Название: Martin Eden
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026884491
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»Sagen Sie, ich möchte Sie gern etwas fragen.«
Der Mann blickte lächelnd auf.
»Wenn man eine junge Dame trifft und sie einen auffordert, sie zu besuchen, wie bald kann man dann kommen?«
Martin fühlte, wie sein Hemd sich vor Schweiß an seine Schultern klebte.
»Na, eigentlich jederzeit«, antwortete der Mann.
»Ja, aber die Sache ist ein bißchen anders«, wandte Martin ein. »Sie ... ich ... also, sehen Sie, es ist so: Vielleicht ist sie nicht zu Hause. Sie besucht die Universität.«
»Dann müssen Sie eben ein andermal wiederkommen.«
»Das meinte ich nicht«, gestand Martin stockend und entschloß sich, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. »Ich bin nur ein einfacher Bursche, und ich habe nie etwas von gesellschaftlichem Leben gesehen. Das junge Mädchen ist nicht wie ich, und ich bin nicht wie sie. Sie denken doch wohl nicht, daß ich den Narren spiele?« fragte er plötzlich.
»Nein, nein, durchaus nicht«, protestierte der andere. »Ihre Frage fällt nicht gerade in mein Ressort hier in der Bibliothek, aber es wird mir eine Freude sein, Ihnen zu helfen.«
Martin sah ihn bewundernd an.
»Ja, wenn ich so quasseln könnte, dann wäre alles in Ordnung«, sagte er.
»Wie bitte?«
»Ich meine, wenn ich so leicht und gebildet reden könnte und – .«
»Ach so!« sagte der andere verständnisvoll.
»Welches ist die beste Besuchszeit? Nachmittags – nicht zu kurz vor der Essenszeit? Oder abends? Oder auch Sonntags?«
»Ich will Ihnen was sagen«, meinte der Bibliothekar, und sein Antlitz erhellte sich. »Rufen Sie sie an und fragen Sie sie.«
»Das will ich tun«, sagte er, nahm die Bücher und wandte sich zur Tür. Aber er kehrte noch einmal um und fragte:
»Wenn man mit einer jungen Dame spricht – sagen wir, sie heißt Lizzie Smith –, sagt man dann ›Fräulein Lizzie‹ oder ›Fräulein Smith‹?«
»Sagen Sie Fräulein Smith«, entschied der Bibliothekar. »Sie müssen immer Fräulein Smith sagen, bis Sie sie besser kennenlernen.«
Und so löste Martin denn das Problem.
»Kommen Sie, wann Sie wollen; ich bin den ganzen Nachmittag zu Hause«, beantwortete Ruth seine hervorgestammelte Frage, wann er ihr die geliehenen Bücher zurückbringen könnte.
Sie empfing ihn selbst an der Tür, und ihr weiblicher Blick sah sofort die Bügelfalte und die entschiedene, wenn auch unbestimmbare Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Auch sein Gesicht überraschte sie. Seine Gesundheit wirkte fast überwältigend und schien mit starken Wogen von ihm zu ihr überzuströmen. Wieder fühlte sie den Drang, sich an ihn zu lehnen, um Wärme zu empfangen, und wieder wunderte sie sich über die Wirkung, die seine Gegenwart auf sie ausübte, während er seinerseits bei der Berührung ihrer Hände von derselben sinnlosen Seligkeit durchbebt wurde. Der Unterschied zwischen ihnen war, daß sie ruhig und selbstbeherrscht blieb, während er bis zu den Haarwurzeln errötete. Und als er ihr über den Vorplatz folgte, geschah es mit seiner ganzen alten Linkischheit. Er stolperte mit seiner alten Ungeschicklichkeit hinter ihr her, und seine Schultern schwankten gefahrdrohend.
Sobald sie im Wohnzimmer saßen, benahm er sich freier – weit freier, als er selbst gedacht hatte. Sie erleichterte es ihm, und die Liebenswürdigkeit, mit der sie es tat, machte ihn verliebter als je. Zuerst sprachen sie über die geliehenen Bücher, über Swinburne, auf den er schwor, und über Browning, den er nicht verstand; dann brachte sie das Gespräch auf andere Gegenstände, während sie darüber nachdachte, wie sie ihm helfen könnte. Seit ihrer ersten Begegnung war dieser Gedanke ihr so oft gekommen. Sie wollte ihm gern helfen. Er rief ihr Mitleid und ihre Zärtlichkeit in einer Weise an, wie es noch keiner je getan, und ihr Mitleid war weniger Überlegenheit als Mütterlichkeit. Es konnte kein gewöhnliches Mitleid sein, wenn der, der es hervorrief, so sehr Mann war, daß er ihr ein Gefühl jungfräulicher Angst einflößte und ihre Seele und ihren Puls vor unerklärlichen Gedanken und Gefühlen beben ließ. Wieder fühlte sie den alten Zauber, den sein Hals gleich am ersten Tage auf sie ausgeübt hatte, und der Gedanke, ihren Arm um ihn zu schlingen, war süß. Es erschien ihr immer noch als eine ungebührliche Eingebung, aber sie hatte sich schon mehr daran gewöhnt. Sie ließ sich nicht träumen, daß unter dieser Verkleidung neugeborene Liebe in ihr auftrat. Sie ließ sich auch nicht träumen, daß das von ihm bei ihr erweckte Gefühl Liebe war. Sie glaubte nur, sich für ihn zu interessieren als für einen ungewöhnlichen Menschen, der große Entwicklungsmöglichkeiten besaß, ja, sie hatte sogar das Gefühl, eine gute Tat tun zu wollen. Sie wußte nicht, daß sie sich nach ihm sehnte; ihm aber erging es anders. Er wußte, daß er sie liebte, und er sehnte sich nach ihr, wie er sich noch nie im Leben nach etwas gesehnt hatte. Er hatte die Poesie um der Schönheit willen geliebt; seit er sie aber getroffen, waren die Tore zu dem ungeheuren Feld der Liebesdichtung weit geöffnet.
Sie hatte ihm mehr Verständnis geschenkt als Bullfinch und Gayley. Es gab eine Zeile, der er vor einer Woche noch keinen Gedanken geschenkt haben würde: »Gottes erkorener, wahnsinngeschlagener Liebender, der für einen Kuß stirbt«, die ihm aber jetzt nicht einen Augenblick aus dem Sinn kam. Er grübelte darüber, wie wunderbar und wahr diese Zeile war, und als er sie ansah, wußte er, daß er mit Freuden »für einen Kuß gestorben« wäre. Er kam sich selbst als Gottes erkorener, wahnsinngeschlagener Liebender vor, und kein Ritterschlag hätte ihn mit größerem Stolz erfüllen können. Jetzt endlich kannte er den Sinn des Lebens und wußte, warum er geboren war.
Wie er sie sah, sie anstarrte und lauschte, wurden seine Gedanken plötzlich kühner. Wieder erlebte er das wilde Entzücken, das ihn durchbebt hatte, als er auf dem Vorplatz ihre Hand gefaßt, und er sehnte sich danach, sie nochmals in der seinigen zu fühlen. Sein Blick wanderte oft zu ihren Lippen, und ihn hungerte nach ihnen. Aber es war nichts Plumpes und Irdisches in diesem Verlangen. Es machte ihm eine unsagbare Freude, jede Bewegung und jedes Spiel dieser Lippen beim Sprechen zu beobachten, und gleichwohl waren es nicht gewöhnliche irdische Lippen, wie alle andern Männer und Frauen sie hatten. Sie waren nicht aus Materie geformt. Es waren Lippen aus reinem Geist, und sein Verlangen nach ihnen war ganz anders als das; das er nach andern Frauenlippen gehabt hatte. Er hätte ihre Lippen küssen, seine Lippen aus Fleisch und Blut auf sie drücken können, und doch wäre es mit der gleichen Ehrfurcht und erhabenen Leidenschaft geschehen, mit der der wahrhaft Gläubige das Gewand Gottes küssen würde. Er war sich nicht bewußt, welch eine Verschiebung von Werten in ihm stattgefunden hatte, und er ahnte nicht, daß das Licht in seinen Augen, wenn er sie ansah, eben das war, das in den Augen aller Menschen leuchtet, wenn das Verlangen der Liebe in ihren Herzen erwacht. Er ließ sich nicht träumen, wie brennend und männlich sein Blick war, und ebensowenig, daß die Flamme darin rein seelisch auf sie wirkte. Die Jungfräulichkeit, die von ihr ausströmte, erhöhte und verbarg seine eigenen Gefühle, indem sie seine Gedanken zu sternenkalter Keuschheit erhob. Es würde ihn erschreckt haben, hätte man ihm erzählt, daß in seinen Augen ein Licht brannte, das sie wie warme Wogen durchströmte und eine ähnliche Wärme in ihrem Körper entzündete. Sie war verwirrt, und obwohl sie den Grund nicht kannte, durchbrach es immer wieder störend, aber gleichzeitig mit einer wundersamen berauschenden Macht ihre Gedanken und zwang sie, nach Worten zu suchen, um den begonnenen Satz zu beenden. Die Sprache war ihr sonst stets leicht von den Lippen geflossen, und diese Unterbrechungen würden sie gestört haben, wäre sie nicht zu dem Ergebnis gelangt, daß es daher kam, weil er ein so eigentümlicher Mensch war. СКАЧАТЬ