Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 104

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Die Nummern eins bis vierzehn hat die Marschallin vorschriftsmäßig durch ihren Torwart eingehändigt bekommen. Ich werde die Ehre haben, alle Schubfächer ihres Schreibtisches zu füllen. Und immer noch behandelt sie mich, als schriebe ich ihr gar nicht. Wohin soll das führen? Langweilt sie sich über diese Episteln vielleicht genauso wie ich mich? Korasoffs Freund, der Liebhaber der schönen Quäkerin von Richmond, ist unbedingt ein gräßlicher Kerl gewesen!«

      Wie alle mittelmäßigen Köpfe, die der Zufall den strategischen Operationen eines großen Heerführers beiwohnen läßt, verstand Julian nichts von der Angriffstaktik des jungen Russen gegen das Herz der schönen Engländerin. Die ersten vierzig Briefe waren zu nichts anderm geschrieben, als die Kühnheit verzeihlich zu machen, daß man überhaupt schrieb. Es war zunächst darauf angekommen, das träumerische junge Mädchen, das sich wahrscheinlich unendlich langweilte, daran zu gewöhnen, Briefe zu empfangen, die wohl immer noch weniger öde waren als ihr tagtägliches Dasein.

      Eines Morgens erhielt Julian einen Brief. Er erkannte das Wappen der Frau von Fervaques und erbrach das Siegel mit einer Lebhaftigkeit, die ihn selber überraschte. Der Brief enthielt nichts als eine Einladung zum Diner.

      Sofort zog er die Instruktion des Fürsten Korasoff zu Rate. Leider war der Russe gerade da, wo er hätte einfach und klar sein sollen, frivol im Stile Dorats, und so blieb sich Julian über sein Verhalten beim Diner der Marschallin im unsichern.

      Das Empfangszimmer war höchst prunkvoll, goldstrotzend wie die Diana-Galerie in den Tuilerien und mit großen Ölgemälden geschmückt. Julian nahm eigentümliche Flecken auf den Bildern wahr. Später erfuhr er, die Darstellungen wären der Hausherrin nicht dezent genug gewesen. Sie hatte sie anständig machen lassen. »Jahrhundert der Prüderie!« dachte Julian.

      Er bemerkte drei Persönlichkeiten, die seinerzeit bei der Abfassung der geheimen Note zugegen gewesen waren. Einer von ihnen, der Bischof von ***, der Onkel der Marschallin, hatte die Pfründenverleihung. Man munkelte, er könne seiner Nichte keinen Wunsch abschlagen. »Ich habe in meiner Karriere einen Riesenschritt vorwärts getan«, sagte sich Julian mit wehmütigem Lächeln. »Und doch ist mir das unsagbar gleichgültig. Schon bin ich der Tischgenosse des einflußreichen Bischofs von ***.«

      Das Mahl war mäßig, die Unterhaltung unausstehlich. »So eine Tischgesellschaft ist wie ein schlechtes Buch«, dachte Julian. »Alle großen Probleme der Menschheit werden keck angeschnitten. Hört man aber nur drei Minuten zu, so weiß man nicht, was mehr zum Himmel schreit: die Emphase des Schwätzers oder seine greuliche Unwissenheit.«

      Gelegentlich bekam Julian eine lange Strafpredigt vom Pfarrer Pirard zu hören, ob seiner Erfolge im Hause Fervaques. Es herrschte nämlich ein gewisser Sektenneid zwischen den strengen Jansenisten und dem jesuitisch-monarchisch-reaktionären Salon der tugendsamen Marschallin.

      58. Kapitel

      Die russischen Vorschriften verboten ausdrücklich, der Dame, an die man schrieb, je zu widersprechen. Die Rolle des blinden Schwärmers sollte unbedingt eingehalten werden. Das war die Voraussetzung der Briefe.

      Eines Abends in der Oper, in der Loge der Marschallin, lobte Julian das Ballett Manon Lescaut über die Maßen, und zwar einzig und allein, weil er es unbedeutend fand. Frau von Fervaques hingegen meinte, das Ballett stehe tief unter dem gleichnamigen Roman des Abbé Prévost.

      Erstaunt und belustigt zugleich sagte sich Julian: »Merkwürdig! Auf einmal preist dies hochmoralische Menschenkind einen Roman!« Die Marschallin pflegte nämlich mindestens alle drei Tage ihrer gründlichen Verachtung der Romanschreiber Ausdruck zu verleihen, indem sie behauptete, ihre öden Machwerke hätten weiter keinen Zweck, als die dem Blendwerk der Sinne sowieso leicht geneigte Jugend gänzlich zu verderben. »Unter den unmoralischen Romanen soll die Manon Lescaut der allergefährlichste sein«, fuhr sie fort. »Die Schwächen und die wohlverdienten Qualen eines sündigen Herzens sollen darin mit meisterlicher Naturtreue geschildert sein, was übrigens Ihren Bonaparte nicht gehindert hat, auf Sankt Helena zu verkünden, das sei ein Roman für Lakaien.«

      Das Wort Bonaparte versetzte Julians Seele in Kampfbereitschaft. »Aha«, sagte er sich, »man hat den Versuch gemacht, mich bei meiner Gönnerin anzuschwärzen! Man hat ihr meine Napoleonschwärmerei verraten. Das hat sie dermaßen verschnupft, daß sie der Versuchung, es mich merken zu lassen, nicht widerstehen kann.«

      Diese Entdeckung amüsierte ihn den ganzen Abend. Er war ihm nicht mehr langweilig. Als er sich im Vestibül der Oper von der Marschallin verabschiedete, sagte sie zu ihm: »Herr Sorel, ich will Ihnen eins sagen: Wer mich liebt, darf den Bonaparte nicht lieben! Man darf diesen Mann höchstens als eine von der Vorsehung auferlegte Notwendigkeit hinnehmen.«

      »Wer mich liebt…«, wiederholte sich Julian, »das sagt alles und nichts! Das sind Sprachgeheimnisse für uns Provinzler.«

      Während er einen endlosen Brief an die Marschallin schrieb, mußte er viel an Frau von Rênal denken. –

      »Was soll das heißen?« fragte ihn die Marschallin am andern Abend mit sichtlich schlecht gespielter Gleichgültigkeit. »In Ihrem Briefe, den Sie doch wohl gestern abend nach der Oper geschrieben haben, sprechen Sie von London und Richmond?«

      Julian ward sehr verlegen. Er hatte mechanisch Wort für Wort abgeschrieben und dabei vergessen, »London« und »Richmond« durch »Paris« und »Saint-Cloud« zu ersetzen. Er stotterte ein paar Worte her, ohne daß es ein vernünftiger Satz wurde, nahe daran, in ein tolles Gelächter auszubrechen. Endlich fand er folgende Ausrede: »Als ich Ihnen schrieb, gnädige Frau, stand ich noch ganz im Nachhall unsres erdenfernen Gesprächs. Ich war gewissermaßen zerstreut …«

      »Ich mache Eindruck«, dachte er bei sich. »Somit kann ich mir heute die weitere Langeweile schenken.«

      Mehr laufend als gehend verließ er das Haus Fervaques. In seiner Stube las er das Original des tags zuvor abgeschriebenen Briefes noch einmal durch. Sofort fand er die falsche Stelle, wo von London und Richmond die Rede war. Zu seiner Überraschung entdeckte er auch, daß der Brief recht zärtlich war.

      Der Gegensatz zwischen der zur Schau getragenen Oberflächlichkeit von Julians mündlichen Äußerungen und der wunderbaren, geradezu apokalyptischen Tiefe seiner Briefe war es, der Eindruck auf Frau von Fervaques machte. Besonders gefiel ihr die Länge der Sätze. »Das ist etwas ganz andres als der sprunghafte Stil, den dieser unmoralische Mensch, der Voltaire, in die Mode gebracht hat!« dachte sie.

      Obwohl Julian sich Mühe gab, in dem, was er sagte, jede Spur von gesundem Menschenverstand zu tilgen, so hatten seine Worte doch immer noch einen antimonarchischen und unfrommen Anflug, was der Marschallin nicht entging. Umgeben von lauter strengmoralischen Leuten, die oft den ganzen Abend keinen einzigen Gedanken bekundeten, war die Marschallin sehr empfänglich für Ideen, die ihr neu vorkamen. Aus Pflichtgefühl machte sie sich alsbald darüber Vorwürfe. »Die sündhafte Zeit färbt ab!« pflegte sie zur Entschuldigung ihrer Schwäche zu sagen. Während all der Zeit, in der sich die Episode Fervaques in Julians Leben abspielte, erwehrte sich Fräulein von La Mole nur mit Mühe des fortwährenden Denkens an den Geliebten. In ihrem Innern tobten heftige Kämpfe. Zuweilen schmeichelte sie sich, den grüblerischen jungen Mann zu verachten, aber immer wieder, mochte sie wollen oder nicht, lauschte sie voll Anteil seinem Gespräch. Besonders erstaunt war sie über seine vollendete Falschheit. Jedes Wort, das er der Marschallin sagte, war Lüge, zum mindesten abscheuliche Verschleierung seiner wahren Welt-und Lebensanschauung, die Mathilde genau kannte.

      Dieser Machiavellismus verwunderte sie. »Es ist Geist darin«, meinte sie bei sich. »Welch Unterschied zwischen ihm und den geistlosen Scharlatanen und gemeinen Schelmen, die ebenso salbadern; Tanbeau zum Beispiel!«

      Leicht fiel Julian seine Rolle keineswegs. Es war eine harte Pflicht, die er erfüllte, indem er Tag für СКАЧАТЬ