Название: Der Gott, der uns nicht passt
Автор: Tobias Wolff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Material zum geistlichen Dienst
isbn: 9783942001274
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Es scheint eine Eigenschaft des modernen Menschen zu sein, sein Gottesbild, wenn er denn an Gott glaubt, entsprechend eigener Wünsche und Vorstellungen zu modifizieren. Texte, die nicht in dieses Bild passen, werden uminterpretiert bzw. der darin beschriebene Gott kritisiert.
Der Mensch hat ... heute eher den Eindruck, dass Gott gerechtfertigt werden müsse, als dass der Mensch selber vor und durch Gott ... ein Gerechtfertigter werden müsse“.48
Klaus-Stefan Krieger moniert die „überhebliche Souveränität, mit der wir uns heute gerne über die Texte stellen und ihren Inhalten moralische Zensuren erteilen“. Was wäre, wenn wir nicht „gut situierte Mitteleuropäer“ wären, sondern Verfolgte und Unterdrückte, zum Beispiel „Christen im Südsudan“, und fragt: „Wie würden wir handeln?“49 Während der moderne Mensch Gott für die Probleme der Welt verantwortlich zu machen und ihn zu kritisieren pflegt, gibt es für den biblischen Beter diese Option nicht. Selbst der vermeintlich von Gott Verlassene (Ps 22) und der, welcher Gott als Feind empfindet, kann nicht von ihm lassen. So etwa im dunkelsten Lied, Psalm 88, dessen letztes Wort „Finsternis“ ist: „Es geht um die Hoffnung auf den rettenden Gott … Von dieser Hoffnung will er … nicht lassen. Auch wenn alles dagegen spricht“.50 Und Johannes Schnocks kommentiert: „Das Gebet dieses Psalms selbst ist die stärkste Bestätigung, dass das Ich sich noch nicht vom Gott seines Glaubens verabschiedet hat, sondern geradezu trotzig an dem festhält, den es als Feind erlebt“.51
Dass der Mensch das Recht habe, Gott zu hinterfragen, unterstützt die Bibel offenbar nicht:
• Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. Denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. (Jes 55,8f)
• Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege … (Röm 11,33)
• Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt er noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden? Ja freilich, o Mensch, wer bist du, der du das Wort nimmst gegen Gott? Wird etwa das Geformte zu dem Former sagen: Warum hast du mich so gemacht? (Röm 9,19f)
Der wichtigste Text, der sich mit der Frage nach einem gerechten Gott angesichts von Leid auseinandersetzt, ist die Weisheitliche Lehrschrift des Hiob, eines frommen Herdenbesitzers, der vermutlich im Nordwesten der arabischen Halbinsel lebte, also kein Israelit war. Hiob hatte drei Freunde, die wie allgemein üblich an der Formel festhielten, dass jedes Unheil eine Ursache hat (Tun-Ergehen). Konsequent suchten sie daher – weil Gott nicht ohne Grund strafe – fieberhaft nach einer verborgenen Sünde oder Schuld des Hiob (manchen Haltungen einzelner christlicher Gruppierungen nicht unähnlich). Die Alternative wäre, an der Gerechtigkeit Gottes zu zerbrechen, wie es beinahe (Ps 73,2) dem Beter des 73. Psalms passiert wäre. Viele Lösungsmöglichkeiten gibt es nicht. Und diese werden ausführlicher im Buch Hiob als in jedem anderen biblischen Buch theologisch gründlich durchgespielt.52 Im Eröffnungsteil (Prolog 1,1–2,10) werden die Personen und die Situation vorgestellt (Hiob, Familie, Gott, Satan), an dessen Abschluss festgestellt wird: „Bei alldem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen“ (2,10). Dazwischen, im Hauptteil, finden sich die Redeblöcke der Freunde und Hiobs. Ab 38–41 folgt Gottes Rede an Hiob. Am Ende, ab 42,7–17 (Epilog), wird das grausame „Experiment“ abgebrochen, Hiob wiederhergestellt.
Hiob bekam keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Leidens. Aber Gott gibt ihm seine souveräne Macht zu verstehen, die alles schuf und alles in Ordnung hält (38–41), auch wenn der Mensch das nicht erkenne. Gott rechtfertigt sich hier auch nicht, sondern weist Hiob sogar noch zurecht (38,1.2: „Da antwortete der HERR dem Hiob aus dem Sturm und sprach: Wer ist es, der den Ratschluß verdunkelt mit Worten ohne Erkenntnis?“ 40,8: „Willst du etwa mein Recht zerbrechen, mich für schuldig erklären, damit du gerecht dastehst?“)
Hiob sprach zu Gott, hielt an ihm fest, selbst in Verzweiflung über Gottes Handeln. Seine Freunde redeten über Gott. Ihre Theologie war ein reines Vergeltungsdogma: Sie reduzierten Gottes Wesen auf den Tun-Ergehen-Zusammenhang. Hiob gibt Gott in seiner Bußrede 42,1–6 vollkommen Recht und hört auf, sich selbst und sein Leiden als Mittelpunkt der Welt zu sehen. Er hatte sich zum Maßstab der Beurteilung von Gott und Welt gemacht:
Ich habe erkannt, daß du alles vermagst und kein Plan für dich unausführbar ist … So habe ich denn mich geäußert und verstand nichts, Dinge, die zu wunderbar für mich sind und die ich nicht kannte … Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen. Darum verwerfe ich mein Geschwätz und bereue in Staub und Asche. (42,2–3.5–6)
Die vollständige Ergebung in Gottes Willen führte Hiob in die Freiheit, sein Los anzunehmen. „An dieser Stelle endet die Theologie und fängt die Erfahrung an, dass Gott der tragende und ewige Grund von Existenz und Welt ist.“53 So haben wir entgegen der Übel in der Welt an einen gerechten und gütigen Gott zu glauben, der alles nach seinem Plan ordnet. Das ist keine Antwort, die unseren Verstand befriedigt. Aber es ist die korrekte Antwort (vgl. Röm 9,19f), eine Antwort, die nur in der persönlichen Begegnung mit Gott möglich ist (Hiob 42,5–6). Mit Horst Georg Pöhlmann dürfen wir feststellen: „Wir wissen nicht, was es für einen Sinn hat, daß Gott so viel Böses in der Welt zuläßt; aber Gott weiß es, das muß uns genügen. Seine ‚Gedanken‘ sind ganz anders als die der Menschen (Jes 55,8), wie er ganz anders ist als der Mensch, … Wäre er das nicht, dann wäre er nicht Gott … Müßte Gott sich rechtfertigen, dann wäre er nicht Gott“.54 Die Bibel zeigt, dass der legitime Ort, mit dieser Frage umzugehen, die Klage ist, das persönliche Gebet zu Gott. Unsere Fragen, unsere Ängste, ja, auch unser Zorn haben hier ihren Platz. Sehr oft sehen wir das in den sogenannten „Klageliedern“ des Psalters. Dort wird gerade angesichts erlittenen Leids die Warum-Frage an Gott immer wieder gestellt:
Warum hast du mich verlassen? (Ps 22,2)
Jahwe, Gott der Heerscharen! Bis wann zürnst du trotz des Gebets deines Volkes? Du hast sie mit Tränenbrot gespeist, sie in reichem Maß getränkt mit Tränen. Du setztest uns zum Streit unseren Nachbarn, und unsere Feinde spotten über uns. (Ps 80,5–7)
Du hast zu reine Augen, um Böses mitansehen zu können, und Verderben vermagst du nicht anzuschauen. Warum schaust du den Räubern zu, schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er? (Hab 1,13)
5 Gnade und Gericht
Es gehört zu den großen Irrtümern vergangener Forschungsperioden, daß, einer allgemeinen Ideologie folgend, Gegensätze zwischen dem Gott der Liebe im Neuen Testament und dem „Gott des Hasses“ im Alten Testament herausgebildet wurden.55
Die Berichte aus 2Kön 1–13 erweisen Elisa als den größten Propheten seiner Zeit und als die herausragende religiöse Gestalt Israels in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts vor Christus. Elisa salbt die künftigen Könige von Syrien und Israel, heilt einen Heerführer von einer schweren Hautkrankheit, vermehrt auf wundersame Weise das Öl einer Witwe, die mit dem Erlös aus dem Verkauf ihre Schulden begleichen kann. Er sagt einer Frau, die ihn gastfrei beherbergt, die Geburt eines Sohnes voraus, obwohl ihr Mann schon sehr betagt ist, und als der Knabe stirbt, weckt der Prophet ihn wieder auf. Gott schenkte durch diesen Mann viel Heil und Gnade, unabhängig von sozialer Stellung oder ethnischer Herkunft. Eine der Geschichten aber ist besonders bemerkenswert, denn sie zeigt Elisa als Friedensstifter zwischen zwei lange verfeindeten Völkern (2Kön 6,12–23). In dieser Geschichte nimmt Gott Elisas Feinden jede Orientierung, wörtlich heißt es in V. 18, er „schlug“ (wajjakkem) sie mit Erblindung. Später (V. 21) wollte der König Israels sie ebenfalls „schlagen“ (gleiches Wort), d. h. töten. Nein, sagt Gott durch den Propheten. Lade sie ein zu einem Festmahl, lass sie essen und trinken und fröhlich sein – und am Leben bleiben! Hier führen Gottes „Schläge“ nicht zur Gewalt, sondern zum Frieden. Die meisten Begebenheiten charakterisieren den Propheten demnach als Wundertäter und mitfühlenden Zeitgenossen. СКАЧАТЬ