Название: Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe)
Автор: Walter Benjamin
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027223077
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»Ich muß von Sinnen gewesen sein, anders kann ich es mir nicht erklären«, dachte Mrs. Tetterby.
In dieser Stimmung setzten sie sich zum Frühstück. Die kleinen Tetterbys waren nicht gewohnt, dieses Mahl als sitzende Beschäftigung aufzufassen, sondern verzehrten es tanzend oder springend und erhoben es durch gellende Schreie, Schwenken der Butterbrote, durch verwickelte Märsche zur Türe hinaus und wieder herein und durch Herumhüpfen auf der Haustreppe zu einer wilden, phantastischen Zeremonie. Augenblicklich boten die Kämpfe der Tetterbyschen Kinder um den gemeinsamen Krug mit verdünnter Milch, der auf dem Tische stand, ein so jämmerliches Beispiel der hochgehenden Leidenschaftswellen, daß es förmlich das Andenken des Dr. Watts schändete. Erst als Mr. Tetterby die Herde zur vorderen Tür hinausgejagt hatte, trat einen Augenblick Ruhe ein, und auch diese wurde getrübt durch die Entdeckung, daß Johnny sich heimlich wieder hereingeschlichen hatte und wie ein Bauchredner in den Krug hineingurgelte, so unanständig und gierig schlürfte er aus ihm.
»Diese Kinder werden noch mein Tod sein«, sagte Mrs. Tetterby, nachdem sie den Sünder verscheucht hatte. »Je eher es geschieht, desto besser.«
»Arme Leute«, sagte Mr. Tetterby, »sollten überhaupt keine Kinder haben. Sie machen uns kein Vergnügen.«
Er ergriff gerade die Tasse, die ihm Mrs. Tetterby verächtlich hingeschoben, und sie wollte ihre Tasse auch eben an den Mund setzen, als beide plötzlich innehielten, als ob sie verhext wären.
»Hier, Mutter, Vater«, schrie Johnny und stürzte in die Stube. »Mrs. William kommt die Straße herunter.«
Und wenn jemals seit Anbeginn der Welt ein Junge ein Wickelkind mit der Sorgfalt einer alten Amme aus der Wiege nahm und schaukelte und liebkoste und fröhlich mit ihm davontrabte, war Johnny dieser Junge und der Moloch das Wickelkind.
Mr. Tetterby setzte seine Tasse nieder; Mrs. Tetterby setzte ihre Tasse nieder. Mr. Tetterby rieb sich die Stirn, Mrs. Tetterby die ihre. Mr. Tetterbys Gesicht hellte sich auf, Mrs. Tetterbys Gesicht ebenfalls.
»Gott bewahre«, sagte Mr. Tetterby vor sich hin, »in was für schlechter Laune ich nur war. Was ist nur mit mir vorgegangen?«
»Wie konnte ich nach alldem, was ich gestern nacht sagte und fühlte, nur wieder so schlecht gegen ihn sein«, schluchzte Mrs. Tetterby und fuhr sich mit der Schürze über die Augen.
»Ich bin ein Ungeheuer«, sagte Mr. Tetterby »es ist kein guter Faden mehr an mir, Sophie, mein kleines Frauchen.«
»Mein guter Dolphus«, gab seine Frau zurück.
»Ich – ich bin in einem Gemütszustand gewesen«, sagte Mr. Tetterby, »daß ich gar nicht mehr daran denken kann, Sophie.«
»Oh, das ist gar nichts gegen den, in dem ich gewesen bin, Dolph«, jammerte seine Frau im tiefsten Seelenschmerz.
»Sophie«, sagte Mr. Tetterby »nimm es dir nicht zu Herzen. Es war unverzeihlich von mir, es muß dir fast das Herz gebrochen haben. Ich weiß es.«
»Nein, Dolph, nein, ich war schuld, ich«, schrie Mrs. Tetterby.
»Mein kleines Frauchen«, sagte der Gatte, »sag das nicht. Du häufst glühende Kohlen auf mein Haupt, wenn du so edel bist. Liebe Sophie, du weißt gar nicht, was ich gedacht habe. Ich habe mich gewiß bös genug ausgedrückt, aber was ich erst dachte, mein kleines Frauchen!«
»Oh, mein lieber Dolph, sprich nicht davon«, jammerte die Gattin.
»Sophie«, sagte Mr. Tetterby, »ich muß es dir enthüllen, ich hätte keine Ruhe mehr, wenn ich es nicht gestünde. Mein kleines Frauchen –«
»Mrs. William ist schon da«, rief Johnny zur Türe hinein.
»Mein kleines Frauchen«, fuhr Mr. Tetterby mit gepreßter Stimme fort und klammerte sich an seinen Stuhl, »ich wunderte mich, daß du mir jemals hattest gefallen können. Ich vergaß die unschätzbaren Kinder, die du mir geschenkt hast, und meinte, du wärest nicht so schlank, wie ich es gerne hätte. Ich – ich dachte mit keinem Wort«, sagte Mr. Tetterby in strenger Selbstanklage, »an alle die Sorgen, die du um mich und die Meinigen gehabt, während du doch an der Seite eines andern Mannes – der mehr Glück gehabt hätte als ich und eine bessere Karriere gemacht hätte, und es wäre nicht schwer gewesen, einen solchen Mann zu finden, wahrhaftig – ohne Sorge hättest leben können. Und ich haderte mit dir, weil du ein wenig gealtert bist in den rauhen Jahren, die du mir erleichtert hast. Kannst du das fassen, mein kleines Frauchen. Ich selbst kann es nicht fassen.«
Mrs. Tetterby lachte und weinte wie närrisch, nahm sein Gesicht in beide Hände und hielt es fest.
»O Dolph«, schrie sie. »Ich bin so dankbar, daß du das gedacht hast, denn ich dachte, du sähest gewöhnlich aus, Dolph; und wenn du auch so aussiehst, lieber Mann, so bleibe so in meinen Augen, bis du sie mir einmal mit deinen guten Händen zudrückst. Ich dachte bei mir, du wärst klein, und das bist du auch, und ich will dich auf meinen Händen tragen, weil du es bist, und weil ich meinen Gatten liebe. Ich dachte, du fingest an, gebückt zu gehen, und das tust du auch, und du sollst dich auf mich stützen, und ich will alles tun, um dich aufrecht zu halten. Ich dachte, du hättest nichts Anziehendes, aber du hast es, und es ist das Anziehende unseres Herdes, und das ist das Reinste und Schönste, und Gott möge unsern Herd segnen und alle, die dazugehören, Dolph!«
»Hurra, Mrs. William ist da!« schrie Johnny.
Und da war sie, und alle Kinder mit ihr. Und als sie hereinkam, küßten sie sie und küßten einander und küßten das Wickelkind und küßten Vater und Mutter, und dann rannten sie wieder zurück und scharten sich um Milly und zogen mit ihr im Triumph daher.
Mr. und Mrs. Tetterby empfingen sie ebenso herzlich. Sie fühlten sich ebenso zu ihr hingezogen wie die Kinder, eilten ihr entgegen, küßten ihr die Hände und konnten sie nicht enthusiastisch genug aufnehmen. Sie trat unter sie wie der Geist der Güte, Liebe, Milde und Häuslichkeit.
»Was! Seid auch ihr alle so froh, mich an diesem schönen Weihnachtsmorgen zu sehen«, rief Milly aus und schlug die Hände verwundert zusammen, »o Gott, das ist ja herrlich!«
Jubel der Kinder, Küsse, Umarmungen, Glück, Liebe und Freude regneten auf sie nieder. Sie konnte es kaum ertragen.
»O Gott! Ihr bringt mich noch zum Weinen. Das hab ich doch nicht verdient. Was habe ich denn getan, um so geliebt zu werden?«
»Man kann nicht anders«, rief Mr. Tetterby, »man kann nicht anders«, rief Mrs. Tetterby.
»Man kann nicht anders!« riefen die Kinder im Chor.
Und sie umtanzten sie, hängten sich an sie, legten ihre rosigen Gesichter an ihr Kleid, küßten und streichelten es und konnten nicht satt werden, sie zu liebkosen.
»Ich bin noch niemals so ergriffen gewesen wie heute. Ich muß es euch erzählen, sobald ich zu Worte kommen kann. Mr. Redlaw kam bei Sonnenaufgang zu mir und bat mich mit einer Zärtlichkeit, als wäre ich seine Tochter, mit ihm zu Williams sterbendem Bruder Georg zu gehen. Ich begleitete ihn, und den ganzen Weg über war er so lieb und sanft zu mir und schien solches Zutrauen und solche Hoffnung in mich zu setzen, daß ich vor Freude weinen mußte. Als wir in das Haus kamen, trafen wir ein Weib an der Türe – sie war verletzt, und ich fürchte, es hat sie jemand geschlagen –, und sie faßte mich bei der Hand und segnete mich, als ich vorüberging.«
»Sie СКАЧАТЬ