»Durchlaucht,« bat er sanft, »erregen Sie sich nicht. Sie haben es getan, Sie sind herübergekommen. Ich weiß ja, wem Sie nachgegangen sind. Und man soll Sie nicht hindern, zu tun, wozu Sie Ihr Herz treibt. Es wird Ihnen auch nicht schaden, viel weniger als diese Erregung darum. Ich werde versuchen, mit dem Herrn Grafen zu reden.«
»Herr Stiftsprediger, Sie vergessen nicht.«
»O nein, Durchlaucht, ich darf ja gar nicht. Aber nehmen Sie Ihrem Manne, Ihrem Vater nicht zu viel von Ihrer Kraft, Ihrer Zeit. Das, was vergangen, von dem dürfen Sie im Glauben annehmen: Er wird meine Sünde nehmen und sie hinter sich werfen ins tiefste Meer. Und jetzt lassen Sie noch Ihre Güte scheinen auf die verlorene Seele, vielleicht retten Sie sie noch. Wenn es irgend möglich, so möchte ich, daß Ihre Güte doch nicht immer mißverstanden bleibt. Wir geben ihr noch einmal die Wahl, Frau Gräfin. Und wenn ich Ihnen einige Ratschläge geben darf.«
Sie streckte ihm ihre Hände entgegen, und er faßt sie sanft und hält sie fest in seinen dünnen, warmen Händen. »Reden Sie nur ganz freundlich von dem Leiden der Frau Fürstin, bleiben Sie nie länger als zehn Minuten, Sie dürfen die Ihrigen nicht berauben, Frau Gräfin, um jener Unglücklichen willen. Daß Sie sich nicht erbittern lassen werden, weiß ich. Sie machen, wann es Ihre Kräfte gestatten, einen einfachen Krankenbesuch und reden gar nichts Aufregendes. So kann man es vielleicht sogar vor dem Herrn Hofrat verantworten. Ihre Nähe wirkt schon, Ihre sanfte Nähe. Wenn Sie müde werden, gehen Sie gleich. Sie muß fühlen, warum Sie kommen, so verhärtet ist kein Mensch. Und nun lassen Sie mich gehen, Frau Gräfin, ich komme wieder, ich darf dem Herrn Grafen seine Zeit auch nicht rauben.«
Er ging und Rosmarie sah ihm nach – so erlöst und dankbar. Wie er hinauskam, sah er, daß der Graf, seinen kleinen Sohn neben sich, auf ihn wartete. Er warf einen blitzschnellen Blick auf seine Uhr und sein Gesicht klärte sich etwas auf.
»Troll dich, Heinz,« sagte er. »sieh dort ist Großvater!«
Er führte ihn in den Ehrensaal, wo die große Wand stand.
»Nein, Herr Graf, ich hoffe, daß die Besuche nicht schaden werden. Frau Gräfin wird Sie über die Art benachrichtigen, wie wir es vereinbart haben. Es ist ja so unendlich schwer zu sagen, was zu verbieten und was zu erlauben ist. Manchmal schadet man auch durch ein Verbot. Sie bringen ein Opfer, Herr Graf, ein großes Opfer.«
»So,« sagte Harro, »ich finde es schön von Ihnen, daß Sie das bemerken.«
Der Herr Stiftsprediger lächelte. »Sie erwarten nicht sehr viel von mir, Herr Graf, und ich weiß auch, daß ich etwas sehr Schwieriges zu entscheiden habe. Ich meine, Herr Graf, einen Versuch sollte man machen. Die Frau Gräfin will etwas so unsäglich Schönes, so großartig Gütiges tun, und sie wird es so einfach tun, als wäre gar nichts dabei... ich meine, warum sollte man es nicht wagen!«
»Nun, Herr Stiftsprediger, Sie gebrauchen sehr große Worte. Ich kann es gar nicht so außerordentlich finden, wenn meine Frau eine kleine Spanne Zeit opfert und schlechte Laune über sich ergehen läßt.«
»Sehr schlechte Laune, Herr Graf.«
»Gewiß, ja, Liebenswürdigkeit in diesem Fall ist zu viel verlangt, wir wären es auch nicht.«
Der Herr Stiftsprediger verneigte sich mit ruhiger Würde und ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus. Harro sah ihm ärgerlich nach... und brummte: »Ich weiß selbst, wie schön sie ist und brauche es mir nicht kirchlich approbieren zu lassen,« und ging mit langen Schritten.
»Nun, Rose, wieder einmal gesiegt!« –
Sie streckte ihm die Arme entgegen, sie drückte seine Hand an ihre Brust: »Fühl, wie es ruhig geworden ist.«
Er sah in ihre Augen und seine Stirne wurde kraus. »Was hast du geredet, warum kann der fremde Mann dich trösten und ich kann es nicht? Was hast du gesprochen?«
»Ich sprach von Mama, er gab mir die allerbesten Ratschläge, wie ich es machen sollte.« Sie wiederholte ihm jedes Wort.
»Das ist vernünftig,« mußte er zugeben. Dann bekannte er: »Ich habe mich übrigens rüpelhaft gegen deinen Heiligen benommen, es drückt mich doch. Aber es reizt mich jeder, der etwas von dir weiß oder zu wissen vorgibt, wobei ich mich vor der Tür befinde. Rose, ist es schön von dir, daß du deinen Mann antichambrieren läßt, wenn du geistlich behandelt wirst?«
»Lieber Harro, hast du wirklich Grund, daß du eifersüchtig bist? Gebe ich dir zu wenig? Lasse ich dich vor Türen stehen, wann es um meine und nicht um anderer Menschen Sachen geht?«
»Rose, du hast mich diesmal besiegt. Aber siehst du, fürs Antichambrieren bin ich nicht geboren und lerne es nie. Ich tue es stets nur als gereizter Tiger. Willst du dich wieder mit Stiftspredigern einschließen?«
»Nein, Harro, nie wieder.«
Am Nachmittag, nachdem ihr Besuch zuvor angemeldet war, trug Harro seine Rose auf der neuen schönen Tragbahre hinauf. Nur mit Märt. »Ein Lakai kommt nicht an dich, Rose,« versicherte er. Die kurze Strecke von der Treppe bis zu dem bequemen Stuhl, der für sie in der Fürstin Zimmer gerichtet war, konnte sie ja gut gehen.
So betraten die beiden hohen Gestalten miteinander das Zimmer. Harro ging wie immer hinter ihr, und sie stützt ihren Arm auf den seinigen wie auf eine Sessellehne. Es sah sehr liebevoll und fast zärtlich aus, obgleich ihre Haltung ganz korrekt war. Die Fürstin erhob sich nicht von ihrem Stuhl. Sie deutete nur auf den Sessel. Rose zuckte bei ihrem Anblick zusammen, auch Harro war so ergriffen, daß er sich über ihre abgezehrte Hand beugte und sie küßte. Dann versorgte er seine Frau in dem Stuhl und stellte sich dahinter auf. Seine Augen blieben immer wieder an der Fürstin haften, dem schmal und scharf, aber nicht unschöner gewordenen Gesicht, den großen brennenden braunen Augen. Sie sah viel vornehmer als früher aus in ihrem einfachen schwarzseidenen Kleide, das immer noch einiges Raffinement verriet.
Rosmaries Blick hatte sie vermieden. Nun sahen sich die Frauen einen Augenblick an, und wieder hatte Harro das Gefühl von einem heimlichen Duell. Nur daß diesmal die Waffen ungleich schienen. Rosmarie senkte ihr schönes Haupt und der Fürstin Augen flackerten über sie hinweg. Die Rose ist irgendwie im Nachteil, denkt er.
Ihre Unterhaltung bewegte sich ganz in konventionellen Bahnen, die Fürstin erzählte von ihren Nerven und den erfolglosen Kuren, die sie schon durchgemacht hatte. Rosmaries Krankheit erwähnte sie nicht. Dann berührte er Rosmaries Schulter, und sie sagte: »Mama, wenn du erlaubst, komme ich morgen wieder.«
»Sehr gütig von dir, Rosmarie; wenn ich dich nicht brauchen kann, werde ich mir eben erlauben, dich nicht zu empfangen.«
»Vielleicht findet sich doch eine Zeit, wo es dir paßt, Mama.«
Harro will etwas sagen, verschluckt es aber gerade noch. Rosmarie erhebt sich mit seiner Hilfe und streckt eine sehr weiße bebende Hand nach ihrer Mutter aus, aber die nimmt sie nicht und sagt mit eisiger Schärfe: »Für Heuchelei ist es zu spät am Tage, Rosmarie!«
Harro fühlt, wie Rosmarie zusammenzuckt, als ob sie die Peitsche bekommen hätte, und er führt sie schnell hinaus. Er bringt sie in den СКАЧАТЬ