»Ich bin ganz überwältigt von deinen Enthüllungen, die Rosmarie wird an deinen Lippen hängen, ich könnte dich darum beneiden. Und dann ein Mann, der seine eigene Frau eine Heilige nennt – nein, weißt du, ich traue ihr sehr viel zu, und das Wort, das man sonst nicht gerade ernst zu nehmen braucht, gewinnt dadurch Interesse, weil es doch vielleicht meine Diagnose ihrer Handschrift bestätigt.«
»Er nimmt das Wort ernst, Harro! Bitterernst, meint man manchmal. Er nennt sie manchmal ›grausame Heilige‹! An Stellen, wo es klingt wie eine Klage...«
»Grausam... Du, das Wort müßt ich mir von meiner Schreiberin verbitten...«
»Vielleicht nicht gegen andere, gegen sich selbst scheint sie es gewesen zu sein. Ihr eigener Mann, der sie doch jedenfalls kennen muß, der wirft es ihr vor. All diese Ausrufe und Bemerkungen sind übrigens so intim, daß ich mir manchmal unbehaglich vorgekommen bin – wie es einem zumute ist, wenn man, ohne es zu wollen, ein intimes Gespräch mit anhören muß. Sie müssen im Leben nicht daran gedacht haben, daß diese Dinge je in andere Hände kämen.«
»Nein, es muß auch nicht leicht sein, der Mann einer heiligen Frau zu sein... Ich denke mir, man steht da ewig vor verschlossenen Türen, hinter denen die Frau ihre Andacht hält. Hoffentlich muß die Rosmarie umdichten. Es haben sich wunderlicherweise sehr viele kleine Einzelheiten ihrer Träume nachher bestätigt. Einen Fall habe ich selbst erlebt. Ich erzählte dir vom blauen Männlein. Unzählige sind aber dazu gekommen. Mit jeder neuen Bestätigung bekommt, wie mir scheint, der Schatten, der Dämon mehr Blut zu trinken und wird dadurch, ja wie soll ich sagen, gegenständlicher. Früher, als Kind, hat meine Frau Zustände gehabt, die manche für Visionen gehalten haben ... Nun bei ihrer Schwäche habe ich Angst, das könnte sich wiederholen... Also nun Hans, nimm dich zusammen und vergiß nicht, was ich dir sage.
Wenn du in deinen Erzählungen an einen Punkt kommst, den ich für gefährlich halte, so werde ich dir ein Zeichen geben.«
»Lieber Harro, drücke dich sehr deutlich aus! Sonst werde ich jede Bewegung von dir für ein Zeichen halten. Kannst du nicht ein Motiv pfeifen, etwa den ersten Takt aus dem C-Moll-Quartett von Brahms?«
»Himmel, Hänschen, willst du nicht lieber meine Gäule kutschieren?«
»Ach, ich vergaß,« sagte Hans Friedrich, »es würde sich ja auch niemals schicken, vor einer Prinzessin zu pfeifen.«
»Motive vielleicht schon. Aber das kann ich nicht, Hans, ich werde taktieren. Einen Vierteltakt, und wir bleiben im Stil, was immer eine Beruhigung ist.«
»Der wunderschöne Schloßhof!« rief Hans Friedrich.
Eine kleine Gruppe stand zu ihrem Empfang da. Der Fürst, seinen Enkel an der Hand, und die alte Gräfin. Für Hans Friedrich fast überwältigend. Der kleine Heinz war so vertieft in den Anblick der Gäule, daß er von dem Herrn nur sehr geringe Notiz nahm. Die junge Gräfin war nicht sichtbar... Der schöne, nickende Gänseblumenbusch wurde zu ihr getragen und mit allem Gras und Krautwert dazwischen in einen großen kupfernen Weinkühler gesetzt, so daß er ein Eckchen Sommerland in das Zimmer trug.
Der Fürst blieb zum Essen da, das sehr viel förmlicher war als Hans Friedrich von früher her im Gedächtnis hatte. Es servierte auch ein Diener, und der Platz der Hausfrau war leer. Der Fürst interessierte sich sehr für das Chorwerk und die Möglichkeit, es aufzuführen.
Hans Friedrich, der seine Schüchternheit sofort verlor, wenn er in seinem eigenen Sattel saß, erläuterte ihm, daß er schon mit dem Dirigenten des größten Gesangvereins, bei dem er Einfluß hatte, gesprochen, und daß sich jedenfalls im nächsten Winter ein oder das andere Chorstück aufführen ließe. Die große Schwierigkeit, und die sei wohl unüberwindlich, liege aber in den Einzelstimmen. Man könne nicht sagen, es sei eine Sopranpartie, denn diesem Sopran werden auch Altlagen zugemutet. Die Partie verlange einen ganz ungewöhnlichen Umfang. Auch unter den großen Sängerinnen wüßte er keine, deren Stimme einen so großen Umfang hätte. Das Seltsame sei dagegen, daß, während sonst die alten Meister in Tenören schwelgten, die man bei der jetzigen Tenornot kaum aufzubringen vermöge, die männliche Hauptpartie nur in angenehmer, umfangreicher Baritonlage gehalten sei.
Der Fürst sagte: »Wie schade. Ich hoffte, meiner Tochter die Freude machen zu können, daß sie einmal etwas von dem Werk, für das sie sich nun einmal interessiert, zu hören bekommt. Wenn es sich nur um Chöre handelte, so habe ich neulich gehört, daß ein großer Chor im Sommer eine Kunstreise mache. Ich fürchte, meine Tochter wird noch einige Zeit nicht kräftig genug sein, reisen zu können. Wenn wir nun einen Chor nach Brauneck bekommen könnten. Sie studierten die Sache mit ein, eine sehr schöne neue Orgel haben wir ja. Da könnte meine Tochter doch die Freude haben.«
»Lieber Vater,« unterbrach Harro, »du kannst doch nicht einen ganzen Chor nach Brauneck kommen lassen! Mit Orchestern dazu. Wo bringst du die Leute denn alle unter?« »Dies laß meine Sorge sein, Harro,« antwortete der Fürst.
»Dies wäre ja auch nur das mindeste, aber du mußt bedenken, daß eine solche Sache auf einen bestimmten Tag festgelegt werden muß. Und Rosmaries Befinden ist so wechselnd, daß es eine Aufregung wäre, ob sie nun gerade dann kräftig genug wäre, die Fahrt nach Brauneck zu unternehmen und noch den Aufenthalt in der Kirche auszuhalten.«
»Nun, Harro, du darfst mir zutrauen, daß ich auch das bedenke. Rosmarie kommt einige Tage vorher nach Brauneck. Sie hat mir ja ohnedies einen Besuch versprochen. Und wenn sie dann einmal da ist, wollen wir die Zeit auch nicht so knapp bemessen. Innerhalb drei Tagen wird sich doch eine Zeit finden.«
»Entschuldige, Vater, ich weiß doch nicht, ob du dir diese ganze Riesensache klar gemacht hast. Hans, was kann denn das ungefähr kosten...«
Hans Friedrich senkte seinen Kopf auf den Teller, rückte seine Birnen und das Obstmesser und die Krawatte und sein Glas hin und her und sagte dann: »Ohne Solisten, Harro?«
Der Fürst lächelte und reichte ihm sein Obstmesser und sein Weinglas hin: »Addieren Sie den Sopran und den Bariton auch noch dazu.«
Der Künstler hob den Kopf und sagte: »Durchlaucht, das kostet ein Vermögen.«
Im Nebenzimmer war ein Geräusch entstanden, die alte Dame erhob sich und ging hinein... Harro zuckte die Achseln.
»Es ist doch eine sehr unsichere Sache, und man weiß nicht, ob es Rosmarie nicht mehr aufregt.«
Der Fürst erhob sich nun auch und ging ebenfalls ins Nebenzimmer... Harro blieb sitzen und Hans Friedrich auch.
»Hans, dies ist doch eine unmögliche Geschichte,« flüsterte Harro. »Mein Schwiegervater, sonst ein äußerst vorsichtiger alter Herr, sieht aus, als wollte er sich wirklich in das Abenteuer stürzen. Denk an all die Menschen in dem kleinen Brauneck.«
»Nun, man könnte hohe Eintrittspreise machen, aber freilich, das wäre nur ein Trinkgeld. Wie viel Menschen faßt denn die Kirche?«
»Oh, es mögen achthundert sein. Und glaube nicht, daß die Braunecker etwas zu zahlen gedenken. Fällt ihnen nicht ein. Was vom Schloß ausgeht, das müssen sie umsonst СКАЧАТЬ