Название: Gesammelte Werke von Nikolai Gogol
Автор: Nikolai Gogol
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027211272
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Neuntes Kapitel
Drinnen in der Stadt bemerkte niemand, daß nur noch die Hälfte des Kosakenheeres vor den Toren lag. Freilich sahen die Posten auf dem Rathausturm, daß ein Teil der Wagen abgezogen war. Aber die Polen schlossen daraus nur, die Wagen seien im Wald versteckt, und der Feind wolle sie auf die Art täuschen und ihnen einen Hinterhalt legen; diese Meinung teilte auch ihr französischer Stückmeister.
Alsbald erwies es sich, daß der Hetman richtig prophezeit hatte: die Belagerten begannen von neuem an Nahrungsmangel zu leiden. In jenen alten Zeiten war man in solchen Dingen recht sorglos. Die Polen suchten sich durch einen Ausfall zu helfen – umsonst: die Hälfte des Freiwilligentrupps, der dieses Wagstück unternahm, wurde von den Kosaken niedergemetzelt, die andre Hälfte mit leeren Händen in die Stadt zurückgeworfen. Jedoch die städtischen Juden benutzten die Gelegenheit, vor den Toren alles zu erschnüffeln, was ihnen zu wissen wichtig schien. Sie brachten heraus, warum und wohin ein Teil des Kosakenheers abgezogen war, wie groß dieser Teil war, aus welchen Regimentern er bestand, und welche Obersten ihn führten. Ebenso gut unterrichtet zeigten sie sich darüber, wieviel Regimenter noch vor der Stadt geblieben waren, und was die Belagerer für Pläne hatten. Kurzum: jetzt wußten die Polacken über das alles genau Bescheid. Ihre Obersten schöpften neuen Mut und beschlossen, dem Gegner eine Schlacht zu liefern.
Taraß merkte das an der Bewegung und dem Lärm in der Stadt. Er traf eilend seine Maßregeln und gab die Ordre aus. Das Heer wurde in drei Haufen geteilt, deren jeder sich in einer Wagenburg wie hinter Festungsmauern verschanzte – eine Schlachtordnung, in der die Kosaken kaum zu besiegen waren. Zwei Regimenter legte der Hetman in den Hinterhalt. Einen Teil des Blachfeldes ließ er mit Fußangeln und Lanzenspitzen spicken. Dorthin wollte er im rechten Augenblick die feindlichen Reiter locken.
Und als alles so vorbereitet war, hielt er im Ring des Heers eine Rede – nicht, weil er seine Kosaken aufmuntern und ihre Kampflust anfeuern wollte –, er wußte, daß sie auch ohne das siegesgewissen Mutes waren –, sondern nur, weil es ihn drängte, sein Herz vor ihnen auszuschütten.
»Sagen will ich euch, Herren und Brüder, ein Wörtlein davon, was es mit unserer Kameradschaft für eine Bewandtnis hat. Ihr habt von unsern Vätern und Vorvätern vernommen, in welchen Ehren einstmals unsere Heimat bei allen Völkern stand; die Griechen haben gespürt, wer wir waren, Stambul hat uns in blanken Dukaten Tribut gezahlt, reiche, blühende Städte hatten wir mit prächtigen Domen; und Fürsten hatten wir, Fürsten aus unserm Blut und Stamm – keine katholischen Ketzer. Das alles haben uns die Moslim genommen, das alles ist fort; nur wir sind übriggeblieben, verwaist, verlassen, wie es die Witwe nach dem Tod ihres starken Mannes ist. Und wie wir verwaist sind, so ist auch unsere liebe Heimat verwaist. Die harte Zeit hat es gemacht, ihr Herren, daß wir uns die Hände reichten zu festem Verband. Auf diesem Grund ruht unsere Kameradschaft! Und Kameradschaft ist das heiligste Band im Leben! Ich weiß: der Vater liebt sein Kind, die Mutter liebt ihr Kind, das Kind liebt Vater und Mutter; aber das kommt unserer Liebe nicht gleich, meine Brüder – seine Kinder liebt auch das Tier. Sich mit einem Blutsfremden zum Bruderbund zusammenfinden kann nur der Mensch. Wohl auch in andern Ländern gibts Kameradschaft; aber Kameraden, wie sie die russische Erde gebiert, gibt es sonst nirgends. So mancher von euch ist mehr als einmal in die Fremde verschlagen worden und hat wohl gesehen: auch dort wohnen Menschen, Kinder Gottes wie wir. Sie reden wie deinesgleichen; aber sollen sie dir einmal ein Wort so recht von Herzen sagen, dann siehst du gleich: ja, es sind kluge Leute, aber die Unsern sind es nicht – Menschen wie wir, und doch die Unsern nicht. Nein, Brüder: so lieben, wie es das russische Herz versteht – lieben nicht mit dem Hirn oder Gott weiß, womit sonst, lieben mit allem, was in uns ist, Kameraden …!« rief Taraß; er schlug mit der Faust durch die Luft und schüttelte seinen Graukopf, der Schnauzbart zuckte. Dann fuhr er fort: »Nein, so zu lieben versteht sonst niemand auf Erden! Ich weiß wohl: es sind bei uns jetzt vielfach üble Sitten im Schwang: viele fragen nur nach ihren Getreideschobern, ihren Heudiemen, ihren Roßherden und ihren Weinkellern; viele nehmen weiß der Kuckuck was für ketzerische Sitten an und schämen sich der Muttersprache; der Landsmann will nicht mit dem Landsmann reden; der Landsmann verkauft seinen Landsmann, wie einer ein seelenloses Tier auf dem Viehmarkt verkauft. Die Gnade eines fremden Königs – und war es bloß immer der König –, die Gnade jedes schäbigen polackischen Junkers, der ihnen seinen gelben Schuh in die Fresse haut, bedeutet solchen Kujonen mehr als die Bruderschaft. Aber auch in dem niedrigsten Lumpenkerl, mag er sein, wer er will, mag er sich mit Behagen in Dreck und sklavischer Erniedrigung wälzen – auch in dem, Brüder, lebt ein Funke des russischen Gefühls. Und einmal erwacht es, und dann schlägt sich der Ärmste reuig vor die Brust und greift sich an den Kopf und verflucht sein elendes Dasein und würde willig jede Marter auf sich nehmen, wenn er damit die Schande von sich waschen könnte. Mag unser Beispiel allen denen zeigen, was Kameradschaft heißt auf der russischen Erde! Und geht es denn zum Sterben – keiner von ihnen wird sterben wie wir! Keiner von ihnen allen …! Dazu fehlt ihnen viel, den Hasenherzen!«
Der Hetman hatte gesprochen, und da er verstummt war, schüttelte er noch lange sein in der Arbeit um edeln Kosakenruhm licht silbergrau gewordnes Haupt. Und die Gemeinde der Kosaken wurde mächtig gepackt durch die Rede, von ihr getroffen bis auf den Grund des Herzens. Die Alten standen reglos wie aus Stein und ließen die greisen Köpfe hangen, das Wasser schoß ihnen heiß in die Augen; langsam wischten sie sich mit den Ärmeln die Tränen von den Lidern. Und dann schlugen sie, als hätte ihnen einer das Zeichen dazu gegeben, alle zugleich mit der Faust durch die Luft und schüttelten die Köpfe. Man sah wohl: Taraß Bulba hatte an das Beste in ihren Herzen gerührt, an den hohen Gedanken, der in den Alten als Frucht vieler Jahre voll Not und Plage, Kampf und Ungemach gereift war, den aber auch die unerfahrne Jugend zur Freude ihrer Väter ahnend in reiner Seele trug.
Jedoch die Stunde war gekommen: schon rückte das Heer der Feinde aus der Stadt, die Pauken donnerten, es jauchzten die Trompeten. Die Faust in die Hüfte gestemmt, sprengten die Junker zum Tor heraus, gefolgt von unzählbarer Mannschaft. Der dicke Oberst führte das Kommando. So rückten sie in hellen Haufen gegen die Wagenburgen der Kosaken an. Bedrohlich zielten sie mit den Hakenbüchsen, Blitze schossen sie aus den Augen, hell funkelten ihre Panzer. Als sie in Schußweite gekommen waren, empfingen die Kosaken sie mit einer Salve aus ihren langen Büchsen und feuerten ohne die kleinste Pause fort. Weithin scholl das gewaltige Knattern über Feld und Flur und floß zu einem einzigen Donner zusammen: dichter Rauch deckte das Schlachtfeld; die Kosaken unterbrachen ihr Feuer nicht für eines Atemzuges Dauer. Die hintern Glieder luden und reichten die schußfertigen Büchsen vor. Starre Verwunderung packte den Feind: er begriff nicht, wie die Kosaken schießen könnten, ohne zu laden.
Im Rauch, der Freund und Feind verhüllte, sah man nichts davon, wie bald hier, bald dort einer in den Reihen fiel; doch die Polacken spürten wohl, daß die Kugeln hageldicht geflogen kamen, und daß die Sache brenzlich wurde. Als sie dann ein Stück zurückwichen, aus dem Rauch zu kommen und Musterung zu halten, da fehlten in ihren Reihen viele tapfre Krieger, indessen auf Seiten der Kosaken höchstens zwei oder drei vom Hundert gefallen waren. Doch ruhig, ohne die kleinste Unterbrechung, feuerten die Kosaken weiter!
Selbst der fremdländische Stückmeister der Polen konnte nicht genug staunen ob dieser niemals erhörten Kampfart und sagte frei heraus, vor allem Volk: »Wackre Burschen sind die Kosaken! Wie die zu fechten wissen – daran dürfte sich jedes Heer ein Beispiel nehmen!« Und er riet den Seinen, die Kanonen gegen die Wagenburgen zu richten.
Dumpf brüllten die ehernen Stücke aus weiten Mäulern; die Erde dröhnte und bebte, noch dichter umwölkte der Rauch das Schlachtfeld. Nach Pulver roch es da auf den Märkten und Straßen der nahen und fernen Städte. Aber die Richtkanoniere zielten zu hoch: einen zu steilen Bogen beschrieben die glühenden Kugeln; mit höllischem Heulen flogen sie über die Wagenburgen weg, wühlten sich СКАЧАТЬ