Die großen Revolutionen der Welt. Prof. Dr. Jürgen Nautz
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Название: Die großen Revolutionen der Welt

Автор: Prof. Dr. Jürgen Nautz

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: marixwissen

isbn: 9783843800341

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СКАЧАТЬ bestimmten Stand hineingeboren wurde. Der Adel stand an der Spitze dieser Ständegesellschaft – politisch entmachtet zwar, aber er besaß einträgliche Privilegien: Steuerfreiheit und Grundherrschaft. Das Bürgertum war einerseits Träger und Nutznießer der staatlich gelenkten Wirtschaft (Merkantilismus), entbehrte aber besonderer Rechte und des politischen Einflusses. Am unteren Ende der Pyramide befanden sich die Bauern, die die meisten Lasten zu schultern hatten: Neben Steuern für den Staat verlangte der Grundherr, auf dessen Land sie arbeiteten, zusätzliche Abgaben. Beide großen christlichen Kirchen, die katholische wie die evangelische, waren mit den Königen und Fürsten verbunden und predigten der überwiegend ländlichen Bevölkerung Ergebenheit in ihr angeblich gottgewolltes Schicksal. In diesem Umfeld waren Unwissenheit, Vorurteile und Aberglaube und das sich Abfinden mit gegebenen Verhältnissen weit verbreitet.

      Die Verschiebung des Fokus von Gott zum Menschen durch das aufklärerische Denken lässt die Forschung auch von einer »anthropologischen Wende« sprechen. Vernünftiges Denken sollte die Menschen von überkommenen, starren Vorstellungen und Vorurteilen befreien und bereit für neu erlangtes Wissen machen. Im Gegensatz zum Barock vollzog sich ein grundsätzliches Umdenken bezüglich der vanitas – der jüdischen und christlichen Vorstellung von der Vergänglichkeit alles Irdischen – und der Fixierung auf das Jenseits. Die Konzentration auf ein Leben nach dem Tod wandelte sich in eine starke Diesseitsbezogenheit. In dieser Zeit entwickelte sich auch der Liberalismus mit seinem Konzept der Menschen- und Bürgerrechte, der die Menschen ermuntern wollte, das »beste aller Leben« nicht erst im Jenseits zu erwarten, sondern es schon hier auf Erden zu suchen.

      Eingeleitet wurde das Zeitalter der Aufklärung von Renaissance und Reformation, ferner durch die Entdeckung Amerikas und das daraus entstandene neue Weltbild. Die Aufklärung ging vor allem von England, Frankreich und den Niederlanden, später, in eigener Ausprägung, auch von Deutschland aus.

      Der Verbreitung der aufklärerischen Ideen kam eine technische Neuerung zugute: der Buchdruck. Durch den Buchdruck wurde die Herstellung von Druckwerken billiger und damit für breitere Schichten der Kauf von Büchern und Zeitungen erschwinglich. Durch seine technischen Fortschritte entwickelte sich ein Verlagswesen, das Bücher und eine Zeitungsproduktion hervorbrachte, in deren Folge ein großer Markt für Gedrucktes entstehen konnte. Zu den Abnehmern gehörten dabei auch die sogenannten Lesegesellschaften, in denen sogar Menschen, die nicht lesen konnten, durch Vorlesen an Literatur herangeführt wurden.

      Neben dem Vernunftprinzip war für die Wirkung der Aufklärung in den politischen Raum auch die Idee der religiösen Toleranz zentral. Der 1632 in Amsterdam geborene Philosoph Baruch de Spinoza († 1677) kritisierte in seinem 1670 erschienenen Tractatus theologico-politicus religiöse Intoleranz und plädierte für eine säkulare Gesellschaftsordnung. Der 1632 in der Nähe von Bristol geborene Empiriker John Locke (1632 - 1704) plädierte ebenfalls für religiöse Toleranz. Er verfasste während seines Exils in den Niederlanden 1689 einen »Brief über Toleranz« (A letter concerning Toleration). Keine der Kirchen habe das Recht, für sich die Autorität in Religionsfragen zu beanspruchen, lautet dessen Kernaussage. Ebenfalls in den Niederlanden forderte der Rektor der Leidener Universität, Gerhard Noodt (1647 - 1725), in seiner Rektoratsrede aus dem Jahr 1699, dass das Volk das Recht haben müsse, seinem Fürsten die Macht [die es ihm verliehen habe] wieder zu nehmen. In Deutschland waren es im 17. Jahrhundert Philosophen wie Christian Thomasius (1655 - 1728), Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716) und Christian Wolff (1679 - 1754), die den Rationalismus der Aufklärung prägten. Immanuel Kant (1724 - 1804) war der große deutsche Philosoph der Aufklärung des darauf folgenden Jahrhunderts. Aber auch Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781) gehörte zu den Hauptvertretern der Deutschen Aufklärung. Der König von Preußen, Friedrich II., der Große (1712 - 1786), förderte diese Denkrichtung. Friedrich II. hatte sich selbst in einer 1739 erschienenen Schrift mit den Prinzipien von Herrschaft befasst. In dem Buch, mit dem Titel »Anti Machiavel ou Essai de critique sur le Prince de Machiavel« (bekannt als Antimachiavell), verwarf er Machiavellis politische Theorie und trat für eine an den Prinzipien der Aufklärung orientierte Herrschaft ein. Als König von Preußen bewegte er sich dann jedoch deutlich dem traditionellen europäischen Gedankengut verbunden. Trotz seines begrenzten aufklärerischen Engagements als Regent, sind die unter ihm realisierte Religionsfreiheit, seine Beteiligung an den intellektuellen Diskursen für die Aufklärung förderlich gewesen.

      Auch in Frankreich gewann aufklärerisches Denken, getragen vor allem vom erfolgreichen Bürgertum und einigen Adligen, großen Einfluss. Maßgeblich hierfür waren einerseits die Konsolidierung der französischen Staatsmacht im 17. Jahrhundert und die Ausschweifungen absolutistischer Herrschaftsentfaltung. Auf der anderen Seite spielte der zunehmende wirtschaftliche Erfolg der bürgerlichen Schichten eine große Rolle. Man wollte Freiheit für die Entfaltung der eigenen Geschäfte, aber auch die Unabhängigkeit von Kunst und Wissenschaft von Kirche und Aristokratie. Es war nicht nur der Glaube daran, dass Aufklärung und Wissen die Lebensbedingungen der Menschen verbessern würden, sondern auch jene Gewissheit, die Francis Bacon (1561 - 1626) zugeschrieben wird: »Wissen ist Macht« (1597). Nachgewiesen ist eine vorsichtigere, aber sehr zentrale Erkenntnis: »Wissenschaft und menschliche Potenz kommen insofern zusammen, als Unkenntnis der Ursache die Wirkung zunichte macht.«

      Die Perspektive des freien, vernunftbestimmten Menschen und das Vertrauen in die eigene Denkfähigkeit (Kant: »Sapere aude!«; Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!) prägten die Kritik an den überkommenen Autoritäten Kirche und Staat (Gotthold Ephraim Lessing: »An die Stelle der Religion muss die Überzeugung treten.«), die sich vor allem gegen die Willkür und Irrationalität von Herrschafts- und Denksystemen wandte. Aus diesen Grundüberlegungen ergaben sich die zentralen Forderungen der Aufklärung: religiöse Toleranz, die Achtung vor den »natürlichen« Rechten des Menschen, das Recht auf freie Meinungsäußerung, und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. So traten elementare Verschiebungen in der Wertehaltung und in der Mentalität ein.

      In Frankreich entstand die berühmte Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, die zwischen 1751 bis 1772 von Denis Diderot (1713 - 1784) und Jean d’Alembert (1717 - 1783) in 28 Bänden herausgegeben wurde und mehr als 130 Autoren zählte. Voltaire (eigentlich François Marie Arouet; 1694 - 1778), der Jesuitenzögling und unerbittliche Gegner der Kirche, und Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (1689 - 1755), aber auch Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778), dessen Schriften die Französische Revolution maßgeblich beeinflussen sollten, gehörten zu den Autoren dieses Hauptwerks der Aufklärung. Das Sammeln und die Bereitstellung nützlichen Wissens für die Allgemeinheit zum Zweck des individuellen wie des gesellschaftlichen Fortschritts war die Idee, die hinter diesem Projekt stand. Die Erziehung des einzelnen Menschen, der als von Natur aus gut galt, wurde als erster Schritt zu einer Veränderung der Gesellschaft gesehen. Die Verkaufszahlen sprechen dafür, dass dieses Projekt erfolgreich war: Bis 1789 stieg die Auflage der Encyclopédie auf 14.000 bis 16.000 Exemplare, die in immer billigeren Ausgaben erhältlich waren.

      Dieses den Aufklärern eigene Vertrauen in die menschliche ratio verknüpft mit einem Fortschrittsglauben, der das »allgemeine Glück« als Ziel vor Augen hatte, wird als grundlegend für die ersten Revolutionen angesehen. Die Aufklärung prägte die Glorious Revolution in England und die Revolution in Nordamerika, wie auch jenen frühen Versuch in Polen 1791, und wohl am umfänglichsten in Frankreich 1789: Die dortigen Revolutionsführer waren radikale Anhänger der Aufklärung. Sie beseitigten den Einfluss der Kirche und ordneten Kalender, Uhrzeit, Maße, Geld und Recht nach rein rationalen Grundsätzen neu – wenn auch hinsichtlich des Kalenders ohne langfristigen Erfolg.

      Aber die Aufklärung war auch die Basis für die Industrielle Revolution: Neben den hinreichend bekannten Zielen der Aufklärung ging es dabei im Kern um die Naturbeherrschung. Die Vorstellung, dass sich die Lebensbedingungen kontinuierlich verbessern lassen, beginnt mit Francis Bacon (1561 - 1626) und den Gründern der Académie Royal in Frankreich (1648) und der Royal Academy in London (1768). Vorher hatte ein zyklisches Weltbild dominiert. Die intellektuellen Wurzeln der Industriellen Revolution, die lange Zeit vernachlässigt worden sind, finden sich im Wandel des Denkens der politischen СКАЧАТЬ