In seiner tiefsten Seele denkt der Professor: Es wird vielleicht das alles nicht nötig sein. Sie kann ja so gut mit Schießwaffen umgehen, vielleicht richtet sie sich selbst.
»Schwester Johanna,« sagte er, »bringe ich Ihnen noch vierzehn Tage zum Opfer.«
Harro wundert sich sehr: »Ja, in vierzehn Tagen sollte meine Frau schon wieder keine eigentliche Pflege mehr brauchen?«
»Ich hoffe es. Es kommt natürlich alles auf den weiteren Verlauf an. Ihre Frau ist doch ganz gesund gewesen zweiundzwanzig Jahre lang. Eine Schonzeit braucht sie natürlich. Sagen wir den Sommer über. Im Herbst erwarte ich Sie mit der Frau Gräfin in Würzburg. Dann hoffe ich, daß eine definitive Freisprechung erfolgt.«
Harro atmet tief auf. »Das ist so schön, daß ich's beinahe nicht glauben kann.«
»Ich sehe nicht ein, warum nicht ... Die Fürstin wird länger mit der Sache zu tun haben, viel länger.«
Sie gehen noch durch das Atelier, die beiden Herren ... dann sagt Harro:
»Herr Professor, gibt es gar nichts, womit ich Ihnen eine Freude machen könnte? Es ist mir ein so großes Bedürfnis. Von meinen angefangenen Sachen vielleicht. Die ich vollenden könnte. Eine verhängte Leinwand steht da. Von heute morgen ...«
Etwas zögernd deckt Harro auf. Es ist Rosmaries goldenes Haupt. Weiß und müde liegt sie da, auf ihrer Stirne das geheimnisvolle Licht, die Augen halb offen und darunter hervor den schönsten Liebesblick. Harro hatte sich nichts erspart, nicht die bläulichen Schatten der Schläfe, nicht die eigentümlich weißen Linien um Nase und Mund. Die hoffnungsvollen Worte des Herrn Professors paßten sehr wenig zu der Skizze.
Der Herr Professor schwieg, und Harro schwieg auch, dann deckte er sorgsam wieder zu. Der Professor sagte endlich:
»Warten Sie ein paar Tage, Herr Graf, nur ein paar Tage, und schicken Sie mir dann eine Skizze. Am nächsten Sonntag vielleicht, und sehen Sie, ob das Bild dann nicht neben dieses gehalten Ihnen schon eine Belohnung Ihrer Mühe ist. Und mich werden Sie sehr verpflichten. – Und noch eins! Sie werden Ihre Frau nur in Gegenwart des Herrn Assistenzarztes und der Schwester Johanna sprechen. Ich meine, wenn wir Ihnen so Schönes versprechen, dann können Sie auch noch die paar Tage daran geben.«
Harro brauste auf. »Ich habe immer wohltätig auf sie gewirkt, nie aufregend.«
»Ich muß doch darauf beharren,« sagte der Professor, »es ist Ihr Interesse.«
Gleich darauf surrte das Auto der Fürstin, in dem sie nie mehr fahren würde, mit dem Professor davon.
Harro fand, daß die Instruktionen des Herrn Professors sehr streng waren und daß die beiden Wachthabenden so gänzlich unter dem eisernen Willen ihres Chefs standen, daß er fast kein Wort mit seiner Rosmarie allein wechseln konnte. Sie fragte ihn nach der Fürstin. Als sie hörte, daß sie krank sei und eine Kur machen müsse, sagte sie nur:
»Ich habe es Mama angesehen. Darum sagte ich: Du tust mir leid.«
Der Fürst kam jeden Nachmittag, und mit ihm wurde zu Harros großem Schmerz viel liberaler verfahren. Er durfte eine Viertelstunde lang neben Rosmaries Bett sitzen und sie unterhalten. Harro durfte sich nicht setzen. Er mußte stehen bleiben, den Herrn Assistenzarzt neben sich, die Schwester Johanna an der offenen Tür des Nebenzimmers. Und Rosmaries Augen sahen ihm traurig nach, wenn er gehen mußte. Und so viel hatte er zu bedenken und mit sich auszumachen, wozu er so notwendig Rosmarie hätte haben sollen. Die Lösung der Geheimnisse und Rätsel, die ihn bestürmen, schien sie in ihrer schmalen blassen Hand zu halten. Manchmal wollte ihn die Ungeduld ob den eifrigen Wächtern fast zerreißen.
Der kleine Heinz wurde jeden Tag herrischer und gewalttätiger, man merkte es ihm an, daß er die gute Babette tyrannisieren lernte. Wenn er den Willen nicht gleich bekam, warf er sich auf den Rücken und schrie sich blau. Und das hörte die arme Mutter, denn seine Stimme war kräftig, und es regte sie auf, darum mußte es vermieden werden. Man sah sich zu allen möglichen Konzessionen genötigt.
Neununddreißigstes Kapitel.
Der Märt
Märt stapfte finster und brütend herum. Den Festsaal wieder instand zu setzen, hatte er ums Leben niemand anderem überlassen. Harro mußte ihn machen lassen. Er verlangte, daß man es ihn zur Nachtzeit tun lasse, und daß ihm niemand dabei begegne. Dann standen die Fenster oben wieder eines Morgens weit offen und der Sommerwind spielte mit den seidenen Vorhängen.
Im Morgengrauen war ein Förster dem Thorsteiner Märt begegnet, wie er von der Römerwiese kam, verstört und befleckt, mit einem Spaten und einem Eimer in der Hand. Am Morgen war er wieder bei seiner Arbeit, grimmig und finster. Am Abend, als er an der Stalltüre lehnte, kam sein Herr auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:
»Die Frau Gräfin läßt dich grüßen, Märt.«
Märt brummte etwas Unverständliches.
»Freut's dich nicht, Märt? Wir werden sie bald miteinander auf die Terrasse tragen.«
Märt hob seine trüben Augen.
»Mit dem Herrn Grafen sprechen möcht ich.«
»Na, Märt, ich steh doch vor dir.«
Aber er deutet auf den Turm dort. Harro steigt mit ihm hinauf in das kleine Zimmer, in dem ihm das Wunderbarste geschehen.
»Herr Graf, ich hab's getan.«
»Ja, im Festsaal... ich danke dir.«
Aber er schüttelt. »Nein, das andere...«
»Märt, was willst du...«
»Das Blut und das blutige Zeug... auf der Römerwiese hab' ich's begraben. Da schluckt's die Erde. Die muß es schlucken, das Blut. Daß es hinunterläuft zu den Unterirdischen... daß sie davon trinken und anschwellen und unter dem Boden dahinlaufen, immer weiter und weiter, bis sie den finden, der es getan hat. Und ein Vaterunser dazu gebetet hab' ich auch. Vergib uns unsere Schuld.« Märts überwachte Augen glühen aus seinem grotesken Kopf, jedes einzelne Haar sträubt sich und seine hornigen Riesenhände schlagen auf den Tisch, der davon zittert.
»Wie wir vergeben, hab' ich ausgelassen.«
Harro schüttelt und würgt es... etwas Unbekanntes, wie wenn wieder eine Hand nach ihm griffe.
»Was soll das, Märt? Warum muß ich das hören, du marterst mich.«
Aber der Märt redet weiter. »Der Herr Graf hat es gehört .... Sie gehen unter dem Boden, überall ist Boden, überall können sie hin .... Und dann klopfen sie an unter den Sohlen. Von dem, der das Blut vergossen hat. Und dann zuckt es ihm in den Füßen. Er muß laufen.« Der entsetzliche, der rasende Haß in seinem Gesicht. »Laufen muß er Tag und Nacht.« Seine Faust kracht auf dem Tisch. »Und wenn er ruhen will, sie СКАЧАТЬ