag so sanft und ruhig in ihrem Stuhle, kaum ein leises Rot auf den Wangen. Es schien, als wäre sie von der Flut der Töne wie von unsichtbaren Schwingen getragen, als strömte von da Kraft und Ruhe in ihre müde Brust. Harros Angst wich einer stillen Freude.
Jetzt erhob der Bariton seine Stimme, in einfachen Kadenzen sang er das Lied von Christi Garten. Das kannten alle, die »ungebildet« waren, die Gebildeten kannten es aber nicht. Wie jauchzte das Reh in der Stimme des Sängers, wie sehnsuchtsvoll klang der Ruf der Nachtigall durch linde Frühlingsnacht.
Es war, als rauschten die alten Wälder draußen, als blühten zum zweitenmal in diesem Jahre die Wiesen.
Und nun steigt schüchtern und lieblich die Stimme der Sängerin empor:
Daß СКАЧАТЬ