Schloss Gripsholm. Kurt Tucholsky
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Название: Schloss Gripsholm

Автор: Kurt Tucholsky

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783954188116

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СКАЧАТЬ Was gin­gen mich denn sei­ne Sei­fen an – Ly­dia ging mich an.

      Da stand sie schon mit den Kof­fern vor ih­rem Haus – »Hal­lo!«

      »Du bi­scha all do?« sag­te die Prin­zes­sin – zur gren­zen­lo­sen Ver­wun­de­rung des Ta­xichauf­feurs, der die­ses für Ost­chi­ne­sisch hielt. Es war aber Mis­singsch.

      Mis­singsch ist das, was her­aus­kommt, wenn ein Platt­deut­scher Hoch­deutsch spre­chen will. Er krab­belt auf der glatt ge­boh­ner­ten Trep­pe der deut­schen Gram­ma­tik em­por und rutscht alle Nase lang wie­der in sein ge­lieb­tes Platt zu­rück. Ly­dia stamm­te aus Ro­stock, und sie be­herrsch­te die­ses Idi­om in der Vollen­dung. Es ist kein bäu­ri­sches Platt – es ist viel fei­ner. Das Hoch­deutsch dar­in nimmt sich aus wie Hohn und Ka­ri­ka­tur; es ist, wie wenn ein Bau­er in Frack und Zy­lin­der aufs Feld gin­ge und so acker­te. Der Zy­lin­der ischa en fi­nen stat­schen Haut, över wen dor nich mit grot worn is, denn rutscht hei üm­mer wer­rer aff, dat deit he … Und dann ist da im Platt der gan­ze Hu­mor die­ser Nord­deut­schen; ihr gut­mü­ti­ger Spott, wenn es ei­ner gar zu toll treibt, ihr fest zu­pa­cken­der Spaß, wenn sie falschen Glanz wit­tern, und sie wit­tern ihn, un­fehl­bar … die­se Spra­che konn­te Ly­dia bei Ge­le­gen­heit spre­chen. Hier war eine Ge­le­gen­heit.

      »Kann mir gah­nich gie­nug wun­nern, das­se den Zeit nich ver­schla­fen hass!« sag­te sie und ging mit fes­ten, ru­hi­gen Be­we­gun­gen dar­an, mir und dem Chauf­feur zu hel­fen. Wir pack­ten auf. »Hier, nimm den Da­ckel!« – Der Da­ckel war eine fet­te, bis zur Al­bern­heit lang ge­zo­ge­ne Hand­ta­sche. Und so pünkt­lich war sie! Auf ih­ren Na­sen­flü­geln lag ein Hauch von Pu­der. Wir fuh­ren.

      »Frau Krem­ser hat ge­sagt«, be­gann Ly­dia, »ich soll mir mei­nen Pelz mit­neh­men und vie­le war­me Män­tel – denn in Schwe­den gibt es über­haupt kei­nen Som­mer, hat Frau Krem­ser ge­sagt. Da wär im­mer Win­ter. Ische woll nich möch­lich!« Frau Krem­ser war die Haus­häl­te­rin der Prin­zes­sin, Stu­ben­mäd­chen, Rein­ma­che­frau und Groß­sie­gel­be­wah­re­rin. Ge­gen mich hat­te sie noch im­mer, nach so lan­ger Zeit, ein lei­se schnüf­feln­des Miss­trau­en – die Frau hat­te einen gu­ten In­stinkt. »Sag mal … ist es wirk­lich so kalt da oben?«

      »Es ist doch merk­wür­dig«, sag­te ich. »Wenn die Leu­te in Deutsch­land an Schwe­den den­ken, dann den­ken sie: Schwe­den­punsch, furcht­bar kalt, Ivar Kreu­ger, Zünd­höl­zer, furcht­bar kalt, blon­de Frau­en und furcht­bar kalt. So kalt ist es gar nicht.« – »Also wie kalt ist es denn?« – »Alle Frau­en sind pe­dan­tisch«, sag­te ich. – »Au­ßer dir!« sag­te Ly­dia. – »Ich bin kei­ne Frau.« – »Aber pe­dan­tisch!« – »Er­lau­be mal«, sag­te ich, »hier liegt ein lo­gi­scher Feh­ler vor. Es ist ge­naues­tens zu un­ter­schei­den, ob pro pri­mo …« – »Gib mal’n Kuss auf Ly­dia!« sag­te die Dame. Ich tat es, und der Chauf­feur nu­ckel­te leicht mit dem Kopf, denn sei­ne Schei­be vorn spie­gel­te. Und dann hielt das Auto da, wo alle bes­sern Ge­schich­ten an­fan­gen: am Bahn­hof.

      Es er­gab sich, dass der Ge­päck­trä­ger Nr. 47 aus War­ne­mün­de stamm­te, und der Freu­de und des Ge­re­des war kein Ende, bis ich die­se lands­män­ni­sche Idyl­le, der Zeit we­gen, un­ter­brach. »Fährt der Ge­päck­trä­ger mit? Dann könnt ihr euch ja viel­leicht im Zug wei­ter un­ter­hal­ten.« – »Olln Dös­kopp! Heww di man nich so!« sag­te die Prin­zes­sin. Und: »Wi hemm noch ban­nig Tid!« der Ge­päck­trä­ger. Da schwieg ich über­stimmt, und die bei­den be­gan­nen ein em­si­ges Pala­ver dar­über, ob Korl Dü­sig noch am »Strom« wohn­te – wis­sen Sie: Dü­sig – näää … de Olsch! So, Gott sei Dank, er wohn­te noch da! Und hat­te wie­der­um ein Kind her­ge­stellt: der Mann war achtund­sieb­zig Jah­re und wur­de von mir, hier an der Ge­päck­aus­ga­be, au­ßer­or­dent­lich be­nei­det. Es war sein sech­zehn­tes Kind. Aber nun wa­ren es nur noch acht Mi­nu­ten bis zum Ab­gang des Zu­ges, und … »Willst du Zei­tun­gen ha­ben, Ly­dia?« – Nein, sie woll­te kei­ne. Sie hat­te sich et­was zum Le­sen mit­ge­bracht – wir un­ter­la­gen bei­de nicht die­ser merk­wür­di­gen Krank­heit, plötz­lich auf den Bahn­hö­fen zwei Pfund be­druck­tes Pa­pier zu kau­fen, von dem man vor­her ziem­lich ge­nau weiß: Ma­ku­la­tur. Also kauf­ten wir Zei­tun­gen.

      Und dann fuh­ren wir – al­lein im Ab­teil – über Ko­pen­ha­gen nach Schwe­den. Vor­läu­fig wa­ren wir noch in der Mark Bran­den­burg.

      »Finns­te die Ge­gend hier, Pe­ter?« sag­te die Prin­zes­sin. Wir hat­ten uns un­ter an­derm auf Pe­ter ge­ei­nigt – Gott weiß, warum.

      Die Ge­gend? Es war ein hel­ler, win­di­ger Ju­ni­tag – recht frisch, und die­se Land­schaft sah gut auf­ge­räumt und ge­rei­nigt aus – sie war­te­te auf den Som­mer und sag­te: Ich bin karg. »Ja …«, sag­te ich. »Die Ge­gend …« – »Du könn­test für mein Geld wirk­lich et­was Ge­schei­te­res von dir ge­ben«, sag­te sie. »Zum Bei­spiel: die­se Land­schaft ist wie er­starr­te Dicht­kunst, oder sie er­in­nert mich an Fi­u­me, nur ist da die Flo­ra ka­tho­li­scher – oder so.« – »Ich bin nicht aus Wien«, sag­te ich. »Gott sei Dank«, sag­te sie. Und wir fuh­ren.

      Die Prin­zes­sin schlief. Ich den­kel­te so vor mich hin.

      Die Prin­zes­sin be­haup­te­te, ich sag­te zu je­der von mir ge­lieb­ten Frau, aber auch zu je­der –: »Wie schön, dass du da bist!« Das war eine pfunds­di­cke Lüge – manch­mal sag­te oder dach­te ich doch auch: »Wie schön, dass du da bist … und nicht hier!« – aber wenn ich die Ly­dia so ne­ben mir sit­zen sah, da sag­te ich es nun wirk­lich. Wa­rum –?

      Na­tür­lich des­we­gen. In ers­ter Li­nie …? Ich weiß das nicht. Wir wuss­ten nur die­ses: Ei­nes der tiefs­ten Wor­te der deut­schen Spra­che sagt von zwei Leu­ten, dass sie sich nicht rie­chen kön­nen. Wir konn­ten es, und das ist, wenn es an­hält, schon sehr viel. Sie war mir al­les in ei­nem: Ge­lieb­te, ko­mi­sche Oper, Mut­ter und Freund. Was ich ihr war, habe ich nie er­grün­den kön­nen.

      Und dann die Alt­stim­me. Ich habe sie ein­mal nachts ge­weckt, und, als sie auf­schrak: »Sag et­was!« bat ich. »Du Dum­mer!« sag­te sie. Und schlief lä­chelnd wie­der ein. Aber ich hat­te die Stim­me ge­hört, ich hat­te ihre tie­fe Stim­me ge­hört.

      Und das drit­te war das Mis­singsch. Man­chen Leu­ten er­scheint die platt­deut­sche Spra­che grob, und sie mö­gen sie nicht. Ich habe die­se Spra­che im­mer ge­liebt; mein Va­ter sprach sie wie hoch­deutsch, sie, die »voll­komm­ne­re der bei­den Schwes­tern«, wie Klaus Groth sie ge­nannt hat. Es ist die Spra­che des Mee­res. Das Platt­deut­sche kann al­les sein: zart und grob, hu­mor­voll und herz­lich, klar und nüch­tern und vor al­lem, wenn man will, herr­lich be­sof­fen. Die Prin­zes­sin bog sich die­se Spra­che ins Hoch­deut­sche um, wie es ihr pass­te – denn vom Mis­sing­schen gibt es hun­dert und aber­hun­dert Abar­ten, von Fries­land über Ham­burg bis nach Pom­mern; da hat je­der klei­ne Ort sei­ne Ei­gen­hei­ten. Phi­lo­lo­gisch ist dem sehr schwer bei­zu­kom­men; aber mit dem Her­zen ist ihm bei­zu­kom­men. Das also sprach die Prin­zes­sin – ah, nicht alle Tage! Das wäre ja un­er­träg­lich ge­we­sen. Manch­mal, zur Er­ho­lung, wenn ihr gra­de so zu Mut war, СКАЧАТЬ