Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 128

СКАЧАТЬ da kam die Dame plötzlich an ihm vorüber. Er grüßte, wie man im Wald auf engem Wege eine Dame grüßt. Sie dankte ihm nicht, sie sah ihm starr ins Gesicht, als sehe sie ihn nicht. Sie war jung und schön, in elegant einfachem Jagdhabit, und ihr Gesicht war wie eine Maske, aus der große starre Augen brannten. Der Jägerbursche hinten grüßte höflich, und es fiel ihm auf, daß das junge, sonnenbraune Gesicht fahl war und die Augen ganz verstört blickten. Sie bogen in einen Seitenweg ein und waren fast sofort verschwunden.

      Er eilte nun zu dem Wagen. Der Kutscher schien ihn etwas besorgt zu erwarten. Er fragte:

      »Haben Sie nicht eine Dame vorübergehen sehen? Wer war es wohl?«

      »Es war ihre Durchlaucht, die Frau Fürstin.«

      »Aber das ist doch nicht die Mutter der Gräfin Thorstein?«

      Er hatte den Fürsten für einen Witmann gehalten, denn die Mutter wäre wohl bei ihrem Kinde gewesen. »Die Stiefmutter, Herr Professor.«

      »Ach so.« Er setzte sich in den Wagen, der schnell mit ihm davonrollte. Also die Stiefmutter. Und sie hatte auch den Platz aufgesucht, wo ihre Tochter verunglückt war. Und sie hatte darüber geknallt. Eine seltsame Gedächtnisfeier. Das verstörte Gesicht des Burschen fiel ihm ein.

      Und nun war's, wie wenn sich in seinem Kopfe blitzschnell eine geheimnisvolle Rolle abwickle, in der sein Gedächtnis fast ohne sein Wissen Worte eingegraben ... »Schieß nicht, Mama, schieß um Gottes willen nicht. Sie kommt ja zurück, die Kugel. Auf dich kommt sie zurück ...« Es war ihm, als führe ihm ein eiskalter Hauch über die Stirne ... Unmöglich, die Gräfin konnte unmöglich gesehen haben, wer schoß. Die Schießstände waren ja so kunstvoll verborgen.

      Da fragte er den Kutscher: »War es ein Jagdunfall, bei dem die Gräfin verunglückt ist?«

      Der Kutscher erzählte ihm von dem entsprungenen Zuchthäusler und dem Jagdgewehr. Er fügte aber hinzu: »Der Kerl kann es gewesen sein, er kann es aber auch nicht gewesen sein. Er hätte doch die Herrschaften kommen sehen müssen, da wäre es immer noch Zeit gewesen, den Schuß zurückzuhalten. Aber die Leute seien wie toll auf den Menschen. Die Kerls, die hie und da einmal eine zerlegbare Büchse unter den Rock steckten und sich Ruß übers Gesicht schmierten, die schössen alle mindestens ebensogut wie die Jäger. Vielleicht noch besser. Bei einem Zuchthäusler wäre so ein Schuß ja vielleicht möglich, aber was hätte ihm das Losknallen im Angesicht der Herrschaften nützen können. Den Bock hätte er doch nicht vor ihren leiblichen Augen davontragen können.«

      »Ja, könnte denn die Herrschaft nicht auch Feinde haben?«

      Dem Kutscher verzog es das Gesicht in einem breiten Grinsen. Schimpfen, das täte man wohl. In den Wirtschaften. Besonders die paar Schnapser. Und drei Sozialdemokraten gebe es auch. Einer lese sogar den »Vorwärts«. Aber deshalb hätte Durchlaucht doch bei Tag und Nacht mutterseelenallein durch alle Wälder gehen können. Und nun wurde er wieder ernst. Und nach einer Pause: »Herr Professor, darf ich so frei sein, ich weiß, daß es ungehörig ist, aber darf ich fragen? Ihre Durchlaucht wird doch wieder gesund? Ich bin ein Braunecker, und mein Vater war auch Leibkutscher, und ich habe die Prinzessin gefahren, wie sie noch ganz klein war. Und in Brauneck gibt es niemand, nicht einmal die Schnapser und den Mann, der den ›Vorwärts‹ liest, der ihr etwas Böses wünscht. Da gibt es keinen, den sie auch nur unfreundlich angesehen hat. Wo sie gegangen ist. da lachte alles in Brauneck.« Und mächtig stolz seien die Braunecker auf sie.

      Dies sagt der Mann erst, als der Professor zu ihm auf den Bock gestiegen ist, sich neben ihn gesetzt hat und somit aus der Herrschaftssphäre herausgetreten ist.

      Riesig stolz sei man auf die Prinzessin. Und sie hätte gewiß Königin werden können, wenn sie gewollt hätte. Und sie sei die schönste Prinzessin weit und breit. Und es soll ein Bild von ihr geben, über das die Leute ganz verrückt wären. Es werde auch im großen Saal aufgehängt werden. Dann dürfe es einmal jedermann sehen, das habe Durchlaucht selbst versprochen. – Sie kommen ziemlich spät zum Essen an, und der Herr Professor hat jedenfalls keine Heckenrosen mitgebracht.

      Die Gräfin schläft noch immer, und selbst die Schwester ist verschwunden und hat ihren Platz der Lisa überlassen. Sie hat ja nichts zu tun, als stillzusitzen und aufzupassen.

      Um vier Uhr, als der Professor eben von seinem Nachmittagsschlaf erwacht ist, fährt ein Wagen an. Die Dame von heute morgen, aber nun im großen Federhut und pompösen Regenmantel entsteigt ihm. Die Falkenaugen da oben beobachten jede Bewegung. Er kann es gut. denn die Dame hält sich eine Zeitlang im Hofe auf. Der Fürst, den kleinen Heinz an der Hand, ist zu ihr hinausgetreten, und sie sprechen zusammen ...

      Es klopft. Die Schwester, die schon wieder auf dem Posten ist, kommt herein. »Herr Professor, könnten Sie nach der Gräfin sehen? Sie ist aufgewacht und hat sich so sehr erschreckt über irgend etwas und hat nun entsetzliche Schmerzen bekommen.«

      Schlimm ist das, sehr schlimm. Der Professor eilt hinunter. Und alles so schön bis dahin ... Sie liegt mit zuckenden Lippen und großen entsetzten Augen da.

      »Ich leide. Herr Professor, oh, schrecklich leide ich. Ich will mein Kind haben, ich will meinen Mann und meinen Vater haben. Sie sollen kommen.«

      Der Professor faßt den Puls und nickt Schwester Johanna. Die gleitet hinaus, und einen Augenblick später kommt Harro und der Fürst herein und Heinz zwischen ihnen. Dem Fürsten wanken die Knie, wie er seine Tochter sieht. Das Kind wirft sofort sein Köpfchen zurück und versteckt's an seines Vaters Knie und: »Nein,« schreit er. »Nein.«

      »Ach, er fürchtet sich vor mir,« flüstert die arme Mutter. »Harro, nimm ihn auf den Arm.«

      Der Vater tut's, und das braune Köpfchen drückt sich wie ein scheuer Vogel an seine Brust. Ihre Augen gehen von einem zum andern, wie wenn sie sich an sie klammerten. Und sie dürfen sie ja nicht einmal berühren, denn ihre eine Hand hält ja der Herr Professor.

      Es steht sehr schlecht um die junge Herrin von Thorstein. Der Professor legt die kalte Hand wieder hin und geht ganz leise in das Nebenzimmer. Aber er kann das Bett und die weiße Gestalt darauf sehen.

      Da plötzlich geht die Tür auf: rauschende Gewänder, die Fürstin. Ganz leise schiebt sie sich neben den Fürsten. Rosmaries Augen sehen nach ihr. Eine kleine, fast unwillige Bewegung macht der Fürst, seine Augen hängen ja an seiner Tochter. Harro sieht sich nicht einmal nach ihr um. Nur der Herr Professor sieht ihr ins Gesicht.

      Sie spricht kein Wort, sie steht und schaut auf die todblasse Tochter, und ihre Gewänder rauschen fortwährend. Sie kann keine Sekunde ruhig stehen ...

      Harro hat nun die arme Hand in der seinigen.

      »Mama,« sagt Rosmarie leise. Das Rauschen wurde heftiger, und noch einmal: »Mama. Du tust mir leid! Nein, ich möchte noch nicht sterben. Lieber Harro, bete für mich! Und du auch, Vater, lieber Vater!«

      Der Fürst sagte leise: »Ein jeder Atemzug tut's, Rosmarie. Für dich ...«

      »Nimm mich in deine lieben Arme, Harro, mich friert.«

      Der Professor kam mit einem Kissen, bettete Rosmarie sanft darauf und schob ihres Mannes Arm darunter und flüsterte ihm zu: »Halten Sie sie hoch.« Da lag sie an ihres Mannes Brust so schön geborgen, ihr Vater faßte ihre Hand. Klein Heinz, als er das blasse Gesicht nicht mehr sehen konnte, trippelte eifrig herum und setzte sich dann mit dem Knäuel von Schwester Johannas Häkelarbeit auf den Boden.

      Die Fürstin stand immer noch da unten am Bettrand, und ihr Kleid rauschte.

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