Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ an? Wir werden ihnen unsern Willen aufzwingen.«

      Der Kardinal stimmte verschmitzt lächelnd zu.

      »Nichts ist meiner Ansicht nach leichter, als unsre Lage in ein paar Worte zu fassen«, sagte der junge Bischof von **** voll verhaltener Glut des höchsten Fanatismus. Er hatte bisher stumm dagesessen. Julian hatte ihn beobachtet. Sein anfangs friedliches und sanftes Auge war im Laufe der Debatte immer feuriger geworden. Jetzt floß seine Seele über wie die Lava des Vesuvs.

      »Von 1806 bis 1814«, sagte er, »hat England einen großen Fehler begangen. Ich meine, es hat es an unmittelbaren und persönlichen Maßregeln gegen Napoleon fehlen lassen. Nachdem dieser Mensch Herzöge und Kammerherrn ernannt, nachdem er die Monarchie wieder eingerichtet hatte, war die ihm von Gott anvertraute Sendung erfüllt. Alsdann mußte er geopfert werden. Die Heilige Schrift zeigt uns an mehr denn einer Stelle, wie man einen Usurpator beseitigt…« Es folgten etliche Zitate aus der Vulgata. »Meine Herren, heute handelt es sich nicht mehr darum, einen einzigen zu opfern. Ganz Paris muß geopfert werden! Was Paris tut, macht das übrige Frankreich nach. Wozu erst in jedem Regierungsbezirk fünfhundert Mann bewaffnen? Eine riskante Sache, die zu gar nichts führt. Wozu das ganze Land in etwas hineinziehen, was lediglich Paris angeht? Paris allein mit seinen Zeitungen und Salons ist der Schuldige. Möge das neue Babylon zugrunde gehn! Es heißt, sich endgültig entscheiden zwischen Kirche oder Paris! Ein Staatsstreich entspricht sogar den rein weltlichen Interessen des Thrones. Warum hat Paris unter Bonaparte kaum zu atmen gewagt? Fragen Sie die Kanonen von Saint-Roch! – – –

      Es war drei Uhr morgens, als Julian zusammen mit Herrn von La Mole ging. Der Marquis war kleinlaut und müde. In den Worten, die er an seinen Begleiter richtete, lag zum ersten Male ein bittender Ton. Er nahm ihm das Ehrenwort ab, niemals von diesen Exzessen des Eifers zu sprechen, deren Zeuge er zufällig geworden sei. »Erwähnen Sie dies nur dann vor unserm auswärtigen Freunde, wenn er ernstlich darauf besteht, unsre jungen Heißsporne kennenzulernen. Was tut es ihnen, wenn der Staat über den Haufen geworfen wird? Sie flüchten nach Rom und leben dort als Kardinäle. Wir aber, in unsern Schlössern, wir werden von den Bauern massakriert.«

      Die geheime Note, die der Marquis aus dem sechsundzwanzig Seiten langen Protokoll Julians aufstellte, war erst um drei Viertel fünf Uhr fertig.

      »Ich bin todmüde«, sagte Herr von La Mole. »Das merkt man meinem Berichte auch an. Gegen den Schluß verliert er seine Klarheit. Ich bin damit unzufriedener als mit sonst was je in meinem Leben …

      So, mein Lieber«, setzte er hinzu. »Jetzt ruhen Sie sich ein paar Stunden aus!« –

      Am andern Morgen fuhr der Marquis mit Julian nach einem entlegenen Schlosse ziemlich weit weg von Paris. Die Besitzer machten einen sonderbaren Eindruck. Julian hielt sie für Geistliche.

      Er bekam einen Paß, auf dem ein falscher Name stand. Aus ihm erfuhr er endlich das Ziel seiner Reise, das er insgeheim längst geahnt hatte. In den Wagen stieg außer ihm niemand. Der Marquis hatte sich die geheime Note mehrmals aufsagen lassen. Er verließ sich fest auf Julians Gedächtnis. Nur fürchtete er, man könne ihn unterwegs abfangen.

      Als sich Julian von ihm empfahl, sagte er freundschaftlich zu ihm: »Vor allen Dingen benehmen Sie sich wie ein Idiot, der eine Reise macht, um die Zeit totzuschlagen. Wer weiß, ob gestern nicht mehr als ein Judas in der Versammlung war.«

      Die Reise ging rasch vonstatten, aber es war eine trübselige Fahrt. Kaum aus der Sehweite des Marquis, hatte Julian den Geheimbericht und seine Mission schon vergessen. Er dachte nur noch daran, daß Mathilde ihn verächtlich behandelt hatte.

      In einem Dorfe eine Meile hinter Metz erklärte der Posthalter, es seien keine Pferde da. Es war zehn Uhr abends. Sehr ärgerlich bestellte Julian etwas zu essen. Sodann spazierte er vor dem Tor auf und ab und schlüpfte unversehens in den Hof. Er fand kein einziges Pferd in den Ställen.

      »Der Posthalter kommt mir verdächtig vor«, dachte er ungläubig bei sich. »Er hat mich mit gemeinem Ausdruck angeglotzt.« Er hatte es sich längst abgewöhnt, alles, was man ihm sagte, aufs Wort zu glauben, und so nahm er sich vor, nach dem Abendessen im Dorfe Erkundigungen einzuziehen.

      Als er in die Küche trat, um sich am Herd zu wärmen, traf er zu seiner großen Freude Signore Geronimo, den berühmten Sänger. Der Neapolitaner saß gemütlich in einem Lehnstuhl, den er sich ans Feuer hatte rücken lassen. Er jammerte und stöhnte und sprach für sich allein mehr als der Schwarm deutscher Bauern, der um ihn stand.

      »Ich bin ruiniert!« rief er Julian zu. »Ich bin verpflichtet, morgen in Mainz zu singen. Sieben regierende Fürsten sind versammelt, um mich zu hören … Aber kommen Sie! Wir wollen ein bißchen an die freie Luft!« setzte er augenzwinkernd hinzu.

      Als sie hundert Schritte die Straße hingegangen waren und nicht mehr gehört werden konnten, sagte Geronimo: »Wissen Sie, wie sich die Sache verhält? Der Posthalter ist ein Spitzbube. Als ich vorhin durchs Dorf ging, habe ich einem Gassenbengel fünf Groschen gegeben. Da hat er mir die ganze Geschichte verraten. Am andern Dorfende, in irgendeinem Bauernstall, stehen zwölf Gäule. Offenbar will man irgendeinen Kurier nicht weiterlassen.«

      »So, so!« meinte Julian und tat, als wüßte er nichts.

      Mit der Entdeckung der Schwindelei war aber noch nichts erreicht. Es kam darauf an, weiterzureisen. Dies aber wollte Geronimo und Julian nicht gelingen. Schließlich meinte der Sänger: »Warten wir bis morgen! Man mißtraut uns. Vielleicht hat man es auf einen von uns beiden abgesehen. Wissen Sie, morgen früh bestellen wir uns ein gutes Frühstück. Während man es bereitet, machen wir einen Spaziergang, mieten uns Pferde und reiten nach der nächsten Poststation…«

      »Und Ihr Gepäck?« fragte Julian. Es kam ihm in den Sinn, daß man am Ende gar Geronimo damit betraut habe, ihn abzufangen.

      Es war Zeit zum Abendessen.

      Darnach gingen sie zur Ruhe.

      Julian lag noch im ersten Schlafe, als er auf einmal durch Stimmengeflüster aufgeweckt wurde. Es waren zwei Personen in seinem Zimmer, die ziemlich ungeniert miteinander sprachen.

      Er erkannte den Postmeister, der eine Blendlaterne in den Händen hielt. Der Lichtschein fiel auf den Reisekoffer, den Julian ins Zimmer hatte bringen lassen. Neben dem Posthalter stand ein Mann, der den offenen Koffer in aller Ruhe durchsuchte. Julian vermochte nur die engen Ärmel seines schwarzen Rockes zu erkennen.

      »Das ist eine Soutane«, sagte er sich, indem er behutsam nach den Taschenpistolen tastete, die er unter dem Kopfkissen hatte.

      »Haben Sie keine Angst, Herr Pfarrer!« beteuerte der Postmeister. »Er wacht nicht auf. Ich hab ihm das Zeug in den Wein gegossen, das Sie mir gegeben haben.«

      »Ich finde keine Spur von Papieren«, sagte der Geistliche. »Eine Menge Wäsche, Parfüm, Kopfwasser und allerhand Krimskrams. Das ist ein junger Lebemann, der nichts als sein Vergnügen im Kopfe hat. Der Bote wird eher der andere sein, der angebliche Italiener!«

      Die beiden Personen näherten sich Julians Bett, um die Taschen seines Reiseanzuges zu durchsuchen. Er war in großer Versuchung, auf sie zu schießen wie auf Einbrecher. Aber das hätte die gefährlichsten Folgen gehabt. Er spürte die größte Lust dazu.

      »Unsinn!« sagte er sich. »Ich wäre ein Narr! Ich setzte meine Mission aufs Spiel.«

      Der Priester hatte Rock und Hosen durchschnüffelt und meinte: »Das ist kein Diplomat!«

      Damit entfernte er sich vom Bette Julians – zu seinem Glücke.

      »Wenn er mich anrührt, dann soll er was erleben!« schwur СКАЧАТЬ