Название: Gesammelte Werke: Kriminalromane + Detektivgeschichten + Historische Romane
Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026850861
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Eines Tages lauerten wir einem Zug mit Gold auf, der von Ballarat nach Melbourne ging, und griffen ihn an. Sechs Führer waren dabei und auch wir unser sechs – also stand die Sache fraglich. Beim ersten Anprall hoben wir vier Mann aus den Sätteln. Von den unsrigen fielen drei, ehe wir den Schatz erlangten. Ich hielt dem Führer des Zuges – eben diesem Mc Carthy – meine Pistole an den Kopf. Wollte Gott, ich hätte damals losgedrückt! Doch ich verschonte ihn, obwohl ich seine kleinen, boshaften Augen auf mich gerichtet sah, als wollten sie sich jeden meiner Züge einprägen. Es gelang uns, mit dem Gelde zu entkommen; wir waren nun reich und kehrten nach England zurück, ohne daß ein Verdacht auf uns fiel. Hier trennte ich mich von den bisherigen Gefährten und beschloß, von nun an ein ruhiges, ehrbares Leben zu führen. Ich kaufte dieses Landgut, das eben ausgeboten wurde, und war bemüht, das schlecht erworbene Geld aufs beste zu verwenden. Damals heiratete ich, doch starb meine Frau frühzeitig und hinterließ mir meine geliebte Alice. Schon als kleines Kind verstand sie es, mich auf den rechten Pfad zu leiten, wie das niemand außer ihr vermocht hatte. Kurz, ich begann ein neues Leben und tat, was ich konnte, um mein vergangenes Unrecht wieder gutzumachen. Das schien mir auch zu gelingen, bis ich Mc Carthy in die Klauen geriet.
Um Kapital anzulegen, war ich zur Stadt gefahren, da traf ich ihn in Regent-Street in dürftiger, zerlumpter Kleidung.
»Da sind wir, Jack«, sagte er und faßte meinen Arm, »du darfst uns künftig als deine Angehörigen betrachten. Wir sind unser zwei – ich und mein Sohn – und du wirst für unsern Unterhalt sorgen. Tust du’s nicht – nun so herrscht in England Gesetz und Recht, und die Polizei ist stets zur Hand.«
Die beiden kamen denn auch hierher; ich wurde sie nicht wieder los, und sie lebten von der Zeit an pachtfrei auf meinem besten Grund und Boden. Meine Ruhe war dahin, ich fand keinen Frieden mehr, kein Vergessen; wohin ich auch ging, so grinste sein schlaues Gesicht dicht neben mir. Je älter Alice wurde, um so schlimmer ward es, denn er merkte sehr wohl, daß ich meine Vergangenheit noch ängstlicher vor ihr als vor den Gerichten verbarg. Alles, was er brauchte, forderte er, und er mochte fordern, was er wollte, ich gab es ihm willig: Land, Geld, Häuser; schließlich aber forderte er, was ich ihm nicht zu geben vermochte – meine Alice.
Sein Sohn war herangewachsen und meine Tochter auch. Er wußte, daß meine Gesundheit untergraben war, und so dünkte es ihm ein guter Fang, wenn sein Junge zu meinem ganzen Besitz käme. Hierin aber blieb ich fest. Mc Carthy drohte. Ich war zum äußersten Widerstand entschlossen. Wir verabredeten uns zu einer Besprechung unten am Teich, der in gleicher Entfernung von meiner wie von seiner Wohnung liegt.
Als ich dort hinkam, fand ich ihn im Gespräch mit seinem Sohn; ich steckte mir eine Zigarre an und wartete hinter einem Baum, bis er allein sein würde. Als ich hörte, wovon zwischen ihnen die Rede war, stiegen Gift und Galle in mir auf; der Vater drang darauf, daß der Sohn meine Tochter heiraten solle, ohne im geringsten nach ihrem Willen zu fragen, gerade als wäre sie eine hergelaufene Dirne. Der Gedanke, daß alles, was mir lieb und teuer war, in den Händen eines solchen Mannes sei, trieb mich zum Wahnsinn. Vermochte ich denn nicht die Fesseln zu sprengen? Ich war ein dem Tode Verfallener, ein Verzweifelter. Wenn auch klaren Geistes und noch ziemlich kräftig, wußte ich doch, daß mein Schicksal besiegelt war. Ach, aber mein Andenken! meine Tochter! Beide waren gesichert, wenn es mir gelang, diese Lästerzunge zum Schweigen zu bringen. Ich tat es, Herr Holmes. Ich täte es wieder! Mein Unrecht war groß gewesen, aber ich hatte durch ein wahres Marterleben dafür gebüßt. Daß aber mein Kind in dieselben Fesseln geraten sollte, in denen ich geschmachtet, das war mehr, als ich zu ertragen vermochte. Ich schlug ihn nieder, und es reute mich nicht mehr, als sei er ein garstiges, giftiges Tier gewesen. Auf sein Schreien kehrte sein Sohn zurück; schon hatte ich den Schatten des Waldes erreicht, als ich umkehren mußte, um meinen Mantel zu holen, den ich bei der Flucht verloren hatte. So und nicht anders hat sich alles zugetragen.«
»Mir kommt es nicht zu, Sie zu verurteilen«, sprach Holmes, als der alte Mann den niedergeschriebenen Bericht unterzeichnete. »Möge uns Gott vor einer ähnlichen Versuchung bewahren.«
»Und was beabsichtigen Sie nun zu tun?«
»Im Hinblick auf Ihren Gesundheitszustand – nichts. Sie wissen ja selbst, daß Sie sich in kurzer Frist vor einem höheren Richter zu verantworten haben. Ich nehme Ihr Bekenntnis an mich; wird Mc Carthy verurteilt, so bin ich gezwungen, damit hervorzutreten, – wenn nicht, so wird es kein Menschenauge je erblicken, und mögen Sie tot oder lebendig sein, Ihr Geheimnis ist bei uns sicher aufgehoben.«
»So leben Sie denn wohl«, sprach der alte Mann feierlich. »Sie werden beide dereinst sanfter auf dem Sterbelager ruhen im Bewußtsein, daß Sie mich haben im Frieden scheiden lassen.« Zitternd und gebrochen wankte die Hünengestalt langsam hinaus.
»Gott stehe uns bei!« sagte Holmes nach langem Schweigen. »Warum spielt das Schicksal so tückisch mit den armen, hilflosen Erdenwürmern?«
James Mc Carthy wurde auf Grund zahlreicher Einwände freigesprochen, welche Holmes erhoben und dem Verteidiger zur Verfügung gestellt hatte. Der alte Turner lebte noch sieben Monate nach unserer Unterredung. Jetzt ruht er im Grabe, und aller Voraussicht nach werden Sohn und Tochter der feindlichen Väter ein glückliches Paar werden, ohne je zu ahnen, welche dunkle Wolke auf ihrer Vergangenheit lastet.
Fünf Apfelsinenkerne
(The Five Orange Pips - 1891)
Ueberblicke ich meine Berichte und Notizen über die von Sherlock Holmes behandelten Fälle aus den Jahren 1882-90, so treten mir so viele absonderliche, interessante Züge entgegen, daß es mir schwer wird, die besten auszusuchen. Indessen sind einige bereits durch die Zeitungen bekannt geworden, während andere zur Entfaltung gerade derjenigen Eigenschaften, welche meinen Freund in so hohem Grade auszeichneten, keine rechte Gelegenheit darboten. In einigen Fällen scheiterte sogar seine Kunst, und die Erzählung derselben würde sich nicht lohnen, während andere nur teilweise aufgeklärt worden sind, so daß ihre Lösung mehr auf Vermutung und Wahrscheinlichkeit beruht als auf jenem absolut logischen Beweis, an dem Sherlock Holmes seine ganz besondere Freude hatte. Einer dieser letzteren Kriminalfälle war jedoch in seinen Einzelheiten so merkwürdig, so schrecklich in seinen Folgen, daß ich davon berichten möchte, obwohl mancher Punkt darin nicht aufgeklärt wurde und sich wohl nie völlig aufklären wird.
Das Jahr 1887 war besonders reich an interessanten Fällen, über welche ich mir Aufzeichnungen gemacht habe. Ich finde darunter Berichte über die schwindelhafte Bettler-Gesellschaft, die einen luxuriösen Klub in den Kellerräumen eines Lagerhauses hatte, über die Thatsachen, die sich auf den Untergang des britischen Seglers ›Sophie Anderson‹ beziehen, über die merkwürdigen Erlebnisse der Patersons auf der Insel Uffa und schließlich über den Camberwellschen Giftmord. Bekanntlich hat Sherlock Holmes in dem letztgenannten Falle durch das Aufziehen der Uhr des Verstorbenen festzustellen vermocht, daß diese zwei Stunden vorher aufgezogen, und jener demnach um diese Zeit zu Bett gegangen war – ein Beweismittel, das sich zur Aufklärung des Thatbestandes von großer Wichtigkeit erwies. Auf alle diese Fälle komme ich vielleicht ein andermal ausführlicher zurück, aber kein einziger ist in seinem Verlauf so eigentümlich wie der, den ich mir für diesmal zur Wiedergabe ausgewählt habe.
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