Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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СКАЧАТЬ ich denke vierzigtausend Mark, Harro ... Aber dann führten wir natürlich nicht nur einige Chöre auf, wenn wir schon einmal die Leute hätten, sondern das Ganze. Märchenhaft, traumhaft, tausendundeinenachthaft wäre es, Harro! Sag, wo liegt der alte Braunecker wohl begraben?«

      »Nun natürlich in der Gruft in der Kirche... Wo soll er sonst liegen?«

      »Nun, denk einmal, Harro, wenn ihm, der nie einen Ton von seiner eigenen Musik gehört hat, in die er sein ganzes Feuer, seine Liebe und seinen Schmerz versenkt hat, nun nach zweihundert Jahren sein Lebenswerk über sein Grab klingt! Ich glaube an die göttliche Gerechtigkeit, Harro, und ich nehme an, er hört es. Weißt du, was tote, eingesargte Musik ist. Die nie erlöst wird aus ihrer Papiergruft?«

      »Vielleicht. Mein schönstes Bild sieht auch kein Mensch.«

      »Nein, Harro, du weißt es doch nicht. Du hast dein Bild gemalt. Du hast es vor dir, du hast alle Freuden und alle Leiden des Künstlers daran genossen. Dein Bild steht da. Dieser arme Künstler aber hat sein eigenes Werk nie zum Leben bringen können. Seine frohe, starke, sonnige Seele hat er da eingesargt, und nun soll die auf einmal zum Leben kommen. Sie soll jubeln, erheben, fortreißen, auf ihren Flügeln die Menschenseelen hinauftragen zu dem Ewigen. Und wie schön wäre es, welch ein Fest der Seele, diese Musik ohne jeden irdischen Beigeschmack genießen zu dürfen. In der Landkirche, eine andächtige Gemeinde unten im Schiff... Lieber Harro, ich muß doch den Mann kennen, mit dem ich mich seit einem halben Jahre immerfort beschäftige. So hat er es sich gedacht. Einen Konzertsaal, einen modernen, mit der Berufskritik und dem obligaten Konzertpöbel –, du kennst ja die Sache nicht, Harro. Es ist zum Beispiel auf Mitwirkung einer Gemeinde gerechnet. Gerade die schönste Stelle ist die, wo die Gemeinde ein altbekanntes Kirchenlied singt und drüber allerdings diese wunderbare Stimme der Sängerin schwebt. Es ist ihr zugetraut, daß sie das Orchester, die Orgel an einigen Stellen, und die Gemeinde und den Chor beherrscht...«

      Der Fürst berührte seine Schulter, er war unbemerkt wieder hereingekommen... Er hatte einen Papierstreifen in der Hand, den er ihm vor die Augen hielt. Eine Zahl stand darauf.

      »Würde das genügen?«

      Hans Friedrich wurde dunkelrot. »Es würde reichlich genügen. Und Durchlaucht, aber dann das ganze Chorwerk.«

      »Gewiß... Gewiß... Aber jetzt noch nicht vor Rosmarie davon reden. Es soll mein Geburtstagsgeschenk für sie sein. Still, Harro, er ist ja schon gewesen, aber ich durfte ja nur die paar Kleinigkeiten schenken, ihr waret zu streng mit mir. Und da habe ich mir gleich vorgenommen, daß ich mich dafür schadlos halte. Was willst du, Harro? Einige Pariser Toiletten, noch ein zweites Auto..,« Er zuckte die Achseln und ging wieder ins Nebenzimmer.

      Der Diener räumte geräuschlos ab. Harro blieb sitzen, eine finstere Wolke auf der Stirn. Als sie allein waren, sagte der Künstler: »Harro, es ist dir ja nicht recht.«

      Harro stützte seinen Kopf auf seine Hände und starrte vor sich hin... »Eigentlich kann ja mein Schwiegervater seiner Tochter gar nicht ein solches Geburtstagsgeschenk geben. Für einen amerikanischen Schweinezüchter oder einen unserer großen Fabrikherren wäre es wohl im Stil, aber für einen deutschen Fürsten doch nicht, an dem so viele alte Verpflichtungen hängen, daß ein Uneingeweihter das gar nicht begreift... Natürlich gönne ich meiner Frau jede Freude... namentlich wenn sie die auch genießen kann. Denn sonst gibt's ja nur Herzweh davon... Aber das würgt mich... eine solche Gabe gibt man eben einmal... und daß sie alle damit rechnen.« Er stand auf und stürmte auf die Veranda hinaus.

      Halb zögernd folgte ihm sein Freund... aber der schien sein Kommen erwartet zu haben. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Verstehst du, Hans, wie mich das würgen muß... Wie sie damit rechnen, daß es das letztemal ist.«

      Hans Friedrich zuckte zusammen: »Nein, Harro... nein!«

      Ein wunderbarer Sternenhimmel glänzte über ihnen, wie eine dunkle Masse lag der Wald da, im Tal zogen weiße Nebelfrauen, und nur ein Ungewisses Blinken des Flusses drang herauf. Eine leuchtende Sternschnuppe zog am Himmel ihre Bahn...

      Harro sagte leise: »Hänschen, ich weiß, es sieht jetzt bei dem alten Herrn wie kleinliche Bedenklichkeiten aus oder als ob ich um den Braunecker Beutel besorgt sei..., wahrend er sich gar nicht genug tun kann mit seiner Liebe. Ich bin jetzt sehr schwer zu haben; du wirst manches mit mir ausstehen. Ich bin sehr froh, daß du da bist... aber mache dich gefaßt... Daß ich meiner Rose gegenüber so viel als möglich den guten Mann mache, ist schon alles, was ich in dieser Zeit aufbringen kann. Ich gehe durch ein Chaos, ganz abgesehen von meinem Kummer. Sag einmal, du hast eben einige Worte gesagt, die sich mit deinem früheren Freidenkertum doch sonderbar vertrugen.«

      »Mein Freidenkertum, wenn du es so nennen willst, Harro, war mehr ein künstliches Berliner Gewächs. Mit meiner eigenen Seele vertrug es sich herzlich schlecht. Die weinte manchmal wie ein Kind in mir und konnte durch nichts geschweigt werden. Nun habe ich aufgehört, mich selbst zu mißhandeln, und habe meinem Kopfe verboten, die arme Psyche länger zu quälen und darben zu lassen, und seither befinde ich mich in so erheblich gebesserten inneren Verhältnissen, daß ich mir als wahrer Krösus vorkomme.«

      »Also ein sacrificium intellectus, Hans?«

      »Selbst das kann ich gar nicht finden... Denk an den alten Heinz Brauneck mit seiner Musik. Sein ganzes Leben ein einziger großer Unsinn, eine große Kraft vergeudet, verklungen. Ein Stück von einem Bogen. Auch mein Kopf verlangt dringend einen Kreis. Den kolossalen Unsinn, den das Weltgetriebe ohne den Ausblick in eine Ewigkeit darstellt, erträgt auch mein Verstand nicht mehr. Als Künstler bin ich ja in der glücklichen Lage, mich nicht mit Dogmen abgeben zu müssen. Auch meine Kunst ist arm, wenn sie nur diesseitig ist. Sie muß ein jenseitiges Ohr annehmen. Sie ist mir die Sprache der Seele zu der Gottheit. Denk an den alten Bach. Denk an die Wirkungen, die seine Musik auf die verschiedensten Menschen ausübt. An seine Anbetung, seinen Dank, seine Trauer, seinen im Weh um das Kind der Welt gelösten Schmerz. Ja, was machst du aus ihm, wenn du das alles beschneidest? Einen Narren und Phantasten und aus seiner ganzen Arbeit ein Traumspiel. Der Heinz Brauneck war auch solch ein Phantast. Sein ganzes Denken ist jenseitig. Er komponiert weiter, obgleich er für sein ganzes Werk wohl nur die Sängerin und den Sänger gehabt hat. Aber er verlangt zwei Harfen, Orgel, großen Chor und zwar wohlgemerkt, nicht etwa Kirchenchöre oder die scheußlichen Kastraten, wie es sich Bach noch gefallen lassen mußte. Auch eine Sängerin in einer Kirche wäre im siebzehnten Jahrhundert einfach gesteinigt worden. Wir ertrügen noch viel leichter einen weiblichen Prediger. Aber der Mann komponiert ruhig weiter, gibt sein ganzes Herz her, und seine Frau, die Heilige, sie glaubte so innig an ihn und sein Werk, daß sie die Riesenmühe der Arbeit nicht scheut und aus seinen Notizen das Werk herstellt. Von seinen Notizen sind einige darunter. Sie geben einen Begriff von der Arbeit, die die Frau geleistet hat. An musikalischem Verständnis ist sie ihm gleich gewesen, an Geduld war sie ihm reichlich über. Man sieht, was eine Frau an genialem Scharfsinn der Liebe leisten kann. So etwas bringt eine Frau nur mit dem mächtigsten Agens fertig. Wer weiß übrigens, wie weit ihr Anteil geht? An einigen Stellen heißt die Korrektur einfach: ›Diesen Satz hat die Heilige zu verantworten...‹ oder ähnlich. Doch das nebenbei, Harro. Verzeih, daß ich wieder auf mein Thema kam. Der Fürst hat mir Öl in mein Feuer gegossen!«

      »Red' nur, Hänschen, du tust mir wohl; du kannst dich noch freuen! Mir ist alles zergangen, ich habe nur noch traurige Sandkörner in den Händen, die ich zerreibe.«

      Er setzte sich auf die steinerne Brüstung, und der kleinere Freund stand vor ihm in Augenhöhe.

      »Du bist in großer Sorge, Harro,« flüsterte er.

      »Das kann man schon keine Sorge mehr nennen, das sieht mehr wie eine Gewißheit aus.«

      »O Harro. Nein...«

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